In unserer Krone-Serie KRISENFEST ging es um die mentale Stärkung in schwierigen Zeiten. Denn Corona, die damit verbundenen Maßnahmen, möglicherweise Jobverlust, existenzielle Sorgen, Kurzarbeit, Überlastung, Homeschooling der Kinder, Homeoffice, aber auch Unterforderung und nicht zuletzt das ständige Daheimsein haben unser Leben schlagartig verändert. Ob wir wollten oder nicht. Gesundheitspsychologin Christa Schirl stand unseren Lesern mit Rat und Tat zur Seite.
„Krone“: Frau Mag. Schirl, wie hat sich Ihr persönlicher Arbeitsalltag durch Corona verändert. Wie können Sie Ihren Patienten derzeit helfen?
Mag. Christa Schirl: Die Situation ist natürlich sehr ungewohnt. Viele Patienten sehnen sich nach dem direkten Kontakt. Das geht aber derzeit leider nicht. Ein Drittel der Klienten bleibt trotz Social Distancing mit mir, der Therapeutin, verbunden, eben virtuell über Skype. Unlängst hatte ich einen Patienten, der während einer Sitzung entspannt auf einer Waldlichtung saß. Oder eine Mutter, die die Zeit für die Therapie doppelt nutzte: Sie ging spazieren und telefonierte dabei mit mir. Das nenne ich „Müll in Dünger“ verwandeln. Einige Patienten sind in Quarantäne. Sie haben meinen virtuellen Hausbesuch als sehr entlastend empfunden. Denn man darf nicht vergessen: Viele bemühen sich bei Telefonaten mit ihren Eltern und Großfamilien stark zu wirken, um sie nicht zu belasten. Mir gegenüber fällt es ihnen leicht, Ängste und Sorgen anzusprechen.
Was mich gleich zu meiner nächsten Frage führt: Welche Themen beschäftigen die Menschen derzeit?
Natürlich auch die Themen, die vor Corona als belastend empfunden wurden. Aber hinzu kommen vermehrt Angst- und Panikattacken sowie Grübel-Schleifen. Sehr viele leiden derzeit unter Schlafstörungen. Wenn man schläft, hat das Unbewusste mehr Platz. Da tauchen die wirklichen Ängste auf. Oft sind diese Menschen untertags sehr tapfer, um den Anforderungen des neuen Alltags zu entsprechen. Es treten auch vermehrt psychosomatische Beschwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen und innere Spannungszustände auf.
Hand aufs Herz, quälen Sie in Zeiten wie diesen auch immer wieder Sorgen?
Natürlich. Und ich denke, es ist auch wichtig, das den Menschen zu sagen. Es wirkt auf viele entlastend, zu hören, dass auch die Psychotherapeutin besorgt auf diese einzigartige Situation reagiert. Wenn man aufgrund der jetzigen Situation mal nicht so gut schläft, dann ist das auch okay. Pathologisch ist es dann, wenn das häufiger vorkommt. Aber dass uns diese Ungewissheit, wie die Zukunft ausschauen wird, verunsichert, ist normal und verständlich.
Wie ergeht es nun jenen, die vorher schon eher zurückgezogen gelebt haben?
Ihnen geht es nun gar nicht so schlecht, da sie das Alleinsein gewohnt sind. Auch wenn viele von ihnen einsam waren. Sie fühlen sich nun sogar weniger einsam. Denn sie haben das Gefühl, dass sie durch Social Distancing nicht alleine in dem Boot sitzen.
Was ist Ihr Eindruck, wie gehen die Menschen mit dem neuen Alltag um?
Ganz unterschiedlich. Viele gehen in die Überaktivität. Weil es gibt trotzdem viel zu tun: Wie z. B. häufiger zu kochen, da der Hort und Kindergarten oder die Kantine in der Arbeit wegfallen. Natürlich auch viel zu putzen durch das viele Daheimsein. Und man darf nicht vergessen: Der Büro- und Familien-Alltag ist für viele Eltern nun umfangreicher und damit belastender geworden. Homeoffice & Homeschooling der Kinder - das ist alles gar nicht so einfach, unter einen Hut zu bringen. Andere litten unter einem Bore-out, d.h. unter großer Leere und Langeweile. Sie kamen morgens nur schwer in die Gänge. Für sie war mal wichtig, den Tag zu strukturieren. Um sich dann die wichtige Frage zu stellen: Was sind heute meine sinnvollen Möglichkeiten? Wie möchte ich den heutigen Tag nutzen?
Wie schwierig war die Umstellung auf Kurzarbeit?
Sehr viele engagierte Mitarbeiter wurden auf Kurzarbeit geschickt. Sie haben sich stark über Leistung und Arbeit definiert. Für die sehr leistungsbereiten und engagierten Menschen ist Kurzarbeit, gepaart mit den durch Corona entstandenen Einschränkungen, eine große Umstellung: Was mit der plötzlich gewonnenen Zeit anfangen? Ihnen habe ich geraten, ihren neuen Alltag wie eine leeres Blumenbeet vor sich zu sehen. Wenn man nichts einsetzt, kommt irgendwann unweigerlich Unkraut zutage. Eine Metapher, um Sinnvolles nun zu gestalten - für den einen ist es Heimwerken, für den anderen Mundschutz für seine Liebsten und Freunde nähen. Im Sinn können Möglichkeiten gefunden werden.
Was ist die große Herausforderung an Corona?
Die Ungewissheit. Wir kennen nichts Vergleichbares. Wir wissen auch nicht, wer Corona hat. Wir wissen nicht, wie es uns trifft und in welcher Stärke. Aber was wir wissen, ist, dass die Normalität übermorgen noch nicht wiederhergestellt sein wird. Es ist etwas ganz Neues für uns. Diese Ungewissheit findet sich auch auf sehr vielen verschiedenen Ebenen. Ich würde sagen: Österreich befindet sich noch in einem Schockzustand. Posttraumatische Belastungssyndrome kommen erst später zum Vorschein. Denn wir haben erst nach dem Trauma Zeit, alles zu verarbeiten. Aber eines ist gewiss: Wir sind alle von Corona betroffen - ob direkt oder indirekt. Aber wir sind in jeder Situation handlungsfähig! Ich vergleiche das immer mit einem Werkzeugkoffer. Wir schauen hinein und dort ist nicht nur ein Hammer, sondern viele verschiedene Werkzeuge und damit Möglichkeiten.
Welchen Satz wollen Sie unseren Usern und Lesern mit auf den Weg geben?
Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen zu surfen. Dieses Zitat ist von Jon Kabat-Zinn. Wir müssen die Wellen sehr genau beobachten. Welche Welle reite ich? Wir eignen uns eine weitere Fähigkeit an, wenn wir etwas dazulernen. Nicht zu verbissen sein, sondern flexibel und damit situationselastisch bleiben. Wieder aufstehen und weitermachen. Und manchmal ist es auch gut, nicht aufs Surfbrett zu steigen, weil das Wetter einfach zu unstet ist. Da bleiben wir lieber zu Hause. Wie derzeit. Wir werden erkennen, dass wir auch andere brauchen. Wie jene, die uns, um bei der Metapher zu bleiben, das Surfbrett bauen. Und nicht zu vergessen: Neben mir gibt es auch andere Menschen, auf die wir aufpassen müssen. Abschließend noch ein Satz, der auch viel Kraft gibt: Inmitten der Schwierigkeiten liegt die Möglichkeit. Dieses Zitat ist von Albert Einstein.
Alle Teile der Serie KRISENFEST finden Sie auf krone.at/life und krone.at/tipps-fuer-daheim!
Susanne Zita, Kronen Zeitung
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