Kanzler Sebastian Kurz (33) musste das Land quasi über Nacht in einen nie da gewesenen Krisenmodus versetzen. Wie erlebt er selbst diese schwere Zeit? Ein Gespräch über ein komplett verändertes Leben, 18-Stunden-Tage, schlaflose Nächte, Notfallbetten im Kanzleramt bis hin zum Versagen der EU und der Frage, wie es im Sommer weitergeht.
Der sonst so kontrollierte Kanzler wirkte ungewohnt bewegt und betroffen, als er die österreichische Bevölkerung kürzlich per TV-Ansprache auf die nötigen Maßnahmen einschwor. Mit bebender Stimme schilderte er die Dramen in italienischen Notstationen, wo sich Sterbende nur noch per Telefon von ihren Liebsten verabschieden dürfen. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gelte es, unser Land vor Ähnlichem zu bewahren. Und er fügt hinzu: „Corona wird für uns alle Einschränkungen bedeuten, aber auch Leid und Tod für viele.“
Kurz hat das Land in kürzester Zeit in den Notfallmodus gesetzt
Während Sebastian Kurz an diesem Wochenende vor zwei Wochen das Land krisenbedingt unter Hochdruck in kürzester Zeit in den Notfallmodus setzt, ist die EU derweil mit oberster Priorität noch damit beschäftigt, die Grenzschließungen der Nationalstaaten zu kritisieren und sich um die minderjährigen Flüchtlinge vor der griechischen Außengrenze zu sorgen. Ihre Reise zur Abholung der Schutzbedürftigen muss Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen Corona-bedingt dann aber doch kurzfristig absagen und mit einwöchiger Verzögerung eingestehen: „Wir alle, die keine Experten sind, haben das Virus unterschätzt.“ Dabei ist die 61-Jährige nicht nur selbst Ärztin, sondern sogar auch noch mit Schwerpunkt „Öffentliche Gesundheit“.
„Bild“-Zeitung schwärmt von Kurz: „So einen brauchen wir auch!“
Das auflagenstarke deutsche Massenblatt „Bild“ titelt über Kurz: „So einen brauchen wir auch!“, und nennt ihn „Corona-Klartext-Kanzler“.
In der Schwäche zeigt der Kanzler wieder seine Stärke
In der Schwäche zeigt der 33-Jährige wieder seine Stärke als oberster Krisenmanager. Nicht nur im schnellen Erfassen, der Planung und Umsetzung der drastischen Maßnahmen weit vor allen anderen, sondern auch in seiner verlässlichen Kommunikation und seiner Überzeugungskraft. Beides ist essentiell im Kampf gegen eine Epidemie, den die Bevölkerung mittragen muss. Eine gewisse Routine im Umgang mit Extremsituationen kann man ihm trotz seiner jungen Jahre nach Flüchtlingskrisen und Ibiza nicht mehr absprechen. Doch woher kommen sein Mut und seine Stärke? Wie hält er dieses Pensum durch? Plagen ihn nie Zweifel oder Albträume?
Es ist später Abend, als das Telefon zum Interview läutet und er sich vorweg gleich mal für die Verzögerung entschuldigt, die wirklich jeder verstehen kann: „Normalerweise versuche ich schon, pünktlich zu sein. Ich hoffe, das wissen Sie!“ Die Stimme klingt erstmals etwas müde, aber er ist diszipliniert und konzentriert wie immer.
„Krone“: Wann war der Moment, an dem Ihnen die Dimension der ganzen Sache bewusst geworden ist?
Sebastian Kurz: Das ging eigentlich alles relativ rasch nach einem Anruf des israelischen Ministerpräsidenten Bibi Netanjahu. In Europa war das Coronavirus vor ein paar Wochen bis auf ein paar Einzelfälle noch kein großes Thema. Aber er hat mich gewarnt: „Ihr unterschätzt das. Europa muss dringend aufwachen! Es ist etwas sehr Großes und Bedrohliches.“ Dann haben wir mit unseren Experten die Fallzahlen studiert und sind schnell zum Schluss gekommen, dass wir früh und hart reagieren müssen, wenn wir noch das Schlimmste abwenden wollen.
Waren Sie erschrocken, als Ihnen die Dimension klar wurde?
Dafür war eigentlich gar keine Zeit. Es kam schließlich alles sehr schnell von der ganzen Dynamik. Wobei ich sagen muss, dass mein außenpolitischer Sprecher Etienne Berchtold gemeinsam mit unseren Experten schon früh davor gewarnt hat.
Wie viel Mut haben Sie für diese drastischen Maßnahmen gebraucht? Es ist ja kein Tagesgeschäft, ein Land von heute auf morgen quasi auf null zu setzen mit all den wirtschaftlichen Konsequenzen. Hatten Sie Zweifel?
Es war keine Frage des Mutes, sondern der Notwendigkeit. Es war alternativlos, daher diese Entschlossenheit. Dass es zu diesem Zeitpunkt noch für viele nichts anderes als eine Grippe war und viel verharmlost wurde, hat die Sache nicht unbedingt leichter gemacht. Ich muss sagen: Es war wirklich ein Kraftakt, weil es viel Gegenwind gab.
Von wem? Von der Wirtschaft? Den Experten oder aus den eigenen Reihen?
Nein, die Wirtschaft hat es verstanden. Die Diskussion darüber nützt nun niemandem.
Können Sie noch schlafen, oder liegen Sie nachts wach?
Ich hab schon besser geschlafen, aber die Tage sind seit Wochen so lang und fordernd, dass zum Wachliegen keine Zeit bleibt. (Kurz lacht gequält)
Wie sehen Ihre Tage derzeit aus? In der Früh hört man Sie schon auf Ö3, spätabends noch in der „ZiB 2“. Davor und danach stehen Planung und Krisenstäbe am Programm.
Wir haben im Büro jetzt ausgemacht, dass keiner mehr als 18 Stunden arbeiten darf, weil wir das jetzt ja alle noch eine Zeit lang durchhalten müssen. Ich bin ein Nachtmensch und gewohnt, bis 1 oder 2 Uhr in der Früh zu arbeiten. Viele Stunden Schlaf gehen sich da nicht aus.
Zeit für Persönliches oder Sport bleibt da nicht? Wann waren Sie zuletzt laufen in Schönbrunn oder dem Auer-Welsbach-Park?
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Es ist sicher mehrere Wochen her. Schönbrunn hat eh zu. Wer mich kennt, weiß, dass ich Sport für meinen inneren Rhythmus brauche und deswegen jetzt irgendwann mal einschieben muss.
Wann haben Sie Ihre Lebensgefährtin Susanne zuletzt gesehen?
Wir sehen einander kurz in der Früh beim Außer-Haus-Gehen. Susanne hat kein Home-Office. Die Öffentlichkeitsarbeit des Finanzministeriums gehört zu den systemrelevanten Aufgaben.
Ihre Eltern, die bei Ihnen um die Ecke wohnen, treffen Sie derzeit aber nicht, um sie zu schützen. Sie haben erzählt, dass es auch für sie nicht einfach sei.
Ja, auch in meiner Familie stehen derzeit starke Entschleunigungen und viel Verzicht im Vordergrund. Das ist auch hier nicht einfach. Meine Eltern gehören aufgrund des Alters zur besonders zu schützenden Gruppe und dürfen derzeit nicht arbeiten. Aber wir telefonieren, sind in Kontakt, und Susanne stellt ihnen die Einkäufe vor die Türe.
Finden die Besprechungen mit Ihrem engsten Team noch in gewohnter Weise statt oder nur noch als Telefonkonferenzen?
Da wir ohnehin seit Wochen in engem Kontakt waren, finden die Besprechungen wie gewohnt statt. Aber natürlich mit ausreichend Abstand, um das Risiko begrenzt zu halten. Wir sind ja ohnehin schon fast wie eine WG. Alle anderen Kontakte sind auf das Nötigste reduziert.
Tragen Sie Atemmaske?
Nein.
Aber die tägliche Fiebermessung am Eingang des Kanzleramts müssen auch Sie vornehmen lassen?
Ja, da gilt auch für mich keine Ausnahme.
Was wäre, wenn Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter erkranken würden?
Es ist eine Stellvertretung organisiert, damit wir in jedem Fall voll handlungsfähig bleiben würden. Am Ballhausplatz wäre alles für einen möglichen Notfall vorbereitet, wir haben sogar Betten, falls das Regierungsviertel abgesperrt werden müsste. Alle wichtigen Ministerien und die Hofburg sind zudem auch mit unterirdischen Gängen miteinander verbunden.
Nach der Flüchtlingskrise hat die EU nun auch bei Covid-19 versagt. Wie wird sich das für die Zukunft auswirken? Wird man sie je noch ernst nehmen? Bedeutet dies nicht einen enormen Autoritätsverlust?
Die EU wird sich nach der Krise eine kritische Diskussion und Auseinandersetzung damit gefallen lassen müssen. Es kann nicht sein, dass wir zwei Wochen lang komplett auf uns allein gestellt darum kämpfen müssen, dass ein Lkw mit bereits von uns bezahlten und dringend benötigten Schutzmasken an der deutschen Grenze hängt, weiterfahren darf, und gleichzeitig unsere Kontrollen zu Italien kritisiert werden.
Sie haben mehrfach betont, dass sich unser Leben empfindlich verändern wird. Wie meinen Sie das?
Die Auswirkungen werden weit ärger sein als in der Krise 2008, weil sie die Realwirtschaft stärker belasten. Das muss uns allen klar sein.
Könnte es sein, dass wir bald wieder von Eurorettung und Schutzschirmen für italienische Banken reden müssen, die das Ausmaß von Griechenland bei Weitem übersteigen?
Es gilt jetzt alles zu tun, damit dies nicht der Fall sein wird.
Sie haben ein gigantisches 38-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Wirtschaft geschnürt. Es soll Unternehmen bei der Kurzarbeit helfen, aber auch Kleinen, denen Aufträge entgangen sind. Wird es auch einen Bonus für jene geben, die jetzt noch mehr arbeiten müssen und damit das System am Laufen halten, während andere Zeit mit ihrer Familie verbringen und spazieren gehen können? Das wäre doch fair, oder? Aber dann wären wir allerdings eh beim „Helikoptergeld“.
All diesen Leuten gilt es, in besonderer Weise Danke zu sagen! Da ist eine Anerkennung schon fällig. Diese ist aber Sache der Sozialpartner und der Betriebe, von denen einige schon entsprechend reagiert haben. Wir haben derzeit alles zu unternehmen, damit die Menschen ihre Jobs nicht verlieren und dadurch die gesamte Wirtschaft zerstört wird. So gesehen helfen die ausgezahlten Unterstützungen jetzt uns allen und nicht nur den Einzelnen.
Wie werden Sie Ostern verbringen?
Aufgrund der Maßnahmen leider noch nicht mit meinen Eltern. Vermutlich werde ich mit meinem Team hier sein und planen, wie wir das Leben danach langsam Schritt für Schritt wieder hochfahren können. Das muss gut überlegt sein, damit wir damit nicht alle unsere Anstrengungen zunichtemachen.
Werden wir einen unbeschwerten Sommer haben können? Oder müssen wir mit geschlossenen Schwimmbädern, Grenzen, abgesagten Konzerten, Festen und Urlauben rechnen?
Es gilt jetzt das Bestmögliche zu tun, damit wir dann das Gröbste überstanden haben. Darum bitte ich alle, die Maßnahmen weiter diszipliniert durchzuhalten, weil die Wahrscheinlichkeit auf etwas Normalisierung dann höher ist.
Edda Graf, Kronen Zeitung
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