Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sowie die Zeitungen "New York Times" und der Londoner "Guardian" analysierten jeweils für sich die gewaltige Datenmenge, die aus den Archiven der amerikanischen Streitkräfte stammt und die den drei Redaktionen vor mehreren Wochen zur Verfügung gestellt worden war. Die Blätter veröffentlichten ihre Berichte am Sonntagabend zeitgleich im Internet. Auch auf WikiLeaks sind die "Warlogs" mittlerweile online (siehe Infobox), wegen Überlastung aber schwer erreichbar.
Die drei Redaktionen glichen nach eigenen Angaben die Informationen mit den offiziellen Darstellungen der Lage in Afghanistan ab. In Summe widersprechen die Dokumente zwar nicht den grundsätzlichen Beschreibungen der US-Armee. Es sei aber deutlich, dass die Militärs häufig die Lage beschönigen, Vorfälle mit Zivilisten verschweigen und eine ganze Menge geheimer Operationen in Afghanistan stattfindet, heißt es unter anderem in der "New York Times". Den offiziellen Todesopferzahlen braucht man nach diesen Enthüllungen definitiv keinen Glauben mehr zu schenken.
Verschwiegene zivile Opfer bei Kommandoaktionen
Die Unterlagen, bei denen es sich meist um Lageberichte, die von den einzelnen Einheiten an das Kommando geschickt werden, handelt, zeigen den Krieg aus der unmittelbaren Sicht der US-Soldaten. Es geht beispielsweise um Einsätze der Task Force 373, einer US-Eliteeinheit, die in offiziellen Dokumenten nicht vorkommt. Sie sei darauf spezialisiert, Top-Taliban gezielt auszuschalten, berichtet der "Spiegel". Die Dokumente geben auch Auskunft über Opfer unter Zivilisten bei den Kommandoaktionen. Viele dieser Fälle versehentlicher Tötung von Zivilisten seien bisher geheim gehalten worden, schreibt der Londoner "Guardian".
Laut "Spiegel" werde den Jägern der Task Force 373 meist selbst überlassen, ob sie die Zielpersonen - auf der Liste stehen mehr als 2.000 "Targets" - festsetzen oder töten. Es komme dabei immer wieder zu verheerenden Irrtümern. So heißt es in einem Bericht vom Juni 2007, dass bei einem Raketenangriff auf eine Koranschule statt eines gesuchten Al-Kaida-Mitglieds sechs "normale" Kämpfer und sieben Kinder getötet wurden. Der "Guardian" hat eine interaktive Satelliten-Karte erstellt, auf der die nach Meinung der Redaktion 300 bemerkenswertesten bisher unbekannten Zwischenfälle mit Zivilisten aufgelistet werden (siehe Infobox).
Die Soldaten der Task Force 373 sind übrigens abgeschirmt im deutschen Lager Mazar-i-Sharif untergebracht, wie aus den Dokumenten hervorgeht. Die Spezialeinheiten stünden dort aber unter direktem Kommando des US-Verteidigungsministeriums. Laut "Spiegel" sei dadurch auch die Lage der deutschen Soldaten im bisher eher ruhigen Norden Afghanistans bedrohlich, weil die Zahl der Kampfhandlungen und Anschläge drastisch zugenommen habe.
Weitere bisher unbekannte Fälle mit zivilen Opfern:
CIA stark vertreten, pakistanische Spione helfen Taliban
Laut "New York Times" spielt auch der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA im Afghanistan-Krieg eine weitaus größere Rolle, als bisher offiziell zugegeben wurde. Die paramilitärischen Aktivitäten der Agency seien bedeutend ausgeweitet worden. Die verdeckt operierenden Einheiten starten selbstständig Angriffe, ordern Bombardements aus der Luft und führen regelmäßig nächtliche Kommandoaktionen durch. Von 2001 bis mindestens 2008 stellte die CIA sämtliche finanzielle Mittel für den afghanischen Geheimdienst, womit dieser "praktisch zu einem Tochterunternehmen der CIA wurde", heißt es in einem Bericht der "NYT".
Andererseits legen die Dokumente auch nahe, dass der pakistanische Geheimdienst der wichtigste ausländische Unterstützer der Aufständischen sei. So werde in einem Bericht vom Jänner 2009 ein Treffen eines früheren Geheimdienstchefs mit Aufständischen in der pakistanischen Stammesregion Süd-Waziristan beschrieben. Bei diesem Treffen habe Generalleutnant Hamid Gul, der von 1987 bis 1989 Chef des pakistanischen Geheimdienstes war, mit den Aufständischen einen Anschlag zur Vergeltung für den Tod eines pakistanischen Al-Kaida-Funktionärs ausgeheckt.
Der Inter-Services Intelligence (kurz: ISI) ist Pakistans mächtigster Geheimdienst. Formal ist er dem Premierminister unterstellt, de facto funktioniert er unter Führung der pakistanischen Streitkräfte wie ein Staat im Staate. Seit September 2008 steht General Ahmed Shuja Pasha an der Spitze des militärischen Nachrichtendienstes, dem eine zentrale, wenn auch verdeckte Rolle bei der Bestimmung der Geschicke der 167 Millionen Einwohner zählenden Atommacht zugeschrieben wird. Vom Westen wurde dem ISI bereits mehrfach vorgeworfen, ein doppeltes Spiel zu betreiben und die Taliban in Afghanistan zu unterstützen - obwohl Pakistan erklärter Verbündeter der USA im Krieg gegen den Terror ist und der ISI etwa bei der Verhaftung des selbst erklärten Drahtziehers der Anschläge vom 11. September, Khalid Sheikh Mohammed, half.
Weitere Enthüllungen aus den "Warlogs":
"Schlaglicht auf Brutalität des Krieges"
WikiLeaks-Sprecher Julian Assange meinte gegenüber dem "Spiegel": "Das Material wirft ein Schlaglicht auf die alltägliche Brutalität und das Elend des Krieges. Es wird die öffentliche Meinung verändern und auch die von Menschen mit politischem und diplomatischem Einfluss." In der Fülle stelle das Material alles in den Schatten, was bisher über den Krieg in Afghanistan gesagt worden sei. "Diese Daten sind die umfassendste Beschreibung eines Krieges, die es jemals während eines laufenden bewaffneten Konflikts gegeben hat (...)."
Assange versicherte, dass das gesamte Material vor der Veröffentlichung auf eine mögliche Gefährdung von Soldaten im Einsatz geprüft worden sei. 15.000 weitere Dokumente werden noch zurückgehalten bzw. noch überprüft.
US-Regierung über Veröffentlichung empört
Der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, James Jones, zeigte sich empört. "Die USA verurteilen aufs Schärfste die Veröffentlichung von Geheiminformationen durch Einzelne oder Organisationen, durch die das Leben von Amerikanern und deren Verbündeten gefährdet und die nationale Sicherheit bedroht wird."
UStan. Über den Sommer werde die Gewalt zunehmen, sagte der Admiral am Sonntag in Kabul. Dennoch sei das Ziel der US-Regierung erreichbar, bis zum Jahresende die Wende im Konflikt mit den radikal-islamischen Taliban zu erzwingen. Nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft soll die Führung Afghanistans schon ab Ende 2014 selbst für die Sicherheit des Landes sorgen.
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