Südkorea gilt als Vorzeigeland, was die Eindämmung des neuen Coronavirus angeht. Aber was wissen die Südkoreaner über das Virus und wieso sind sie so erfolgreich im Kampf gegen die neue Krankheit Covid-19? In einem Interview auf YouTube legt der führende Experte Dr. Kim Woo Joo von der Korea University dar, was er und seine Kollegen herausgefunden haben.
Südkorea hat die Verbreitung des neuen Coronavirus durch flächendeckende Tests bereits besser erforscht als viele andere Länder - und dadurch unter anderem herausgefunden, dass insbesondere junge Menschen Covid-19 übertragen. Im Interview mit dem YouTube-Kanal „Asian Boss“ hat Kim Woo Joo nun Einblicke in den derzeitigen Forschungsstand gegeben.
In dem Interview erklärt der Arzt zunächst die Herkunft des Virus. Laut derzeitigem Erkenntnisstand komme der Erreger ursprünglich von Fledermäusen, dürfte sich dann auf Schlangen oder Schuppentiere als Zwischenwirt übertragen haben und sei am Tiermarkt von Wuhan schließlich auf den Menschen übergesprungen. Die Folgen waren bekanntlich dramatisch: Binnen Tagen breitete sich die neue Krankheit in Wuhan aus, erst die totale Isolation der Region bremste die Epidemie.
Keine Erfahrung, keine Therapien
Die größte Schwierigkeit im Umgang mit Covid-19 sei laut Kim Woo Joo, dass man keine Erfahrung mit dem neuen Erreger und damit auch keine Behandlungsmöglichkeiten, Medikamente oder Impfungen zur Verfügung hatte. Umso wichtiger sei, die Verbreitung der Krankheit zu verstehen, was in Südkorea mit einer Testoffensive gelungen ist.
Im Gegensatz zu Ländern, in denen weniger getestet wird, wisse man in Südkorea beispielsweise, dass jeder fünfte Erkrankte gar keine Symptome zeige. Das macht Covid-19 so gefährlich: Infizierte, die gar nicht spüren, dass sie krank sind, gehen ihrem Alltag nach und übertragen das Virus auf andere. Ein Risiko, das man durch großflächige Tests in Südkorea verringern konnte.
Gefährlich für Alte, chronisch Kranke und Raucher
Dass Covid-19 vor allem für ältere Personen und Risikogruppen gefährlich ist, bestätigt der Arzt. In Südkorea seien 90 Prozent der Todesopfer älter als 60 Jahre. Das hänge mit den fehlenden Behandlungsmöglichkeiten zusammen. Bei einer Covid-19-Infektion muss der Körper den Erreger selbst bekämpfen und kann nicht mit Medikamenten unterstützt werden.
Damit seien Menschen mit schwächerem Immunsystem, insbesondere ältere, eher gefährdet als junge Menschen. Diese Gruppe verspüre für ein, zwei Wochen leichte oder gar keine Symptome, verbreite die Krankheit in dieser Zeit aber weiter. Als Risikogruppe benennt Kim Woo Joo neben Alten auch Patienten mit chronischen Herz-Kreislauf- oder Lungenkrankheiten sowie Raucher, deren Atmungssystem durch Nikotin geschwächt sei.
Auch wer geheilt scheint, kann nochmals erkranken
Wer Covid-19 überstanden habe, sei vor einem zweiten Ausbruch nicht gefeit, warnt der Südkoreaner: „Das ist das Erschreckende daran.“ Normalerweise entwickle der Mensch Antikörper, die einen erneuten Ausbruch verhindern. Bei Covid-19 habe man in Südkorea aber immer wieder Fälle gesehen, in denen die Patienten als geheilt galten, fünf bis sieben Tage später aber plötzlich wieder Symptome entwickelt hätten.
Die Ansteckung mit Covid-19 erfolge nach bisherigem Kenntnisstand so gut wie immer durch eine Tröpfcheninfektion - also niesende oder hustende Erkrankte - oder durch direkten und indirekten Kontakt. Also durch Händeschütteln, oder wenn ein Kranker Viren auf einer Türklinke hinterlässt, die dann ein Gesunder aufliest. Unter Umständen könne das Virus aber auch als Aerosol übertragen werden.
Menschenmassen helfen Virus, größere Distanzen zu überwinden
Als Beispiel nennt Kim Woo Joo den Fall eines Tempels, in dem stundenlang singende und betende Gläubige bei geschlossenem Fenster versammelt waren. Der diffuse Luftstrom verteile das Virus in so einem Fall auch deutlich weiter als die ein bis zwei Meter, die bei einer klassischen Tröpfcheninfektion möglich seien. In den meisten Szenarien sei diese Aerosol-Infektion aber nicht möglich, viel gefährlicher seien Husten, Niesen und direkter oder indirekter Kontakt - zumal Coronaviren bei günstigem Klima mehrere Tage auf Oberflächen wie Holz überdauern können.
Auch die Symptome bei einer Infektion beschreibt der Forscher im Detail. Neben trockenem Husten, Atembeschwerden und Fieber sei bei Covid-19 bei einem Drittel der Patienten auch ein mehrtägiger Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes zu beobachten. Gliederschmerzen und Müdigkeit seien weitere Anzeichen für eine Erkrankung.
Masken sind keine Garantie, aber sie wirken
Schutzmasken, wie sie ab Mittwoch bei Einkäufen im Supermarkt Pflicht sein werden, sind nach Einschätzung des Arztes sinnvoll, weil sie die Wahrscheinlichkeit verringern, dass Viren beim Niesen oder Husten größere Distanzen überwinden, und sie Schleimhäute in Mund und Nase abschirmen. Das Virus könne nicht durch die Haut, sondern nur über Schleimhäute in den Körper eindringen. Schutzmasken seien zwar keine Garantie, sich das Virus nicht doch einzufangen, würden das Risiko aber deutlich reduzieren.
Was glauben Sie, wieso alle Ärzte in den Krankenhäusern alle Masken tragen?
Kim Woo Joo, Medizinprofessor
Kim Woo Joo: „Was glauben Sie, wieso die Ärzte in den Krankenhäusern alle Masken tragen?“ Dass man in Europa und den USA bislang kaum Menschen mit Schutzmaske auf der Straße sah, sei für ihn daher „seltsam“. Andererseits habe man in Asien mehr Erfahrung mit solchen Erkrankungen, etwa durch die Covid-19 ähnlichen Krankheiten MERS oder SARS. Das sei der Grund, wieso man Covid-19 in Südkorea besser unter Kontrolle habe als in den meisten anderen Ländern.
Reisende könnten Virus wieder einschleppen
Gefahr drohe in Südkorea trotzdem weiterhin - nicht zuletzt durch Reisende, die das Virus aus Europa oder Nordamerika einschleppen könnten. Ein Risiko, das man durch großflächige Tests, vorsorgliche Quarantäne und die Überwachung der Reisenden minimieren könne. Hier setze man unter anderem auf Handy-Apps, mit denen die Position Erkrankter überwacht und beim Verlassen der Quarantänezone Alarm geschlagen wird.
Die Apps dienen auch als Symptom-Tagebücher, in die zweimal täglich verpflichtend der Zustand des Patienten einzutragen ist. Passiert das nicht, wird Kontakt zum Patienten aufgenommen und nachgefragt, ob er sich an die Quarantäne hält. „Sicher kann das Privatsphäre-Ängste auslösen, weil wir den Aufenthaltsort überwachen“, sagt Kim Woo Joo. Die Patienten würden den Maßnahmen aber in aller Regel zustimmen.
Kontaktvermeidung ist Schlüssel zum Erfolg
Neben der Erkennung und Eindämmung Infizierter seien die mittlerweile in vielen Ländern der Welt verhängten Ausgangsbeschränkungen der Schlüssel zum Sieg über die Seuche. Je weniger Kontakt die Menschen zueinander hätten, umso weniger könnten sich anstecken, ist Kim Woo Joo überzeugt. Und in Südkorea habe sich gezeigt, dass sich insbesondere die ältere Bevölkerung auch gut an die Beschränkungen halte. Riskant sei aber das Verhalten vieler jüngerer Menschen, die sich oft trotz der Maßnahmen treffen - und das Virus dann womöglich als symptomlos Erkrankte weitertragen.
Es ist schwer abzuschätzen, aber ich kann Ihnen sagen, dass das nicht schnell vorbei sein wird.
Kim Woo Joo, Medizinprofessor
Ein schnelles Ende der Pandemie sei nicht abzusehen, warnt Kim Woo Joo. „Es ist schwer abzuschätzen, aber ich kann Ihnen sagen, dass das nicht schnell vorbei sein wird.“ Verschiedene Szenarien könnten jetzt eintreten. Im Idealfall könne eine Situation wie bei SARS eintreten: Die Krankheit brach im November 2002 in Südchina aus und verbreitete sich über Hongkong und Touristen auf rund 8000 Menschen in der ganzen Welt. Im Juli 2003 galt die Gefahr weitgehend als gebannt. Bedenkt man die Ähnlichkeit von SARS und Covid-19, könne man im besten Fall, wenn alle Länder der Welt konsequent zusammenarbeiten, also im Juli oder August von einem Ende der Krise und einer Ausrottung des Erregers reden. Dieses Szenario sei aber leider unwahrscheinlich.
Covid-19 könnte zur saisonalen Krankheit werden
Ein realistischeres Szenario sei, dass sich Covid-19 noch bis zum Sommer auf der Nordhalbkugel verbreite und sich dann ein neuer Hotspot auf der Südhalbkugel entwickle, wenn dort Winter sei. Dann könne das Virus zum saisonalen Erreger ähnlich der Grippe werden, es wären also regelmäßige Covid-19-Wellen zu befürchten. Das dritte Szenario sei, dass ein Impfstoff gefunden und die Menschheit immun werde. „Dann könnten wir dem ein Ende setzen“, sagt Kim Woo Joo - dämpft aber auch die Erwartungen. Die Entwicklung eines Impfstoffes und die großflächige Durchimpfung der Menschheit könne Jahre dauern. Bis dahin werde die Forschung nach neuen Wirkstoffen von größter Wichtigkeit sein.
Jeder Einzelne kann etwas beitragen
Der wichtigste Rat des Experten: „Denken Sie nicht, Ihnen kann nichts passieren! Denken Sie an ältere Familienmitglieder, für die es gefährlich und sogar tödlich sein kann. Denken Sie daran, sich gut die Hände zu waschen, eine Schutzmaske zu tragen und Distanz zu anderen zu wahren. Schützen Sie Ihre eigene Gesundheit und die Ihrer Familie. Nur so können Sie mithelfen, die Pandemie zu beenden. Jedes einzelne Individuum kann dazu beitragen.“
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