Die Aufregung rund um einen großen Coronavirus-Cluster in Wien und Niederösterreich ist auch über das Wochenende nicht abgeflaut - ganz im Gegenteil. Bis Montag gab es Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen. Betroffen sind vor allem zwei Postverteilzentren, wo das Bundesheer zur Unterstützung gerufen wurde. Indes wurde der Cluster auch zum Spielball der Politik.
Die Nachverfolgung der Ansteckungskette ist bislang nicht abgeschlossen. Bisher wurden „mehr als 400 Absonderungsbescheide“ ausgestellt, sagte Andreas Huber, Sprecher des medizinischen Krisenstabs der Stadt Wien. Im Postzentrum in Wien-Inzersdorf gab es bisher 500 Tests, 70 Mitarbeiter waren positiv. Im niederösterreichischen Postverteilungszentrum Hagenbrunn (Bezirk Korneuburg) wurden 63 Mitarbeiter positiv getestet, die in Wien wohnen, erläuterte Huber.
Zahl der Fälle „explosionsartig entwickelt“
Die Zahl „ändert sich laufend“, sagte Georg Pölzl, Generaldirektor der Österreichischen Post AG, bei einem Medientermin am Standort Hagenbrunn. Die Häufung der Fälle habe sich „explosionsartig entwickelt“. Wegen der Vielzahl an Infektionen und Quarantänemaßnahmen bei Mitarbeitern in Hagenbrunn ist nun das Bundesheer im Einsatz. Auch für den Standort in Wien-Inzersdorf wurde bereits Hilfe angefordert.
In der Logistikzentrale eines großen Möbelhauses in Wien-Floridsdorf sind ebenfalls sechs Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt. Diese Fälle dürften laut Stadt Wien - wie die Infektionen bei der Post - auf Leiharbeiter zurückzuführen sein. In einem vorübergehend geschlossenen Kindergarten in Wien-Liesing, wo eine mit einem Leiharbeiter zusammenlebende Mitarbeiterin und ein Kind infiziert sind, wurden inzwischen alle Kinder und Betreuer untersucht. Es gab keine weiteren Erkrankten.
Großflächige Tests angekündigt
Im Bereich von Pflege-, Obdachlosen- und Flüchtlingseinrichtungen kündigte die Stadt weitere großflächige Tests an. Diese Strategie ist „aus unserer Sicht erfolgreich, dass wir genau hinschauen und in die Tiefe schauen“, hieß es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Bei dem Cluster hätten rund 90 Prozent symptomlos Erkrankte identifiziert werden können. „Die haben wir auf diesem Weg ausfindig gemacht“, sagte der Sprecher. Rund 40 Infizierte in Flüchtlingsunterkünften sind laut Stadt Wien ebenfalls auf diesen Cluster in Verbindung mit Leiharbeiten zurückzuführen.
Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner widersprach am Montag Aussagen Hackers vom Vortag, wonach Hagenbrunn wohl der Ausgangspunkt der Infektionskette gewesen sei. „Der Patient Null dieses Clusters war ein Mann, der von seinem Wohnsitz in Wien nach Hagenbrunn pendelte. Die nächsten drei Fälle waren ebenso Personen, die aus Wien ins Postverteilerzentrum Hagenbrunn pendelten - und zwar im gleichen Bus wie der Patient Null“, erläuterte die Landessanitätsdirektorin. Generell halte sie jedoch nichts davon, „wenn bei der Eindämmung des Virus mit dem Finger aufeinander gezeigt wird“.
Nehammer wirft Wien mangelnde Kommunikation vor
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) attackierte die Stadt Wien einmal mehr wegen ihrer Arbeitsweise in der Corona-Krise und warf ihr mangelnde Kommunikation mit dem Einsatzstab vor. Der Ressortchef bezeichnete die Infektionszahlen in Wien als „besorgniserregend“, relativierte dann aber: „Die Zahlen in Wien sind so, dass sie beherrschbar sind, aber sie sind deutlich höher als in anderen Bundesländern.“
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) stellte sich hinter die Wiener Gesundheitsbehörden. Infektions-Cluster in einzelnen Bereichen seien zu erwarten gewesen. Die Gesundheitsbehörden beider Länder haben aus seiner Sicht „die richtigen Schritte gesetzt“. Er bot die Mithilfe der AGES an und sah im Unterschied zu Nehammer einen guten Informationsaustausch mit Wien. „Ich weiß, dass es in Wien bald Vorwahlkampf gibt“, sagte Anschober, er sei sich aber ganz sicher, dass alle die Bekämpfung des Coronavirus im Zentrum hätten.
Die Zahlen aus Wien
Wien hat in den vergangenen 14 Tagen 374 neue Fälle registriert. Damit liegt die Stadt in absoluten Zahlen deutlich vorne. Anders aber das Bild, wenn man die Zahl der Neuinfektionen in Relation zu den fast 1,9 Millionen Einwohnern der Bundeshauptstadt setzt: Hier liegt Wien mit knapp zwei Fällen pro 10.000 Einwohner an fünfter Stelle hinter den Bezirken Horn (3,9), St. Pölten (3,6), Weiz (3,0) und Neunkirchen (2,4 Fälle pro 10.000 Einwohner).
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