Notstandsgesetz:
Premier Orban entmachtet das ungarische Parlament
Das ungarische Parlament hat sich in der Corona-Krise faktisch entmachtet. Das umstrittene Notstandsgesetz der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban ist am Montag mit der Zweidrittelmehrheit der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz im Parlament beschlossen worden. Es ermöglicht Orban das Regieren per Dekret auf unbestimmte Zeit.
Für Teile des Gesetzes, die eine einfache Mehrheit erforderten, stimmten 138 der 190 anwesenden Abgeordneten mit Ja. Bei der zweiten Abstimmung über Teile des Gesetzes, die eine Zweidrittelmehrheit erforderten, waren es 137 Abgeordnete.
Opposition wirft Orban vor, mit Gesetz Parlament auszuschalten
Die Opposition und andere Kritiker aus dem In- und Ausland werfen Orban vor, mit dem Gesetz das Parlament faktisch auszuschalten - zumal laut Grundgesetz die Regierung selbst darüber entscheidet, wann eine Notlage aufzuheben ist.
Gesetze können per Dekret ausgesetzt werden
Dem Gesetz zufolge kann die Regierung den am 11. März wegen der Pandemie verhängten Notstand ohne die Zustimmung des Parlaments unbegrenzt verlängern. Sie erhält das Recht, „die Anwendung bestimmter Gesetze per Dekret auszusetzen“, feste Vorgaben nicht einzuhalten und „andere außergewöhnliche Maßnahmen einzuführen, um die Stabilität des Lebens, der Gesundheit, der persönlichen und materiellen Sicherheit der Bürger wie der Wirtschaft zu garantieren“.
Justizministerin: „Müssen alles tun, um Ausbreitung des Virus zu stoppen“
„Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen“, verteidigte Justizministerin Judit Varga den Gesetzentwurf vor der Parlamentsabstimmung. Er füge sich „perfekt in den verfassungsmäßigen Rahmen“. Aktuell liegt die Zahl der Coronavirus-Infizierten in Ungarn am Montag offiziell bei 447 Personen. Das sind 39 mehr als am Sonntag. 34 Personen gelten als geheilt, 15 wurden Opfer der Pandemie, 73 befinden sich in Spitalsquarantäne.
„Gesetz durch Widerspruchsrecht des Parlaments begrenzt“
Regierungssprecher Zoltan Kovacs erklärte am Montag, das Gesetz sei durch das Widerspruchsrecht des Parlaments und die Pandemie selbst begrenzt, die „hoffentlich irgendwann aufhören wird“. Allerdings ist das Widerspruchsrecht des Parlaments nur formal, da die Fidesz-Partei von Orban über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt.
Die Regierungspartei wollte bereits vor einer Woche die Gesetzesvorlage auf die Tagesordnung des Parlaments setzen, um die Notmaßnahmen rechtzeitig vor dem Auslaufen des Mitte März ausgerufenen Notstands am 26. März zu verlängern. Die Opposition hatte jedoch die für eine dringliche Behandlung nötige Vierfünftelmehrheit verhindert. Da am Montag die Vorlage bereits regulär auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt werden konnte, war eine Zustimmung der Opposition nicht mehr notwendig.
Opposition forderte Befristung auf 90 Tage
Die Oppositionsparteien hatten als Bedingung für ihre Zustimmung zum Notstandsgesetz eine Befristung der Regierungsermächtigung auf 90 Tage gefordert. Außerdem sollte eine Änderung des Strafgesetzbuches, die mehrjährige Gefängnisstrafen für die Verbreitung von „Falschnachrichten“ festlegt, aus der Vorlage gestrichen werden.
Das beschlossene Gesetz lässt bei einigen EU-Abgeordneten nun die Alarmglocken läuten. „Das ist ein weiterer gefährlicher Angriff auf die liberale Demokratie und den Rechtsstaat“, sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments und ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas.
„Orban will Coronavirus missbrauchen“
„Orban will die Corona-Krise missbrauchen, um das Parlament in Budapest auf unbestimmte Zeit auszuschalten. Das ist ein Skandal und lässt Orban auf den Spuren des türkischen Präsidenten Erdogan wandeln“, so Karas. Er forderte: „Die Europäische Kommission muss umgehend Stellung beziehen und mit dem Europäischen Gerichtshof entschieden einschreiten.“
„Gesetz gefährdet den Rechtsstaat“
Kritik an dem Gesetz kommt auch von internationalen Organisationen und NGOs. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte müssten auch im Kampf gegen das Coronavirus respektiert werden, schrieb Europarat-Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić letzte Woche in einem offenen Brief. Auch ein Sprecher des EU-Parlaments betonte, dass Notstandsmaßnahmen immer befristet sein müssten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte, das Gesetz gefährde den Rechtsstaat und die Bürgerrechte.
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