Bogdan Roscic (56), neuer Direktor der Wiener Staatsoper, über Pläne, Corona-Probleme, Kinder zwischen Hochkultur-Kitsch & Gangster-Rap und wie er es mit der Opern-„Ballmutti“ & Richard Lugner hält.
Was für ein eigenartiges Gefühl! Der gigantische schwarze Raum, der nur darauf wartet, wieder bespielt zu werden. Die Bühne zusammengeräumt, wie sie sonst gar nie sein kann. Die Luft wie nach 150 Jahren Theater.
Dr. Bogdan Roscic, der neue Direktor der Wiener Staatsoper, steht allein mitten im weltberühmten Zuschauerraum und ist umgeben von gespenstischer Stille statt von großen Stimmen und frenetischem Applaus. Er hätte sich wahrlich einen besseren Start verdient gehabt. Fast drei Jahre lang hat er alles für dieses Premierenjahr getan. Die tollsten Namen, die größten Opern und einen Sternenregen der bedeutendsten zehn Premieren. Start mit „Madame Butterfly“ am 7. September, die „Entführung aus dem Serail“, „Carmen“, „La Traviata“, „Parsifal“, „Faust“, und, und, und. Netrebko wird singen, Domingo; die bedeutendsten Dirigenten, wie Thielemann oder Welser-Möst werden an die Wiener Oper zurückkehren. Mit dem neuen Musikdirektor Philippe Jordan gelang Roščić ein echter Coup.
Ein Spielplan, der sogar den schärfsten Kulturkritiker des deutschsprachigen Raums in Verzücken versetzt. Heinz Sichrovsky: „Das wird das Grandioseste, was man sich nur vorstellen kann! So etwas hat man noch nie irgendwo erlebt. Möge alles um Himmels willen so stattfinden können! Bogdan Roščić ist das Beste, was der Oper passieren konnte. Ein großer Könner und ein brillanter Kopf mit einer Wahnsinnskraft und Konsequenz.“
Der neue Staatsoperndirektor ist selbst so etwas wie ein Popstar. Nicht nur weil er hierzulande vor allem als erfolgreicher Chef des Popsenders Ö3 in bester Erinnerung ist. Der Doktor der Philosophie baute den Sender um die Jahrtausendwende radikal zu einem Formatradio um. Viele der unter ihm entwickelten Formate haben bis heute unverändert Bestand, wenngleich der Qualitätsfanatiker so manchen der neuen Moderatoren wohl nie hinter ein Mikro gelassen hätte.
Hamburg, London, New York
Die letzten 20 Jahre verbrachte er als Boss der größten Musiklabels zwischen Hamburg, London, New York und Berlin und hatte in dieser Zeit all die Weltstars der Klassik unter Vertrag. Seit 2009 war er Präsident der Klassik-Sparte von Sony.
Anfang des Jahres ist er nun mit seiner Frau Christine Klimaschka (der früheren Ö3 Pressechefin) und den drei Kindern von New York und Berlin zurück nach Wien übersiedelt, wo er nun in Hietzing wohnt.
Keine grauen Haare, keine Falten, kein Kilo mehr als beim Abschied vor 20 Jahren. Als wäre die Zeit stehen geblieben. Zum Interview erscheint er lässig in Chinos und ohne Krawatte auf einem kleinen Klapprad. Seine 56 Jahre sieht man ihm nicht an. Unarrogant, unaufgeregt, voller Energie, jovial und ohne Attitüden. Genau wie früher.
„Krone“: Wie oft mussten Sie zuletzt alles über den Haufen werfen?
Bogdan Roscic: Ich habe noch nichts zerrissen. Natürlich wälzen wir alle möglichen Pläne und Szenarien. Aber eine Spielsaison ist ja bis ins kleinste Detail und bis zu jeder Probe und Besetzung fixiert. Zudem gibt es eine nächste und übernächste Spielzeit.
Wie groß sind die Probleme aufgrund der neuen Situation?
(ironisch) Das darf man alles nicht persönlich nehmen. Es trifft ja alle gleich. Natürlich sind auch wir massiv betroffen. Wir sind extrem international bei den Gast-Künstlern und wissen noch nicht, wer demnächst überhaupt reisen darf. Zudem sind ca. 30% unserer Besucher Touristen. Andere werden sich einen Opernbesuch vielleicht nicht mehr leisten wollen. Vielleicht werden dafür aber Menschen bei uns im 2300 Plätze umfassenden Zuschauerraum sitzen, denen wir danken und etwas zurückgeben wollen: die Krankenschwester, die Supermarktkassiererin, der freiwillige Helfer. Auch für Junge wird es neue Angebote und Möglichkeiten geben. Da wird es eine Öffnung geben. Die Oper ist ein Haus, das mit dem Steuergeld von allen für alle ermöglicht wird.
Sie haben bei Ihrer Bestellung Ende 2016 gemeint, dies sei Ihr Traumjob und Sie hätten ihn auch für einen Euro gemacht.
(kokett) Was? Das hab‘ ich gesagt? Bis 14 wollte ich jedenfalls Arzt werden - wie meine beiden Eltern. Gott sei Dank kam ich dann zur Vernunft. Die Oper ist eine lebenslange Passion. Seit 40 Jahren privat, seit 20 Jahren beruflich. Auf die Position des Staatsoperndirektors kann man ja überhaupt nicht hinarbeiten. Obwohl: In einer mühsamen ORF-Tagung saß vor Jahren der damals noch kaufmännische Direktor Wrabetz neben mir, den ich gefragt hab‘: „Was willst du wirklich werden?“ Darauf er: „Staatsoperndirektor!“ Darauf ich: „Nein, das werde schon ich!“
Fühlen Sie sich manchmal ein bisschen wie ein Alien in dieser eher älteren Branche der Intendanten und Kulturpolitiker?
Ich fahre zumindest nicht seit Jahrzehnten auf dem ächzenden Karussell der immer selben Intendanten mit.
Haben Sie schon Ihre Vorgänger angerufen?
Das ist eine redselige Branche. Man kriegt viele Tipps. Jeder hat sieben Meinungen, von denen elf richtig sind.
Sie starten mit Premieren der zehn wichtigsten Opern. Alle in Topbesetzung. Was darf man erwarten?
Es ist eine sehr hohe Anzahl von Premieren, darunter viele der meistgespielten Opern. Die Staatsoper darf nie nur die „Greatest Hits“ spielen, aber wir wollen nächste Saison eben wichtiges Kernrepertoire in neuen Inszenierungen bringen. Wobei ich die Diskussion um Regietheater ablehne. Was wäre die Alternative? Theater ohne Regie? Bei uns arbeiten in der nächsten Spielzeit viele der bedeutendsten Regisseure der Welt. Wir dürfen keine Konzerte in Kostümen bieten, aber auch bebilderte Ideologie auf der Bühne interessiert mich nicht.
Wie viel Anteil Ihres Jobs sind Kunst, wie viel Management?
An manchen Tagen fällt es leider sehr zu Ungunsten der Kunst aus, da kommt man sich vor wie ein Entscheidungs-Roboter oder Konzern-CEO. Man muss darauf achten, dass der Tagesärger nicht zum Selbstzweck wird und die Kunst frisst. Denn um die geht es!
Die Ballettschule der Oper war im Vorjahr in argen Schlagzeilen. Wie werden Sie hier vorgehen?
Wir haben mit Martin Schläpfer einen neuen Ballettdirektor, der auch die Ballettakademie führen wird. Unser Anspruch muss natürlich ein elitärer bleiben. Aber wir werden größtes Augenmerk darauf legen, Spitzenleistungen mit einem verantwortungsvollen und sensiblen Umgang zu verbinden.
Haben Sie nach Ihrer Rückkehr im Jänner auch schon bei Ö3 vorbeigeschaut oder Ihren Kindern gezeigt, wo Sie gearbeitet haben?
Als wir einmal am Sender vorbeigefahren sind, hab‘ ich es ihnen gezeigt. Sie waren nicht sehr beeindruckt und meinten nur „Aha“. Sie hören aber auch kein Radio, sondern haben ihre Playlists auf Spotify.
Hören die Kinder Oper?
Auch. Aber eben auch Gangster-Rap. Das Interesse hängt natürlich auch mit dem Lebensalter zusammen. In der sogenannten Hochkultur ist aber auch nicht alles Hochkultur, sondern manches einfach nur Kitsch.
Sprechen Ihre Kinder Wienerisch?
Alexander, der Älteste, ist 20 und studiert Wirtschaft in Segovia. Er spricht Englisch, Spanisch und österreichisches Deutsch, weil er mitbekommen hat, dass es in Berlin sehr gut angekommen ist. Die Jüngste wurde ja in Berlin geboren. Neulich hab ich gehört, wie sie ihrer Freundin via Facetime erklärt hat: „Ich vermiss dich ganz dolle!“
So, zur wichtigsten Frage, die ich mich nur nicht gleich zu Beginn zu stellen getraut habe: Der Opernball! Schaffen Sie wirklich die Ballchefin ab?
Eigentlich will ich dazu erst im Mai eine Pressekonferenz geben. Der Ball ist etwas ganz Zentrales für die Oper und nicht nur einfach irgendein Abend im Jahr. Wir erreichen da im Fernsehen ein ungeahntes Publikum, so wie normalerweise nur bei einer Regierungskrise. Ich glaube aber, dass es Zeit ist, mit der Idee einer „Ballmutti“ abzuschließen. Ich denke eher an ein Komitee, bei dem auch unser neuer Freundeskreis repräsentiert sein wird.
Für viele die zweitwichtigste Frage: Wie halten Sie es mit Lugner?
(holt Luft) Der „Bild“-Leser soll nicht länger glauben, dass der Opernball eine von ihm veranstaltete Show mit gemieteten Gästen ist. Wir haben eine sehr lange Warteliste und wollen künftig jenen ein Vorkaufsrecht zugestehen, die uns das ganze Jahr über unterstützen. Auch im Bereich der Jugendförderung.
Werden Sie tanzen?
Ich bin leidenschaftlicher Nichttänzer und (scherzt) eher ein Logen-Grantler.
Auf welchen Moment freuen sie sich am meisten?
Wenn nach der Krise und all der Arbeit der erste Akkord aus dem Orchestergraben ertönt und eine einzelne Stimme den großen Saal erfüllt. Bei diesem Gedanken bekomme ich Gänsehaut.
Edda Graf, Kronen Zeitung
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