Folgen des Virus
Die Welt nach der Corona-Krise
Das Leben wird sich verändern (müssen) wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Was werden die Folgen sein?
Ein Virus verändert die Welt: Es besteht wohl kein Zweifel mehr, dass die Welt nach der Corona-Krise anders aussehen wird als die Welt davor. Vieles wird dann anders sein, denn zu tief hat sie der Corona-Schock durchgebeutelt und alle Lebensbereiche getroffen.
Das Leben wird sich verändern wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Rückschlüsse ergeben sich aus früheren Schocks wie dem Terrorangriff „9/11“ auf die New Yorker Zwillingstürme 2001, die Virus-Seuche SARS 2003/04 oder der Wallstreet-Crash 2008/09.
Wie wird die neue Welt aussehen? Ein Blick nach vorn:
Globalisierung stieß an ihre Grenzen
Die Hyperglobalisierung hat sich selbst ad absurdum geführt, sowohl in der Verbreitung des Virus durch Reise- und Transportverkehr als auch in der Abhängigkeit von den Lieferketten etwa aus und mit China. Künftig wird wieder mehr in Europa produziert, besonders im Pharmabereich.
Chinas imperialer Vorstoß mit der „Neuen Seidenstraße“ erhält einen gewaltigen Dämpfer; auch weil dem Reich der Mitte ganz einfach das Geld dazu fehlen wird. Die schon bisher enormen Geld- und Kreditmengen, die China in die Seidenstraßeninitiative in der Dritten Welt investiert hat, waren in China ohnehin von Kritik an Staatschef Xi Jinpings Lieblingsprojekt begleitet.
Folgen für die Wirtschaft schwindelerregend
Apropos Wirtschaft: Mit dem Coronavirus kommt die Arbeitslosigkeit (zurück). Eine weltweite und vermutlich lang anhaltende Rezession ist angesagt. Die Erfahrung aus früheren Wirtschaftskrisen lehrt, dass selbst im nächsten Aufschwung die Unternehmen nicht mehr die gleiche Zahl von Mitarbeitern wieder einstellen, wenn sie dann merken, dass es mit weniger auch geht.
Ein Fallbeispiel ähnlicher Art hat der Terrorangriff auf die New Yorker Zwillingstürme 2001 geliefert. Nach „9/11“ waren viele Firmen von der Südspitze Manhattans in Behelfsbüros nach Jersey City jenseits des Hudson River ausgewichen. Heute ist Jersey City eine wirkliche City und viele Firmen sind geblieben, weil es dort preisgünstiger ist.
Beschäftigungsprogramme und Unterstützungsmaßnahmen, um die Wirtschaft halbwegs in Gang zu halten, werden gigantische Löcher in die Staatshaushalte reißen. Wie das ohnehin hoch verschuldete und von der Epidemie schwer getroffene Italien diese Last stemmen soll, steht in den Sternen. Sorge ist angebracht. Vielleicht wird Europa einen „Marshall Plan“ für das kranke Italien auf die Beine stellen müssen.
Klimapolitik wird das Nachsehen haben
Im hektischen Bemühen, die Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen, werden die Klimaziele (vorerst?) unter die Räder kommen - ein Selbstbetrug, der sich später bitter rächen wird. Erdöl wird auf längere Zeit „billig“ bleiben, so dass der Druck, Energie zu sparen, rasch nachlassen wird. Polen hat schon von der EU die krisenbedingte Zurückstellung des eben von Brüssel vorgestellten „Green Deal“ verlangt.
Hilfe durch Telemedizin vor dem Durchbruch
Während der SARS-Krise war in China aus der Not durch Ausgangssperren die digitale Telemedizin „erfunden“ worden. Die Corona-Krise hat dieser Form der medizinischen Betreuung per Internet jetzt Millionen neue Patienten/Kunden gebracht. Sie werden bei dieser Form bleiben.
Richard Liu, vorher Händler in Konsumelektronik, gilt mit „J.D.com“ als „Jack Ma der Telemedizin“. Die Coronakrise hat die Zahl der Patienten/Kunden verzehnfacht. Das Unternehmen hat einen Wert von 64 Milliarden Dollar erreicht.
Jack Ma selbst betreibt „Ali Health“, Ping An, der größte Versicherungskonzern, betreibt „Good Doctor“, der Hightech-Gigant Tencent („WeChat“) führt „WeDoctor“ und mobilisierte in der Corona-Krise 20.000 Ärzte zum Online-Einsatz. Während der mehrwöchigen Wuhan-Hubei-Quarantäne suchten viele junge Menschen online Rat für ihre Eltern und Großeltern, die (noch) nicht computeraffin sind.
Alle diese Firmen haben in der Corona-Krise online freigeschaltet. Das können sie sich leisten, denn sie sind heute die einzigen Firmen, deren Kurse an der Börse in der Corona-Krise gestiegen sind: Jack Mas „Ali Health“ um 74 Prozent, Ping Ans „Good Doctor“ um 33 Prozent!
Corona wird alle politischen Systeme rund um den Erdball einem Test unterziehen. Noch mehr Unruhe kommt in die Welt. In Krisenzeiten wird von Machthabern Rechenschaft verlangt. Haben sie sich und haben sich ihre Methoden bewährt?
Auch die Machthaber kommen unter Druck
- Putin: Der Kremlchef kommt durch den Preisverfall von Erdöl und anderen Rohstoffen, die Russlands Kassen füllen, mächtig in die Bredouille. Russlands Wirtschaft ist heute noch immer extrem rohstoffexportabhängig. Aus den märchenhaften Sozialversprechen in der neuen Verfassung wird wohl nichts werden.
- Trump: Die Wiederwahl könnte nun doch eng werden. Hektisch versucht er, von seinem bisherigen Krisenversagen abzulenken und das „Macher“-Image zu retten. Die Corona-Krise entlarvte Trump als Blender. Keine Jubelbäder mehr in tobenden Arenen. Jetzt geht es um Menschenleben, und für Trump heißt es wie im letzten Satz der Bajazzo-Oper: La commedia è finita.
- Xi Jinping: Ein Virus hat dem „stärksten Mann seit Mao“ einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht. Jede Hochkonjunktur geht einmal zu Ende, und Covid-19 könnte jener Stoß gewesen sein, der den historischen Höhenflug der chinesischen Wirtschaft nach 40 Jahren zwar nicht zum Absturz bringen, aber doch in seichteres Fahrwasser lenkt.
Das „System Xi“ ist mehr als jenes seiner Vorgänger auf die Einschränkung von Freiheit fixiert. Das hat bisher funktioniert. Es gab keinen Druck von unten, solange sich jeder Chinese ausrechnen konnte, dass es ihm im nächsten Jahr (noch) besser gehen wird als in diesem. Erst in Krisenzeiten wird die Frage nach Demokratie und Freiheit gestellt. Die Protest(exzesse) in Hongkong hängen wie ein Damoklesschwert über dem „System Xi“.
Chinas Wirtschaft hat - so wie jene in der ganzen Welt - einen schweren Schlag erlitten. Chinas merkantilistisches Wirtschaftsmodell kann in dieser Abwärtsspirale schwer ins Schleudern kommen.
Die EU wurde in dieser Krise endgültig als Schönwetterverein entlarvt. Wenige Wochen nach Ausbruch der Krise scheint wenig übrig geblieben zu sein vom ständig beschworenen europäischen Geist. Jeder Mitgliedsstaat ist sich selbst der Nächste, trifft nationale Entscheidungen, verfolgt eine eigene Strategie zur Eindämmung der Epidemie - oft zum Ärger der Nachbarn. Jede Regierung sucht einen eigenen Weg, ihre Bevölkerung zu schützen.
Brüssel ist zur Zuschauerrolle verdammt und darf „Leitlinien“ vorgeben, wenn es die Staats- und Regierungschefs erlauben. Es zeichnet sich die Rückkehr zur Kleinstaaterei ab.
Ob sich die EU je von dem Schlag gegen ihre Autorität erholt? Ist transnationale Solidarität wirklich nur ein schönes Wort für Sonntagsreden? Diese Naturkatastrophe muss doch allen Staaten die Augen geöffnet haben, dass sie als Schicksalsgemeinschaft im gleichen Boot sitzen, und wie zwergenhaft nationaler und politischer Zank ist.
Die Corona-Epidemie und ihre Folgen werden sich als historischer Moment in das kollektive Gedächtnis der Völker einprägen. Der Gang der Geschichte wird einmal als eine Zeit vor Corona und eine Zeit nach Corona bezeichnet werden.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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