Das große Interview

„Spätestens im Herbst haben wir etwas Wirksames“

Persönlich
29.03.2020 06:00

Er ist ein Weltstar der Virologie, hat Medikamente gegen Grippe, HIV und Hepatitis C entwickelt. Und er ist mein Bruder. Im „Krone“-Interview spricht der Biochemiker Dr. Norbert Bischofberger (64) über das heimtückische Coronavirus, den Wettlauf der Forscher im Kampf um einen Wirkstoff, politische Versäumnisse und das Ende der Pandemie.

Als Nori Samstagmorgen am Handy abhebt - bei ihm in Kalifornien ist es kurz vor Mitternacht - störe ich ihn gerade bei seiner Lieblingsshow, „60 Minutes“ auf CBS. Heim-Quarantäne. „Sie machen sich über Ischgl lustig“, erzählt er mir, die Vertuschung von Corona in Tirol sei sogar Thema in der „Financial Times“ gewesen. Norbert ist 1983 in die USA ausgewandert und hat dort einen unglaublichen Karriereweg hingelegt. Der Erfinder von mehreren hochwirksamen Medikamenten gegen Infektionskrankheiten, der große Stratege gegen tödliche Viren, war schon als Kind Feuer und Flamme für Chemie. Auf dem Dachboden unseres Wirtshauses im Bregenzerwald richtete er sich ein Geheimlabor ein. Er war zwölf, ich acht. Zum Geburtstag schenkte er mir eine weiße Schürze, und fortan durfte ich ihm bei seinen Versuchen assistieren - und die Reagenzgläser waschen.

„Krone“: Wir sitzen beide im Home-Office, 9000 Kilometer voneinander entfernt. Hättest du dir je gedacht, dass ein Virus die ganze Welt in die Knie zwingt?
Dr. Norbert Bischofberger: Ich habe nicht konkret daran gedacht, aber dass einmal eine Pandemie kommen wird, lag auf der Hand. Es war nicht die Frage, ob, sondern wann das passieren wird. Erschreckend ist, wie unvorbereitet wir darauf sind.

Amerika hat mit mehr als 100.000 Infizierten bereits China überholt. Wie ist die Situation in Kalifornien?
Wir haben 320 Millionen Einwohner, also ist es naheliegend, dass eine große Zahl an Corona-Infizierten hier in den USA sein wird. Aber es ist interessant, dass bisher New York die meisten Fälle hat, zehn Mal mehr als Kalifornien. Hier sind die Leute in den letzten Tagen massenweise zum Beach gegangen, weil Spazierengehen ausdrücklich erlaubt war. Daraufhin hat der Governor damit gedroht, die Strände und Parks mit der Nationalgarde abzusperren. Jetzt sitzen wieder alle zu Hause, ich auch …

Warum gibt es bei der Verbreitung so einen großen Unterschied zwischen der Ost- und der Westküste?
Los Angeles und New York sind vergleichbar, beide haben acht bis zehn Millionen Einwohner. Aber wer je in der Grand Central Station war, kann ermessen, warum New York besonders betroffen ist. Dort steigen sieben Millionen Menschen täglich in die Züge und U-Bahnen, während sich in L. A. jeder in sein Auto setzt. Somit gibt es in Kalifornien viel weniger Mensch-zu-Mensch Übertragung. Ich glaube, das ist der Grund.

Du beschäftigst dich seit 30 Jahren mit Viren. Wie muss man sich diese Tierchen überhaupt vorstellen?
Tierchen ist nicht ganz richtig. Denn dann würde das Virus leben. Es ist aber ein Ding in der Mitte, nicht tot, aber auch nicht lebendig. Ein Virus kannst du kristallisieren, in ein Glas geben und für immer aufheben. Das ist weder mit Bakterien möglich noch mit Hefe, also mit nichts, was lebt. Weil Zellen Sauerstoff und Nahrung brauchen, um zu überleben. Beim Virus ist das anders. Es bleibt in diesem Zustand, aber sobald es in Kontakt mit einem Wirt kommt - das kann ein Mensch sein oder ein Tier oder sogar eine Bakterie - beginnt es, schlimme Dinge zu machen. Es dringt in Zellen ein, zwingt diese, neue Viren zu produzieren, es beginnt, sich zu vervielfachen, und sucht sich neue Opferzellen aus.

(Bild: stock.adobe.com)

Sieht das Corona-Virus wirklich so aus, wie es jetzt überall abgebildet ist: klein, rund und stachelig?
Viren sind einhundertmal kleiner als Bakterien, sehen würde man die Struktur nur unter einem Elektronenmikroskop. Aber ein Virus schaut man sich nicht an, es genügt, wenn man sieht, was es macht. Man kann es im Labor herstellen, aber normalerweise ist es in einer Lösung, da gibt es nichts Rundes oder Stacheliges zu sehen.

Warum ist gerade Corona so gefährlich?
Ich würde nicht sagen, dass SARS-CoV-2 das gefährlichste aller Viren ist, es liegt ungefähr in der Mitte. Ebola beispielsweise attackiert die Blutgefäße, verursacht Blutungen und hat eine höhere Sterberate. Und bevor wir wirksame Medikamente hatten, war HIV 100 Prozent tödlich. Corona sucht sich als Wirt die Lunge aus, greift die Atemwege an, und dann haben einige Patienten Probleme mit der Atmung. Jedes Virus macht sein eigenes Ding. Und drei andere Viren rufen ähnliche Symptome wie Corona hervor: Influenza, Parainfluenza und das Respiratorische Synzytial-Virus.

Könnte Tamiflu, das du gegen Grippe entwickelt hast, bei Corona nicht auch wirken?
Nein. Weil das trotzdem komplett verschiedene Viren sind, die haben nichts miteinander zu tun. Das Angriffsziel von Tamiflu ist etwas, das Neuraminidase genannt wird und das ist einzigartig für Influenza. Es gibt keine Neuraminidase in Corona.

Im Februar hast du noch gemeint, Corona werde wie andere Viren kommen und gehen. Hast du es unterschätzt?
Ich lag offensichtlich vollkommen falsch. Es war bisher bei den meisten Viren so, aber dieses wird nicht so schnell verschwinden, es ist mittlerweile überall. Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder entsteht im Großteil der Bevölkerung eine Immunität, was entweder durch Infizierung oder durch einen Impfstoff geschehen kann. Oder es gibt bald eine wirksame Behandlung.

Wie lange könnte eine solche Immunisierung dauern?
Die derzeitigen Tests zeigen nur, ob man das Virus in sich trägt oder nicht. Und wir testen nur die mutmaßlich Infizierten. Und weil viele Infizierungen ohne Symptome verlaufen und diese Leute nicht diagnostiziert werden, ist die Infektionsrate vielleicht zehnmal höher, als wir denken. Wir brauchen auch Antikörper-Tests, die auch zeigen, wenn jemand Corona hatte und Immunabwehr entwickelt hat. Dann käme man laut einer Studie zum Schluss, dass der Großteil der Bevölkerung infiziert war.

Welche Studie?
Sie wurde gerade von der Oxford-Universität publiziert und kam zum Ergebnis, dass 50 Prozent der UK-Bevölkerung infiziert gewesen sein könnten. Und das sind gute Nachrichten! Das bedeutet, dass 50 Prozent vielleicht Immunität haben und nur eine Minderheit krank wurde.

(Bild: LaPresse via AP)

Aus Bergamo, Italien, kommen erschreckende Bilder. Lastwagen mit Leichen. Massengräber. Weinende Ärzte und Krankenschwestern, die Sterbende nicht mehr angemessen versorgen können. Wie geht es dir als Forscher, wenn du solche Bilder siehst?
Wie jedem anderen auch. Es ist tragisch. Wir kennen solche Bilder von der Grippe-Pandemie 1918, vom Ebola-Ausbruch in Afrika. Die Menschen tun mir leid. Als Forscher kann ich nur sagen: Es wird weltweit auf Hochtouren gearbeitet, um schnell ein Gegenmittel zu haben.

Die WHO testet derzeit Remdesivir, die Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir und Hydroxychloroquin. Auch dein österreichischer Kollege Josef Penninger forscht an einem Medikament, das vielleicht gegen Corona eingesetzt werden könnte. Welchen Wirkstoffen räumst du als Experte die meisten Chancen ein?
Remdesivir hemmt die Replikation der RNA-Viren - es gibt RNA und DNA-Viren. Wir haben es, als ich noch bei Gilead war, gegen Ebola entwickelt, es aber nie eingesetzt. Wir wussten, dass es auch gegen alle Corona-Stämme wirkt, damals gab es noch gar keine Coronavirus-Infektionen. So viel ich weiß, gibt es derzeit sechs aktive Studien dazu, zwei in den USA, zwei in Europa und zwei in China. Was Josef Penninger macht, ist auch vielversprechend. Er hat ein mögliches Medikament, das es dem Virus verunmöglicht, in die Zelle einzudringen. Von Hydroxychloroquin bin ich nicht so überzeugt, erspare dir aber meine Gründe.

Dr. Josef Penninger (Bild: APA/Georg Hochmuth)
Dr. Josef Penninger

Das heißt, es wird auf jeden Fall bald einen Wirkstoff geben?
Ich bin überzeugt davon, dass ein Wirkstoff oder vielleicht auch mehrere funktionieren werden. Eine Behandlung von Corona-Patienten muss aber innerhalb eines gewissen Zeitfensters passieren. Tamiflu zum Beispiel muss innerhalb von 24 Stunden nach dem ersten Auftreten von Grippe-Symptomen verabreicht werden. Deshalb kann es sein, dass es bei Corona ab einem gewissen Punkt vielleicht zu spät für ein antivirales Medikament ist.

Wie lange wird es dauern, bis zum Beispiel Remdesivir getestet wurde? In Zürich wurde es bereits einem Corona-Patienten verabreicht, mit Erfolg.
Ich denke bis April, spätestens Mai. Vom Schweizer Beispiel habe ich gehört, aber mich interessieren nur Studien, bei denen eine Gruppe von zufällig ausgewählten Patienten mit dem Medikament, eine andere Gruppe mit einem Placebo behandelt wird, dann erst hast du den Beweis, ob ein Medikament tatsächlich wirkt. Ein einzelner Patient sagt gar nichts.

Falls es sich als wirksam herausstellen sollte, wann wäre es für die Gesundheitsbehörden verfügbar?
Es käme darauf an, wie schnell man es herstellen kann. Um einen Patienten zu behandeln, brauchst du ein Gramm. Mit 100 Kilo kannst du also 100.000 Personen behandeln. Es wäre nicht unmöglich, ein paar Hundert Kilo ziemlich schnell herzustellen. Wenn man aber von 100 Tonnen spricht, dann wäre es schon viel schwieriger. Prinzipiell sollte das aber rasch herstellbar und verfügbar sein. Ich würde sagen, innerhalb weniger Monate.

Dr. Norbert Bischofberger (Bild: APA/Georg Hochmuth)
Dr. Norbert Bischofberger

Aber das Medikament ist noch nicht bewilligt, oder?
Richtig, aber auch das sollte schnell gehen. Normalerweise dauert so was ein halbes Jahr oder ein Jahr. Aber in diesem Fall - bei diesem dringenden Bedarf - sollte es innerhalb weniger Wochen möglich sein, zumindest bei der FDA - der Federal Drug Administration. In Europa verhält es sich vielleicht anders.

Was wäre der Effekt?
Es hätte nicht nur einen gesundheitlichen Effekt, weil die Systeme entlastet würden, sondern auch einen riesengroßen psychologischen Effekt. Im Moment haben die Menschen keine Perspektive. Sie wissen nur, dass sie zu Hause bleiben sollen, um sich und andere zu schützen. Aber sobald es eine Behandlung für Corona gibt, würden sie aufatmen können. Sie hätten das Gefühl, dass wir nicht mehr machtlos sind. Das wäre ein großer Schritt.

Wann ist Corona besiegt?
Besiegt ist ein großes Wort. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir im Sommer, spätestens im Herbst, etwas haben werden, das wirksam gegen das Virus ist. Für jene, die bereits auf der Intensivstation sind, könnte es vielleicht zu spät sein, aber für frühe Stadien der Corona-Erkrankung und als Prophylaxe werden wir bald ein Mittel haben.

Wie teuer wäre ein Corona-Medikament?
Das entscheiden die produzierenden Unternehmen. Es ist ein Business, viele investieren und wollen etwas zurückbekommen. Auf der anderen Seite haben wir eine weltweite Krise. Und so muss ein Kompromiss zwischen den Investoren und dem öffentlichen Interesse gefunden werden.

Donald Trump (Bild: AP)
Donald Trump

US-Präsident Donald Trump soll ja einem deutschen Unternehmen viel Geld für einen Impfstoff geboten haben. Hat er auch Gilead kontaktiert?
Ich bin 2019 aus der Firma ausgestiegen. Aber die Antwort ist nein. Und ich kann diese Geschichte auch nicht ganz glauben. Ich möchte das nicht kleinreden, was die in Deutschland machen, aber es gibt ein Dutzend Konzerne, die Ähnliches machen. Moderna zum Beispiel macht bereits klinische Studien mit einem Corona-Impfstoff.

Du glaubst also, der Impfstoff wird aus den USA kommen?
Wenn ich wetten müsste, würde ich auf die USA tippen. Weil hier viel mehr Geld und Ressourcen für Forschung und Entwicklung verfügbar sind. Weltweit arbeiten derzeit 38 Unternehmen an einem Impfstoff, der Großteil sitzt hier.

Wie gehst du mit dem Vorwurf um, der Pharmaindustrie ginge es letztlich nur um Geld und nicht um die Not der Menschen?
Ich kann nur für mich sprechen. Warum arbeite ich denn im Biotech-Bereich? Weil mir die Gesundheit der anderen wichtig ist. Sicher ist es angenehm, Geld zu haben, um ein gutes Leben führen zu können. Aber was bringt es, darüber hinaus noch mehr Geld zu haben? Mich macht es jedenfalls glücklicher, wenn mir Eltern schreiben, dass ihr Kind nicht sterben muss, weil es diesen oder jenen Wirkstoff gibt, als wenn ich meinen Kontoauszug anschaue.

Passiert das oft?
Es passiert dauernd. Ich könnte dir viele Mails zeigen von Patienten - HIV, Hepatitis C -, die sich bedanken für ein zweites Leben. Das ist doch der Grund und der Sinn, warum man so eine Arbeit macht.

Als Österreicher verfolgst du ja sehr genau, was sich bei uns tut. Wie beurteilst du das Krisenmanagement der türkis-grünen Regierung?
Wenn man es vom gesundheitlichen Aspekt betrachtet, dann ist euer Weg der richtige: Schottet das ganze Land einfach ab! Nicht rausgehen, Restaurants und Bars zusperren, Flugverkehr einstellen. Aber vom wirtschaftlichen Aspekt ist es ein komplettes Desaster. Und die Kosten werden ins Astronomische steigen. In den USA haben wir von heute auf morgen drei Millionen Arbeitslose. Wer wird dafür bezahlen? Ihr könnt diese Leute noch ein paar Monate durchtragen, aber was ist dann?

Wie könnte man Corona bekämpfen und gleichzeitig einen Kollaps der Wirtschaft verhindern?
Singapur hat es vorgemacht. Die haben mittels großflächiger Tests festgestellt, wer Überträger ist, haben diese Leute isoliert und festgestellt, mit wem sie Kontakt hatten. Dann wurden die getestet. So mussten nicht alle zu Hause bleiben, sondern nur diejenigen, die positiv getestet wurden. Wenn ich an Tirol denke, dann fehlen mir echt die Worte. Ich habe auf YouTube diesen Satz gehört ...

„Aus medizinischer Sicht …“?
Genau! „Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich.“ Aus medizinischer Sicht! Wie kann ein Beamter so ein dummes Statement abgeben? Ich fasse es einfach nicht. Der richtige Weg wäre gewesen: Jeder in Ischgl wird sofort getestet, die Infizierten werden isoliert, der Rest der Bevölkerung ist geschützt. Heute ist ganz Tirol unter Quarantäne. Das zeichnet - bei all der guten Performance der Regierung - kein positives Bild von Österreich in der Welt.

Wir schreiben Tag 14 des „Shutdowns“. Hat Sebastian Kurz das Richtige getan?
Er musste so handeln. Die Frage wird sein, wann die Beschränkungen gelockert werden, denn diesen Stillstand wird kein Land monatelang durchhalten.

Aber die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. Könnten sie schlimmer sein als die Folgen der Erkrankung selbst?
Ja, das glaube ich tatsächlich. Schau, was bei uns los ist. In den USA haben die großen Hotelketten alle ihre Mitarbeiter freigestellt, die Airlines haben tatsächlich in Erwägung gezogen, gar nicht mehr zu fliegen. Es gibt immer noch Flüge zur Ostküste, aber die sind praktisch leer. Bei euch sind die AUA-Maschinen am Boden, die Autohersteller stoppen ihre Produktion. Es gibt praktisch keine Konsumenten mehr, keine Nachfrage, niemand kauft mehr etwas, alle Einkaufszentren sind geschlossen. Das kann man ein paar Wochen durchziehen, aber nicht monatelang.

(Bild: APA/Helmut Fohringer)

Wird Corona unser Leben in Zukunft verändern? Werden wir anders arbeiten, weniger reisen, rücksichtsvoller gegenüber der Umwelt, den Mitmenschen sein?
Es wird uns ein bisschen sensibilisieren, aber ich persönlich glaube nicht, dass sich fundamental etwas ändern wird. Die Menschen werden vielleicht weniger fliegen, es wird mehr Telekonferenzen geben. Wir werden manchmal zurückdenken an 2020 und uns sagen: Oh mein Gott, das war ein Wahnsinn! Aber schlussendlich wird alles verblassen und sich in der Geschichte verlieren. Wir werden, das ist nur allzu menschlich, zu unseren alten Gewohnheiten zurückkehren.

Hast du persönlich eigentlich vor dem Coronavirus Angst?
Nein. Was immer passieren wird, wird sowieso passieren. Und es betrifft hauptsächlich Ältere.

Du bist auch nicht mehr der Jüngste!
Stimmt. Aber bei bester Gesundheit.

Kennst du einen guten Corona-Witz?
Obwohl Trump nicht gerade ein Stand-up-Comedian ist, fand ich lustig, was er gesagt hat. Ein Reporter wies ihn darauf hin, dass er Corona als „chinesisches“ Virus bezeichnet hatte. Er meinte: „Aber es kam aus China und wir sollten es Kung Flu nennen!“

Wie fühlt sich das eigentlich an, vielleicht etwas entwickelt zu haben, auf das die ganze Welt im Moment wartet?
Na ja, wie soll ich sagen? Schon ziemlich gut. Aber der Punkt ist: Wenn so ein Ding auf den Markt kommt, arbeiten wir schon am übernächsten Problem. Bei mir sind es nicht mehr Viren, sondern Krebserkrankungen.

Vermisst du die kleinen Tierchen?
Nein, ich arbeite jetzt an Behandlungsmöglichkeiten für Leukämie und Lymphomen, an denen Menschen normalerweise sterben. Es gibt ein paar Ähnlichkeiten zu den Viren, aber insgesamt ist Krebs viel komplizierter. Dagegen sind Viren ziemlich simpel zu verstehen.

Fragst du dich manchmal, warum du schon als Kind von Chemie fasziniert warst?
Ja, aber ich habe bis heute keine Antwort gefunden. Ich erinnere mich, dass ich den Drogisten im Nachbardorf überredet habe, mir Unkrautsalz und andere gefährliche Chemikalien zu verkaufen. Der Mann verstand weniger von Chemie als ich. Zusammen mit Zucker - erinnerst du dich noch? - hab ich dann Sprengpulver hergestellt und den Briefkasten in die Luft gejagt. Insofern war es vielleicht nur ein Glück, dass ich nicht Terrorist geworden bin. (Lacht)

Was soll man einmal über Dr. Norbert Bischofberger sagen?
Er hat einen Beitrag dazu geleistet, dass Menschen, die eine schwere Krankheit gehabt hätten oder vielleicht sogar daran gestorben wären, ein gutes Leben führen konnten.

Wie viele Menschen?
Schon ein paar. Allein das HIV-Medikament wird von 20 Millionen weltweit eingenommen.

(Bild: privat)

GROSSER STRATEGE GEGEN TÖDLICHE VIREN
Geboren am 10. Jänner 1956 im Bregenzerwälder Dorf Mellau (Vorarlberg). Chemie-Studium in Innsbruck, Promotion an der ETH Zürich. 1983 geht er in die USA und absolviert an der Harvard University in Cambridge sein Post-Graduate-Studium. Ab 1990 entwickelt Bischofberger beim Biotech-Unternehmen Gilead im Silicon Valley Mittel gegen virale Infektionen wie Grippe (Tamiflu), Therapien gegen HIV (Atripla, Truvada, Biktarvy) und neue Therapien gegen Hepatitis C (Solvadi, Harvoni, Epclusa). Das Ebola-Medikament Remdesivir wird momentan an Corona-Patienten getestet. 2018 gründet er das Start-up Kronos-Bio Inc. (Cambridge, Massachusetts und San Mateo, Kalifornien), wo er an Therapien gegen Lymphome und Leukämie forscht.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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