Im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie ist die Nutzung von Handy-Daten speziell in Europa umstritten. Ein Konsortium europäischer Wissenschafter, IT-, KI- und Privacy-Experten, darunter auch österreichische Forscher, arbeitet derzeit an einer Technologie für eine Corona-Tracing-App, die Datenschutz und Privatsphäre garantieren soll. Die App soll bereits kommende Woche veröffentlicht werden.
Das Projekt „Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing“ (PEPP-PT) ist eine Initiative von 130 Wissenschaftern aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien und der Schweiz, die an renommierten Einrichtungen wie den beiden Eidgenössisch Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne, mehreren Fraunhofer-Instituten oder dem Robert-Koch-Institut arbeiten. Aus Österreich sind Forscher des Artificial Intelligence Laboratory der Universität Linz beteiligt.
Ziel ist es, einen anonymen und die Privatsphäre schützenden Ansatz zur digitalen Kontaktverfolgung zu schaffen, der in voller Übereinstimmung mit der Datenschutzgrundverordnung steht und dabei hilft, neue Übertragungsketten des Coronaviruses schnell und effektiv zu unterbrechen, indem potenziell exponierte Personen informiert werden. „PEPP-PT verfolgt dabei die Idee, eine gesamteuropäische Lösung zu werden“, erklärte der Leiter des AI Labs in Linz, Sepp Hochreiter. Es gebe zwar in vielen Ländern nationale Initiativen für solche Apps, doch eine effektive Eindämmung der Epidemie könne nur funktionieren, wenn eine Rückverfolgung von Infektionsketten über nationale Grenzen hinweg möglich ist.
Gemeinsamer Standard für andere Apps
Ziel des Projekts ist deshalb, nicht nur eine App zu schaffen, sondern zu ermöglichen, diese Funktionalität auch in andere Apps zu integrieren, damit diese mit der paneuropäischen Idee kompatibel werden. „Ziel ist die Entwicklung eines Standards, welche Information wie, wann und wo ausgetauscht werden müssen, damit das über ganz Europa funktionieren kann“, so Hochreiters Kollege Bernhard Nessler.
In vielen asiatischen Ländern oder in Israel sind bereits Apps im Einsatz, die Benutzer durch automatisierte Hinweise auf dem Smartphone davor warnen, dass sie in Kontakt mit Infizierten gekommen sind. Allerdings werden dabei zahlreiche persönliche Daten erfasst, etwa Bewegungsprofile per GPS-Daten. Bei PEPP-PT gehe es dagegen darum, „ein Protokoll zu finden, das zweckmäßig der Eindämmung der Infektionen dient und den allergeringsten Eingriff in die Privatsphäre bedeutet“, so Nessler.
Kontakt-Erfassung per Bluetooth
Konkret sollen mit der App, die derzeit von Bundeswehrsoldaten in Deutschland erprobt wird und die nach derzeitigen Plänen am 7. April vorgestellt werden soll, zwei Handys mit der Nahbereichs-Funktechnik Bluetooth verbunden werden, wenn ein bestimmter Abstand unter- und eine bestimmte Dauer des Kontakts überschritten werden. Dann werden Informationen verschlüsselt auf den Handys abgelegt. Bei einem nur flüchtigen Vorbeigehen soll kein Austausch von Daten erfolgen. Der konkrete Ort, wo das Treffen stattgefunden hat, spielt keine Rolle.
60 Prozent der Bevölkerung müssten App installieren
Die Nutzung der App soll freiwillig sein, wobei die Initiative davon ausgeht, dass man eine Durchdringung von rund 60 Prozent der Bevölkerung erreichen müsste, damit sich ein Effekt zeigt. Die Informationen sollen nur für einen begrenzten Zeitraum, etwa drei Wochen, auf dem Handy gespeichert bleiben. Wird in dieser Zeit einer der Beteiligten positiv auf eine Covid-19-Infektion getestet, steht es dem Nutzer frei, diese Information über die App freizugeben. Dann würden alle, die dem Infizierten begegnet sind, diese Info und die Warnung erhalten, dass es möglicherweise zu einer Ansteckung gekommen sein könnte. Eine persönliche Identifizierung findet dabei nicht statt.
Die Wissenschafter der Uni Linz bringen in das Projekt ihre Kompetenzen im Bereich Maschinenlernen ein. „Es geht darum, welche Machine-Learning-Methoden auf Daten, die akquiriert werden, angewendet werden können“, sagte Nessler. Ziel sei, die Daten aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, und zwar so, dass die Privatsphäre nicht verletzt wird.
„Es wäre sträflich, diese Daten nicht zu akquirieren“
Im Zusammenhang mit der Ausbreitung dieses Virus gebe es so viele Informationen und statistische Daten, die extrem relevant wären, um besser planen zu können und bessere Strategien zu fahren. So wäre etwa die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung in Abhängigkeit von Kontaktdauer und Nähe interessant, “wüssten wir doch alle gerne, an welchen Stellen und bei welchen Gelegenheiten die Übertragung wie häufig passiert, um unsere gesellschaftlichen Einschränkungen möglichst optimal anpassen zu können. Es wäre sträflich, diese Daten nicht zu akquirieren, wenn es möglich wäre. Es wäre aber auch sträflich, dafür unsere Privatsphäre zu opfern", so Nessler.
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