In Ischgl will man den Vorwurf, als „Corona-Hotspot“ für eine Verbreitung des Virus in halb Europa gesorgt zu haben, weiter nicht auf sich sitzen lassen. Es sei nach „bestem Wissen und Gewissen“ und nach Vorgabe der Behörden gehandelt worden, sagte Bürgermeister Werner Kurz im Interview mit der APA und dem ORF (siehe Video oben). Missstände aufzuarbeiten gebe es daher nicht, man werde aber die „Abläufe analysieren“. Kurz verwehrte sich jedoch dagegen, dass Ischgl quasi als das Corona-Epizentrum dargestellt werde: „Das Virus ist nicht von uns ausgegangen und wurde nicht in Ischgl produziert.“
„Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen alles abgehandelt und alle Vorgaben und Vorschriften der Behörden umgehendst (sic) umgesetzt“, beteuerte der Bürgermeister. Man habe „zum jeweiligen Zeitpunkt und auf Basis des jeweiligen Wissensstandes immer die passenden Entscheidungen gesetzt und umgesetzt“. Eine Gemeinde habe zudem auch in kompetenzrechtlicher Hinsicht gar keinen „Handlungsspielraum“, meinte Kurz auf die Frage, ob man nicht früher etwa alle Aprés-Ski-Lokale sperren oder den gesamten Skibetrieb einstellen hätte sollen. Dafür sei die „vorgesetzte Behörde“ zuständig, so der Ortschef, der aber auch die übergeordneten Ebenen - also Land und Bund - in Schutz nahm.
Ortschef: „Dieser Vorwurf ist absurd“
Auf die Frage, wer nun für etwaige oder bereits eingestandene Fehler verantwortlich sei, antwortete Kurz: „Dieser Vorwurf ist absurd.“ Man habe nun einen anderen Wissensstand als Anfang März - dies gelte auch für Behörden und Politiker. Diese hätten ebenfalls ausschließlich auf Basis von Expertenmeinungen entschieden. „Als am 10. März alle Aprés-Ski-Lokale gesperrt wurden, wurde Italien erst als Risikogebiet eingestuft“, sah der Bürgermeister keine offensichtlichen zeitlichen Versäumnisse. Zu diesem Zeitpunkt seien in Europa auch noch „viele Fußballstadien mit Zehntausenden Menschen“ gefüllt gewesen. „Die Behörden haben zum jeweiligen Wissensstand sehr schnell reagiert“, betonte der Ischgler Bürgermeister.
Vor dem 5. März - jenem Zeitpunkt, als die Tiroler Behörden erfahren hatten, dass 15 isländische Gäste in ihrer Heimat nach einem Ischgl-Aufenthalt positiv auf das Virus getestet worden waren - habe jedenfalls im Ort überhaupt kein Corona-Verdacht die Runde gemacht. Der erste positive Fall sei ihm am 7. März mit dem viel zitierten Barkeeper im Kitzloch bekannt geworden. Auch zuvor habe man - nach einer Anordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck - alle Hotels, in denen die Isländer gewohnt haben, informiert und die Eigentümer aufgefordert, Verdachtsfälle sofort zu melden. Und von Patienten, die mit grippeähnlichen Symptomen zum Arzt gingen, wurden Abstriche gemacht. Auch in der Zeit vom 5. März bis zum 13. März, an dem das Paznauntal unter Quarantäne gestellt worden war, sah Kurz keine Versäumnisse, wenngleich: „Im Nachhinein ist man vielleicht immer gescheiter.“
Ort will jetzt „Abläufe analysieren“
Man werde jedenfalls die „Abläufe analysieren“- und „schauen, ob und was hätte richtig gemacht werden können“. „Wir wollen für die Zukunft lernen. Wir lernen tagtäglich alle dazu - weltweit.“ Kurz verwahrte sich jedoch dagegen, dass Ischgl quasi als das Corona-Epizentrum dargestellt werde, das halb Europa infizierte: „Das Virus ist nicht von uns ausgegangen und wurde nicht in Ischgl produziert.“
Auch den Vorwurf, dass nach der Ankündigung der Quarantäne von offiziellen Stellen Touristen und Angestellte - nach einer Information des Tourismusverbandes - aufgefordert wurden, noch schnell Ischgl zu verlassen und quasi auf die Straße gesetzt wurden, stellte der Bürgermeister vehement in Abrede. „Vonseiten der Gemeinde, des Tourismusverbandes oder der Seilbahnen wurde niemand aufgefordert, das Tal zu verlassen.“ Dies habe nur „einzelne Betriebe“ betroffen. „Ich muss diese aber in Schutz nehmen. Ich glaube, sie haben in dieser prekären Situation zum Wohl ihrer Gäste gehandelt.“ Diese Betriebe hätten dafür sorgen wollen, dass die Gäste noch nach Hause kommen können. Das Ganze sei jedenfalls „sehr unglücklich“ und „ein bisschen chaotisch“ abgelaufen - was in dieser Situation verständlich gewesen sei. Schließlich wollten plötzlich 8000 bis 10.000 Gäste aus dem Tal hinaus.
Dass mittlerweile vom Verbraucherschutzverein eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht wurde, eine Sammelklage und strafrechtliche Ermittlungen auch gegen ihn drohen, wollte Kurz nicht bewerten. Man arbeite „kooperativ“ mit den ermittelnden Behörden zusammen und sei sehr daran interessiert, dass „alles geklärt“ wird. Persönliche Konsequenzen habe er nicht in Erwägung gezogen: „Es geht nicht um Köpfe, sondern um gesundheitliche Aspekte.“ Ihm und der Ischgler Bevölkerung sei es das Wichtigste, dass danach getrachtet werde, das „Virus zu besiegen und zu bekämpfen“.
AGES: 57% aller Infizierten gehen direkt oder indirekt auf Ischgl zurück
Einen Bericht des Nachrichtenmagazins „profil“, wonach laut Gesundheitsagentur AGES 57 Prozent aller bisher ausgewerteten österreichischen Corona-Fälle direkt oder indirekt auf Ischgl zurückgehen, nannte der Bürgermeister „nicht nachvollziehbar“. Der Bericht sei ihm aber auch „nicht wissentlich“. Er glaube zwar der AGES, aber diese habe schließlich schon einmal eine „Fake-Meldung“ produziert, nahm Kurz Bezug auf einen kürzlich auf Anfang Februar datierten Ischgl-Corona-Fall, der letztlich korrigiert werden musste.
„Ich bin schon sehr getroffen und es tut auch weh, wenn man die ganzen Berichte über Ischgl sieht“, erklärte der Ortschef. Dass es einen Imagewechsel und eine Abkehr vom Massentourismus brauche, wollte Kurz nicht bejahen, aber: „Es wird voraussichtlich anders werden. Aber mal schauen, wie sich das entwickelt.“ Der Bürgermeister ortete jedenfalls treue Stammgäste auch in Zukunft: Man bekomme bereits jetzt von vielen Gästen „gutes Feedback“. Diese würden versichern, wieder nach Ischgl zu kommen.
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