Eigentlich hätte „Rock-Professor“ Reinhold Bilgeri seinen 70er heute, am 26. März, standesgemäß auf der Bühne feiern sollen. Im Rahmen seiner Konzerttour „70 and still Rocking“ war ein Auftritt in Wien geplant, doch kam der Coronavirus in die Quere. Die Absage des Tour-Starts findet Bilgeri „schade“, er weiß sie aber auch gleich einzuschätzen: „So what“, meint er, die Gesundheit stehe über allem.
„Ich sehe die Krise einerseits besorgniserregend und andererseits als große Chance auf einen globalen Wandel in unserer seelischen Verfasstheit. Einerseits apokalyptische Szenarien (z.B. in italienischen Spitälern) und auf der anderen Seite eine grenzenübergreifende Solidaritätswelle, eine Entschleunigung, die den Planeten aufatmen lässt und uns auf uns selbst zurückwirft - das könnte ein kathartischer Prozess werden, der uns die viel größere Bedrohung, nämlich den Klimawandel, mit andern Augen sehen lässt - denn jetzt wissen wir: ES GEHT JA!!“, schreibt er im E-Mail-Interview mit der APA. „Und noch was: Dieses kleine Virus entlarvt die spalterisch hetzenden Rechtspopulisten als unfähige Tölpel im Krisenmanagement, es kann nicht nur Lungen killen sondern vielleicht auch die Trumps dieser Welt.“
Lust auf das Rampenlicht
Der in Götzis im heimischen Vorarlberg ausgefallene Tour-Auftakt soll am 30. Mai nachgeholt werden, ob dann - oder vielleicht schon anderswo davor - gerockt werden kann, wird sich weisen. So oder so wird man Bilgeri weiter auf der Bühne sehen, denn: „Filme machen, Konzerte spielen - soll gut gegen Alzheimer sein -, Romane und Drehbücher schreiben, das wird mein Leben sein, auch in Zukunft“, ist er überzeugt.
70 Jahre alt zu sein fühle sich gar nicht viel anders an als 60. „Ich kann noch immer auf der Bühne herumturnen, den Hintern shaken und hab‘ nicht wirklich Atemnot beim Singen“, stellt er wie stets mit einem großen Schuss Selbstironie fest. 70 sei eine schöne runde Zahl, „in der einige meiner wichtigsten Träume Wirklichkeit geworden sind“, unterstreicht der Vorarlberger Musiker, Autor und Filmemacher. Er verhehlt auf die Frage nach seinem persönlichen Perspektivenwechsel in 70 Jahren Lebenszeit aber auch nicht, dass „die Euphorie der frühen Nachkriegsjahrzehnte einer großen Zukunftsskepsis gewichen“ ist. Er gehöre zur meistbegünstigten Generation, die je auf diesem Planeten gelebt habe, „wir hatten eine geile Zeit“.
Musiklehrer
Dass er ein Rockstar werden muss, hat Bilgeri schon als Teenager in seiner Internatszeit in Feldkirch gewusst und beschlossen. Seine Musiklaufbahn begann in den 1960er-Jahren bei diversen Rockbands, 1973 gelang ihm gemeinsam mit seinem Freund, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, der Durchbruch: Das Mundartlied „Oho Vorarlberg“ wurde zum Hitparaden-Erfolg und zur heimlichen Landeshymne. Parallel dazu verfasste Bilgeri Hörspiele, Drehbücher und Kabarettprogramme. 1981 hängte er seine sichere Stelle als Professor für Deutsch, Geografie, Psychologie und Philosophie an den Nagel (Bilgeri: „über Nacht, ohne einen Plattenvertrag in der Tasche zu haben“) und widmete sich ganz dem Musikgeschäft.
Der Popsong „Video Life“ (1981) wurde zu einem seiner größten Hits, weitere folgten. Bis in die 1990er-Jahre verkaufte Bilgeri mehr als drei Millionen Tonträger, heimste sieben Gold- bzw. Platinplatten ein. Zudem arbeitete er als Regisseur für TV-Shows und Videoclips, auch wenn die breite Öffentlichkeit davon eher nichts wusste. 1989 heiratete er Beatrix Kopf, Ex-Miss Austria, Top-Model und Schauspielerin. Mitte der 1990er-Jahre wurde es ruhiger um Bilgeri, der sich mehrfach über den „Ö3-Boykott“ ärgerte. Die freigewordene Zeit nutzte er „schreibend und als Papa“ von Tochter Laura.
Volles Risiko
2005 gingen die großen Scheinwerfer für Bilgeri wieder an - allerdings nicht für den Musiker Bilgeri, sondern für den Autor. Sein Romandebüt „Der Atem des Himmels“ wurde zum Bestseller, in weiterer Folge verfilmte er den Stoff mit seiner Frau in der Hauptrolle - und war auch damit sehr erfolgreich. Der Film stellte für Bilgeri ein großes finanzielles Risiko dar, mit seinem Haus als Pfand nahm er einen Kredit über zwei Millionen Euro auf und brachte zwei weitere Millionen zusammen. Seine Frau und er hätten sich mit dem Projekt so weit aus dem Fenster gelehnt, „dass uns nichts mehr anderes übrig blieb, als auf die Klippe loszurennen in der Hoffnung, fliegen zu können... und wir sind wirklich geflogen“, stellte er später fest, mit dem Zusatz: „Ich hätte auch voll auf die Schnauze fallen können.“ Als Regisseur setzte er auch „Erik & Erika“ - die Geschichte des Skirennläufers Erik Schinegger, der als Erika 1966 Abfahrts-Weltmeisterin wurde - filmisch um. Die Erstausstrahlung im ORF am 6. Jänner dieses Jahres wurde von durchschnittlich 721.000 Sehern verfolgt.
Seine drei Berufe werde er „bis zum Ende“ ausüben, „weil‘s einfach saumäßig Spaß macht“, so Bilgeri. Von der Bühne werde man ihn aber nicht tragen müssen, werde er doch wissen, wann es „gut sein“ wird. Es sei ein großes Privileg, von dem gut leben zu können, was man am allerliebsten mache - und genau das sei neben der genetischen Disposition die Voraussetzung für ein gut funktionierendes Immunsystem. Er hoffe, „im Kielwasser meiner Mama zu schwimmen“, meint Bilgeri: „Die ist mit 101 gegangen.“
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