In Zeiten der Corona-Krise steht der Datenschutz vor einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Zu diesem Befund kommt der Wiener Rechtsanwalt Günther Leissler, Experte für Datenschutzrecht und Vorsitzender der AG Datenschutz im Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK). „Der Fokus richtet sich auf das Wohl der Gesamtbevölkerung. Da rückt notwendigerweise der Einzelne in den Hintergrund“, meint Leissler. Dass mit speziell entwickelten Apps die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden soll, ist für den Experten unter Einhaltung bestimmter Richtlinien zulässig: „Es muss gesichert sein, dass die App nur auf freiwilliger Basis genutzt wird und kein Gesetz einen dazu zwingt, sie zu installieren.“
Der Nutzer müsse außerdem „volle Aufklärung“ erfahren, betont Leissler: „Er ist im Vorhinein umfassend zu informieren, was mit seinen Daten geschieht, wer diese Daten bekommt und was damit gemacht wird.“ Die Daten dürften unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausschließlich für die definierten Zwecke verwendet und nicht länger als erforderlich gespeichert werden. Eine statistische Auswertung sei „sicher sinnvoll“ und zulässig, so lange dabei die Anonymität des Einzelnen gewahrt bleibt. Ist die Krise ausgestanden und sind alle Daten ausgewertet, sind diese zu löschen, betont Leissler.
Vom einzelnen Individuum zum Gesamtwohl
Was den Datenschutz betrifft, sei grundsätzlich zwischen dem Zeitpunkt vor und jenem nach Ausbruch der Corona-Krise zu unterscheiden: „Je mehr die gesamte Bevölkerung einem Gefahrenpotenzial ausgesetzt ist, desto mehr beginnt sich die Rechtsgutabwägung vom einzelnen Individuum zum Gesamtwohl zu verschieben.“
Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, setzt das Rote Kreuz auf die App „Stopp Corona“, die als eine Art Kontakttagebuch via Smartphone gedacht ist und über Verdachtsfälle und bestätigte Infektionen von Personen informiert, mit denen man in den vergangenen 48 Stunden Kontakt hatte. Durch „digitales Händeschütteln“ werden Handy-IDs ausgetauscht, wenn eine der Kontaktpersonen Covid-19-Symptome entwickelt oder positiv getestet wurde, wird der Nutzer automatisch benachrichtigt und gebeten, sich selbst zu isolieren. Der Austausch der Daten und die Benachrichtigung erfolge anonym, versichert das Rote Kreuz.
Lösung für Tracking-Apps gesucht
Seit Tagen arbeitet auch ein mittlerweile auf über 80 Personen angewachsenes Team aus ganz Österreich um den Betriebswirtschaftsstudenten und Start-up-Gründer Michael Kowatschew an dem automatisierten Corona-Warnsystem NOVID20. Dieses soll bis Ende März als Smartphone-App verfügbar sein, betonten Vertreter des derzeit in Gründung befindlichen Vereins NOVID20. Unterstützt vom Mediziner Franz Wiesbauer, zahlreichen App-Entwicklern, Wissenschaftlern, Juristen sowie Datenschutz- und Technologie-Unternehmen soll nach dem Vorbild von Tracking-Apps aus Asien eine adaptierte europäische Lösung entstehen, die höchsten Datenschutzstandards entspricht.
Ziel der Technologie sei es, die Ansteckungsrate rasch zu minimieren. Die Entwickler verweisen auf andere Länder, wo es gelang, mit einem app-basierten Ansatz die Ansteckungsrate rasch einzudämmen, indem App-Nutzer auf Risikozonen hingewiesen wurden. „Wir sind überzeugt, dass neben den Bewegungseinschränkungen und Quarantäne-Maßnahmen auch moderne technologische Ansätze einen entscheidenden Beitrag leisten, Menschen frühzeitig zu warnen und die Ansteckungsrate zu verlangsamen“, erklärt Kowatschew. Das würde nicht nur das Beispiel Südkorea, sondern auch aktuelle Technologie-Entwicklungen in Singapur und Israel zeigen.
Israel vertraut auf „Schild“
Dort soll „Das Schild“ die Bevölkerung vom Kontakt mit am Coronavirus erkrankten Mitmenschen schützen. Die am Sonntag veröffentlichte App nimmt die Standortdaten des Nutzers und vergleicht sie mit den Informationen, die das israelische Gesundheitsministerium über bestätigte Fälle der vergangenen 14 Tage vorliegen hat. Sollte sich eine Übereinstimmung ergeben, wird dem Nutzer die Option gegeben, dies dem Ministerium mitzuteilen.
Der Schutz der Privatsphäre sei voll gewährleistet, die Teilnahme freiwillig, bemühte sich die Behörde zu betonen. Die Einführung der App „HaMagen“ kam nur wenige Tage, nachdem sich Israels Inlandsnachrichtendienst Shin Bet anders den Zugang zu Daten über mögliche Infizierte verschafft hatte. So beauftragte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Geheimdienst nach dem Erlass einer Notstandsverordnung damit, per Auswertung von Smartphone-Daten Bewegungsprofile zu erstellen, um Corona-Kranke ausfindig zu machen. Sollte sich die erfasste Person mehr als zehn Minuten im näheren Umkreis (zwei Meter) eines Infizierten aufgehalten haben, wird sie per SMS dazu aufgefordert, sich unverzüglich in Selbstisolation zu begeben.
Netanjahu sagt über die datenschutzrechtlich bedenkliche Maßnahme: „Wir müssen die Balance bewahren zwischen Rechten des Einzelnen und den Bedürfnissen der Gesellschaft, und das tun wir.“
Ampelsystem gegen Ausbreitung in China
In China setzt man im Kampf gegen die Verbreitung des Virus indes aufs Ampelprinzip. In Kooperation mit dem Online-Handelsriesen Alibaba wurde dafür der Alipay Health Code lanciert. Die mit dem gleichnamigen Zahlungsdienst verknüpfte App weist dem Nutzer einen grünen, gelben oder roten QR-Code zu, nachdem dieser einige persönliche Daten eingetragen hat. Nur der grüne Code erlaubt es, sich frei zu bewegen. Wer den gelben bekommt, soll sieben Tage zu Hause bleiben, rot bedeutet eine 14-tägige Quarantäne.
Wie genau die landesweit seit Anfang März propagierte App funktioniert, bleibt unklar. Naheliegend ist, dass staatliche Stellen Zugriff auf eine Fülle an Nutzerdaten haben. Kontrolliert werden die Codes vor U-Bahn-Stationen, vorzuweisen sind sie auch bei Restaurantbesuchen oder dem Einlass in Hotels. Laut einem Bericht der „New York Times“ sendet die App Standortdaten an die Polizei. Erst diese Woche zog der chinesische Techgigant Tencent nach und rollte eine ähnliche App für Studenten aus, die langsam wieder in die Schulen zurückkehren dürfen.
Chinesisches Überwachungsmodell „schlechtere Lösung“
Für den Bundesrettungskommandanten des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, ist das chinesische Modell der Überwachung jedenfalls die „schlechtere Lösung“. Einerseits würde dies nach Foitiks Ansicht zu Stigmatisierung führen, andererseits würden sich bestätigte Fälle ohnehin schon in Quarantäne befinden. „Und dass dieser Mensch vorher etwa in der gleichen Straße wie ich einkaufen war, heißt noch lange nicht, dass ich auch infektionsgefährdet bin“, betont Foitik.
In Österreich seien bisher alle positiven Corona-Fälle auf „engen, persönlichen Kontakt“, also über 15 Minuten und mit weniger als einen Meter Distanz, mit bzw. zu bereits Infizierten zurückzuführen. Begegne man sich also auf der Straße, sei die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung gleich null, so Foitik. Sollte es massive Infektionsübertragungen geben, wäre eine Überwachungstechnologie wie in China „vielleicht sinnvoller“, erklärte er. Allerdings werde dieses Gebiet dann ohnehin als Risikogebiet eingestuft.
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