Kurz beriet per Video
Westbalkan-Konferenz im Zeichen der Corona-Krise
Überschattet von der Coronavirus-Pandemie haben die Ministerpräsidenten der sechs EU-Erweiterungsländer in Südosteuropa mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi am Dienstag eine Videokonferenz abgehalten. Für den heutigen Tag war vor der Krise eigentlich ein Treffen der acht Politiker in Wien geplant gewesen.
Andere Themen traten angesichts der Gesundheitskrise völlig in den Hintergrund. „Der Ausbruch von Covid-19 führt nun zu Infektionen in ganz Europa und stellt eine der beträchtlichsten Herausforderungen in Europa seit Jahrzehnten dar“, halten Österreich und die sechs Staaten - Albanien, Kosovo, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Montenegro - in der Abschlusserklärung zu der Videokonferenz fest. Gemeinsam schworen sich die Staaten der Region, die beinahe die gesamten 1990er Jahre hindurch von Kriegen untereinander geprägt war, darauf ein, angesichts der Krise zusammenzuarbeiten. Bei dem Treffen in Wien hätte es vor allem um politische Fragen der EU-Erweiterung gehen sollen, die manchmal auch zu Friktionen zwischen Westbalkan-Staaten führte.
Nur Montenegro noch verschont
Das Coronavirus hat indes mittlerweile auch den Westbalkan erreicht. Während es in Montenegro als einziges Land unter den sechs bis dato keinen einzigen offiziellen Fall gibt, wurden in Albanien und Serbien laut WHO jeweils rund vier Dutzend Infizierte registriert. Es dürfte in den beiden Ländern jeweils ein Mensch an dem Virus verstorben sein. In Bosnien und in Nordmazedonien liegt die Zahl der Infizierten bei unter 20. Nach inoffiziellen Angaben soll es im Kosovo zwei Ansteckungsfälle geben. Alle sechs Länder haben Maßnahmen ergriffen, die von der Schließung von Grenzen, Bildungseinrichtungen und Lokalen bis zum Stopp des internationalen Flug- und Schiffverkehrs und Ausgangsbeschränkungen gehen. Teils wurde der Notstand ausgerufen.
Kurz riet Beispiel Österreichs zu folgen
Laut einem Sprecher des Bundeskanzlers berichteten Kurz und seine Amtskollegen einander über die Schritte gegen die Ausbreitung des Coronavirus in ihren jeweiligen Ländern. Kurz rief demnach dazu auf, die Bedrohung nicht zu unterschätzen und auf ähnlich harte Maßnahmen wie in Österreich zu setzen. Hinsichtlich der vereinbarten engen Abstimmung bei der Bekämpfung der Pandemie bot der Kanzler den Teilnehmerstaaten der Konferenz an, sie so weit möglich mit Know-how aus Österreich zu unterstützen.
Bevölkerung solle „Anweisungen befolgen“
„Die Pandemie setzt Einzelpersonen, Gesellschaften und Gesundheitssysteme schweren Belastungen aus. Sie zeigt außerdem, wie eng unsere Gesellschaften und Wirtschaften miteinander verzahnt sind. Daher müssen wir unsere Zusammenarbeit noch verstärken - auch was Gesundheitsnotfälle an sich und die gegenwärtige Covid-19-Pandemie betrifft. Wir müssen dem zusammen begegnen, um die Ansteckungen zu verlangsamen, die Belastbarkeit unserer Gesundheitssysteme zu erhöhen (...)“, wird in der Abschlusserklärung festgehalten. Ihre Bevölkerungen rufen die sechs südosteuropäischen Staaten - Edi Rama für Albanien, Albin Kurti für den Kosovo, Ana Brnabic für Serbien, Oliver Spasovski für Nordmazedonien, Dusko Markovic für Montenegro und Zoran Tegeltija für Bosnien - sowie Kanzler Kurz für Österreich dazu auf, die Notfall-Empfehlungen und -Anweisungen der Behörden zu befolgen.
„Beginn der Beitrittsverhandlungen im März beschließen“
In politischer Hinsicht drängen Kurz und seine sechs Amtskollegen die EU-Mitgliedstaaten, noch im März den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien zu beschließen. „Wir betonen vehement die Notwendigkeit, dass die EU noch im März einen Beschluss zum Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien fasst (...)“, heißt es in ihrem Kommunique. „Das ist von entscheidender Wichtigkeit sowohl für diese beiden Länder als auch für die Glaubwürdigkeit für die europäische Perspektive der gesamten Region“, wie sie von der EU-Kommission dargelegt worden sei.
Die Kommission hat die Aufnahme von Beitrittsgesprächen längst empfohlen. Unter den Mitgliedstaaten, die einstimmig Grünes Licht geben müssen, herrscht allerdings Uneinigkeit. So wurde der Verhandlungsstart mit Albanien und Nordmazedonien bereits mehrmals verschoben. Zuletzt blockierten im Oktober Frankreich, aber auch die Niederlande und Dänemark den Start der Verhandlungen mit Skopje und Tirana.
Österreich ist ein starker Befürworter der EU-Erweiterung um die Westbalkan-Staaten. Neben Albanien und Nordmazedonien sind das Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und der Kosovo. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) fand diesbezüglich Mitte Februar bei einem Besuch in Berlin gegenüber Journalisten klare Worte. Er zeigte sich zwar zuversichtlich, dass im März oder „spätestens“ beim EU-Gipfel mit den Westbalkan-Staaten in Zagreb im Mai unter einem - vor allem von Frankreich geforderten - neuen Beitrittsprozedere „die Tür für Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien“ aufgestoßen wird. Aber: „Alles andere wäre schlichtweg eine Katastrophe und ein unerklärlicher Wortbruch Europas.“ Zugleich warnte Schallenberg vor einem Polit-Vakuum auf dem Westbalken, welches von Staaten wie Russland, China oder der Türkei gefüllt werde.
Konkrete Beitrittsperspektive wesentlich
In der Abschlusserklärung werden die Vorschläge der EU-Kommission von Anfang Februar zur Weiterentwicklung des Beitrittsprozederes begrüßt. Diese hätten das „Potenzial, die Glaubwürdigkeit und politische Legitimität des Prozesses sowie dessen praktische Relevanz für die Bevölkerung in der Region zu verbessern“. Eine konkrete Beitrittsperspektive sei wesentlich, um eine dauerhafte Stabilität in der Region, die beinahe die gesamten 90er Jahre hindurch von Kriegen geprägt war, sicherzustellen, heißt es weiter. Ohne den Westbalkan werde die Einigung Europas niemals vollständig sein. Die weitere Erweiterung in Südosteuropa sei im Interesse sowohl der EU als auch der Erweiterungsländer u.a. mit Verweis auf ein Potenzial für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum auf dem Westbalkan.
Die sechs Länder sind auf dem Pfad Richtung EU unterschiedlich weit fortgeschritten. Montenegro und Serbien führen bereits Beitrittsverhandlungen, Albanien und Nordmazedonien warten auf den Start der Verhandlungen. Weder Bosnien noch der Kosovo haben bisher den Status eines Beitrittskandidaten. Bosnien hat um den Beitritt angesucht. Der Kosovo wird von Serbien, von dem es sich für unabhängig erklärt hat, und von fünf der 27 EU-Staaten offiziell nicht als souveräner Staat anerkannt. Als letztes der sechs südosteuropäischen Erweiterungsländer wartet der Kosovo darauf, von den EU-Staaten Grünes Licht zu bekommen, dass die Kosovaren ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Die Kriterien dafür wurden längst erfüllt.
Zusammenarbeit in Migrationspolitik
Thema bei der Videokonferenz war auch die Migrationspolitik. Wie bei der Coronavirus-Pandemie wollen die Beteiligten auch bei der Bekämpfung illegaler Grenzübertritte bzw. Einwanderung auf Zusammenarbeit setzen. „Gemeinsame Maßnahmen“ seien nötig. „Wir sind entschlossen“, in Kooperation mit den EU-Ländern und -einrichtungen zum „Whole-of-Route-Ansatz“ beizutragen, also zu einer Betrachtungsweise, die die gesamte Route von Migranten und Flüchtlingen vom Ausgangspunkt über Transitländer bis hin zu Zielländern in der EU im Blick hat.
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