Kardinal Christoph Schönborn sieht in der Corona-Krise eine Chance zur Umkehr. Mit Conny Bischofberger spricht er über schmerzliche Einschnitte, Gesten des Mitgefühls und der Solidarität und die Macht des Betens.
Kardinal Schönborn sitzt in seinem Arbeitszimmer im Erzbischöflichen Palais, als wir am Freitag miteinander telefonieren - ein Interview von Home-Office zu Home-Office. „Ich schaue auf den menschenleeren Stephansplatz“, beschreibt Seine Eminenz den Blick aus dem Fenster, „so was sieht man normalerweise nur am Sonntag um 6 in der Früh.“ In der Hand hält er sein iPhone, vor ihm liegen die Postmappen, hinter ihm auf dem Schreibtisch steht sein Lieblingselefant - „und ein paar Nippes, die mich an schöne Tage erinnern“. Über einen YouTube-Kanal feiert Schönborn seit dem Ausbruch der Corona-Krise Messen aus der hauseigenen Bischofskapelle, die jeden Donnerstag auch vom ORF übertragen werden. Die letzte digitale Messe haben 1000 Gläubige verfolgt.
„Krone“: Herr Kardinal, wer zählt zu Ihrer „Kernfamilie“, mit der Sie die Tage zuhause verbringen?
Kardinal Christoph Schönborn: Ich lebe in einer kleinen Hausgemeinschaft mit drei indischen Ordensschwestern. Drei Personen aus meinem Mitarbeiterstab besuchen mich, mit allen anderen gibt es nur telefonischen Kontakt.
Wann sind Sie zuletzt draußen gewesen?
Das ist jetzt schon mehr als eine Woche her. Da war ich drüben im Dom, um zu beten. Wir werden Ostern heuer nicht in der gewohnten Weise feiern können - im prallvollen Stephansdom, und alle singen das „Halleluja“ - insofern war da viel Wehmut. Seither hüte ich das Haus, ab und zu gehe ich im Hof ein bisschen spazieren.
Die Isolation macht ja die unterschiedlichsten Sachen mit den Menschen zu Hause. Die einen tanzen, die anderen werden schwermütig. Was macht es mit Ihnen?
Am Anfang war ich ehrlich gesagt gar nicht so unglücklich. Mein Terminkalender ist meistens voll gewesen, es gab Audienzen, Besuche, alles spielte sich in den Amtsräumen ab. Jetzt hab ich das erste Mal Zeit, in meiner Wohnung zu sein, Sachen aufzuräumen, zu lesen … Was macht es mit mir? Ich bin doch sehr intensiv mit Fragen beschäftigt, wie es weitergeht. Auch wie die Katholische Kirche mit ihren Gotteshäusern die Maßnahmen der Regierung umsetzen kann. Die Bischofskonferenz, deren Treffen in Tirol stattfinden hätte sollen und natürlich abgesagt wurde, hat eine ausführliche Erklärung dazu herausgegeben: Öffentliche Gottesdienste sind nicht möglich, auch zu Ostern. Aber die Kirchen bleiben für das persönliche, private Gebet geöffnet.
Corona ist die größte Bedrohung für unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Papst hat in einem Interview gesagt, er habe den „Herrn gebeten, die Epidemie mit seiner Hand aufzuhalten“. Ist das nicht ein frommer Wunsch zu glauben, dass Gott dieses Virus stoppen kann?
Es ist ein Wunsch und es ist, im besten Sinn des Wortes, ein frommer Wunsch, ja. Einschnitte wie Corona hat es im Lauf der Geschichte immer wieder gegeben. Die Pestsäule drüben am Graben ist ein Symbol des Dankes, dass die Pest damals nicht nach Wien gekommen ist.
Würden Sie sagen, dass Corona eine Prüfung ist, vielleicht sogar eine Prüfung Gottes?
Es ist sicher für sehr viele Menschen in ihrer Lebenssituation eine Prüfung. Corona betrifft uns alle, aber manche betrifft es besonders schwer. Ich denke an jene, die jetzt um ihren Arbeitsplatz bangen, an ihre wirtschaftliche Situation. Prüfungen sind immer auch Momente der Besinnung … Ein kleiner Virus hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt.
Zerlegt dieses kleine Virus den „Finanzturbokapitalismus“ gerade von innen heraus?
Das Virus stellt die radikale Globalisierung infrage. Es gab früher schon Seuchen, aber sie waren aufgrund der fehlenden Mobilität lokal begrenzt. Eine globale Seuche in dieser Weise war höchstens die Spanische Grippe nach dem Ersten Weltkrieg mit vielen Millionen Toten. Aber in meiner Lebenszeit hat es so etwas wie Corona nicht gegeben. Ich glaube, diese Krise wird zu einer großen Besinnung führen.
Besinnung worauf?
Auf unser Leben, unsere Umwelt. Muss man über das Wochenende nach London zum Shoppen fliegen? Muss man Weihnachten auf den Seychellen verbringen? Muss man das? Luxuskreuzfahrten mit 4000 Menschen auf einem Schiff - ist das wirklich ein Lebensmodell? Ich habe den Himmel über Wien schon lange nicht so klar gesehen, es gibt keine Kondensstreifen der Flugzeuge, die den Himmel verschmieren. Alles durch schmerzliche Einschnitte, aber vielleicht sind sie auf lange Sicht auch heilsam.
Der Nationalbank-Gouverneur hat von einer „Reinigung“ gesprochen und gemeint, es sollten sowieso nur jene Unternehmen überleben, die stark genug sind für den Markt. Er wurde dafür sehr hart kritisiert, zu Recht?
Was versteht er unter „stark“? Soll ein kleiner Handwerksbetrieb nicht überleben, sondern nur die riesige Möbelfabrik? Da muss man schon sehr genau hinschauen. Die jetzige Krise zeigt uns sehr deutlich: Gerade die kleinen und mittleren Betriebe machen die Volkswirtschaft stark, nicht die Riesenkonzerne.
War es unempathisch, so etwas zu sagen?
Ich will die Worte des Nationalbank-Gouverneurs nicht kommentieren. Empathie ist jetzt aber unabdingbar. Wir werden sehr viel Zusammenhalt brauchen, um diese Krise zu meistern. Die Krise selbst wird vorbeigehen, aber die Folgen dieser Krise werden uns noch lange beschäftigen. Das geht nur mit Solidarität - insbesondere mit den kleinen Betrieben. Jetzt merken wir, wie sehr wir auf sie angewiesen sind.
Sie haben in Ihrer YouTube-Predigt gesagt, dass Gott alles lenkt. Auch diese Krise?
Ich habe den Heiligen Klemens Maria Hofbauer zitiert, der am 15. März vor 200 Jahren gestorben ist. Von ihm stammt der Satz: „Nur Mut, Gott lenkt alles.“ Gott lenkt, aber nicht ohne uns. Das heißt, er gibt uns Kraft und Inspiration. Wir sehen ja, was für großartige Initiativen im Moment entstehen, Nachbarschafts- und Einkaufshilfe. Die Risikogruppe braucht unsere Unterstützung, aber wie tun wir das? Dieser gute Geist, den wir jetzt spüren, kommt vom Geist Gottes.
Hilft beten?
Ein altes Sprichwort sagt: „Not lehrt beten.“ So ist es. Es gibt viele gute Gründe, Gott um Hilfe zu bitten. Was der Papst gesagt hat, war ein Notschrei des Herzens: „Bewahre und beschütze uns.“ In den Litaneien hat man früher gebetet: „A fame, peste et bello libera nos, Domine!“ - „Von Hunger, Krieg und Pest bewahre uns, oh Herr.“ Das waren die drei Geißeln, die die Menschheit durch die Jahrhunderte geplagt haben. Wir haben übrigens zwei Orte in der Erzdiözese Wien, die St. Corona heißen: St. Corona im Wienerwald, bei Klein Mariazell, und St. Corona bei Kirchberg am Wechsel, beides Wallfahrtsorte. Die Heilige Corona wird und wurde immer schon gegen Seuchen um Hilfe angerufen.
Besteht die Gefahr, dass durch Corona die anderen, stilleren Krisen in Vergessenheit geraten?
Ja, diese Gefahr besteht. In Syrien tobt seit sieben Jahren Krieg, mehr als die Hälfte der Bevölkerung musste fliehen, vor Waffen, vor Terror, vor Bomben. Trotz Corona denke ich viel an diese armen Menschen, die alles verloren haben, gerade jüngst wieder bei den Bombardierungen in Idlib.
In Italien, das inzwischen mehr Tote als China zu beklagen hat, verbreitet sich der Hashtag: „Andrà tutto bene“ - „Alles wird gut“. Wird auch bei uns auch alles gut?
Es wird alles gut. Wann, das liegt auch sehr an unserer Disziplin. Die Regierung sagt uns das jeden Tag und sie hat recht damit. Der Bundeskanzler hat den Österreicherinnen und Österreichern gratuliert, aber auch zum Durchhalten aufgefordert.
Sebastian Kurz hat auch gesagt: „Corona wird Krankheit, Leid und Tod über unser Land bringen.“ Sie haben zuletzt auch Leid erfahren … Erst die Krebsoperation, dann der Lungeninfarkt. Was hat Ihnen Zuversicht gegeben, was gibt uns Zuversicht?
Beides hätte tödlich sein können. Der Krebs und auch der Lungeninfarkt, beides wurde rechtzeitig erkannt. Es hat mir gezeigt, dass ich einmal sterben werde, und es hat mich dankbar dafür gemacht, dass ich weiterleben darf. Ich weiß, dass ich in besonderer Weise gefährdet bin, und deshalb bin ich sehr vorsichtig. Auf der anderen Seite möchte ich als Bischof für die Menschen da sein. Das geht Gott sei Dank heute auf digitale Weise … Was gibt uns Zuversicht? Rücksichtsvoll sein, aufeinander schauen. Das tun so viele Menschen jetzt, Gott sei Dank. Wichtig ist auch Humor. Ich habe einen lieben jüdischen Freund, der im Moment deprimiert ist. Wenn er anruft, bitte ich ihn immer, einen jüdischen Witz zu erzählen. Dann erzähle ich ihm einen. Dann geht das 20 Minuten lang hin und her, und dann lachen wir.
Sie haben angesprochen, dass Sie selbst zur Risikogruppe gehören. Haben Sie Angst vor einer möglichen Ansteckung?
Nein, Angst habe ich nicht. Aber ich passe auf und mache alles, was man tun kann. Die Regierung hat es hundertmal wiederholt: Möglichst wenig Kontakt. Abstand halten. Und: Händewaschen, Händewaschen, Händewaschen. Angst, oder vielmehr Sorge, habe ich um die Menschen, die besonders von den Folgen dieser Ausnahmesituation betroffen sind.
Grüßen Sie auch wie der Herr Bundespräsident?
Ich grüße schon lange so, bei meinen indischen Schwestern ist das so üblich. (Lacht.)
Ihre Mutter wird am 14. April 100 Jahre alt. Wie geht es ihr in dieser Situation?
Ich habe erst gestern mit ihr gesprochen. Sie ist geistig ganz frisch und hat erwartet, dass es zu einer großen Krise kommen wird. Sie befürchtete aber einen digitalen Kollaps. Jetzt weist uns ein kleines Virus in die Schranken.
Wie werden Sie ihren Geburtstag feiern?
Leider nicht gemeinsam und auch nicht persönlich. Meine beiden Brüder leben in Deutschland, meine Schwester ist in Frankreich, Reisen derzeit unmöglich. Das ist ein großer Schmerz für uns alle.
Herr Kardinal, der Papst hat Ihr Rücktrittsgesuch abgelehnt. Wie lange müssen Sie jetzt noch durchhalten?
Ich bin, wie man beim Fußball sagt, in der Verlängerung. Ich habe dem Papst deutlich gemacht, dass es aus meiner Sicht gut wäre, wenn ein Nachfolger gesucht und auch nicht allzu lange damit gewartet würde. Ich glaube, der Papst ist diesem Gedanken gegenüber nicht verschlossen.
Haben Sie einen Nachfolger im Kopf?
Im Moment denke ich nicht an meine Nachfolge, sondern daran, wie wir gemeinsam durch diese Krise gehen können. Aber wenn bei mir im Bischofshaus die Galerie der Bischöfe von Wien - von Beginn an bis zum heutigen Tag - anschaue, dann hat es noch immer einen Nachfolger gegeben. Interessant! (Lacht.)
Durch Corona kann die Verlängerung jetzt aber ein bisschen länger dauern, oder?
Länger oder kürzer, das liegt in Gottes Hand.
MIT 75 WOLLTE ER AUFHÖREN
Geboren am 22.1.1945 in damaligen Böhmen als zweiter Sohn des Malers Hugo Damian Graf von Schönborn. Ein Bruder ist Fotograf, der andere Schauspieler, die Schwester Landschaftsgärtnerin. Bei Kriegsende landet Schönborn mit seinen Eltern auf der Flucht durch Österreich in Vorarlberg, er geht im Montafon zur Schule. 1963 tritt er dem Dominikanerorden bei. Seit 1995 Erzbischof von Wien, 1998 ernennt ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal. Sein Rücktrittsgesuch zum 75. Geburtstag lehnte Papst Franziskus vorerst ab.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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