„Krone“-Interview

Sparks: Die unbedankten Helden der Pop-Historie

Musik
22.05.2020 06:00

Ron und Russell Mael schreiben mit den Sparks seit gut fünf Dekaden Musikgeschichte und inspirierten Größen von Depeche Mode bis Nirvana. Der zu zahlende Preis für innovative Musik und spannende Alben war ausbleibender Ruhm. Der leidenschaftliche Schnauzbartträger Ron Mael ist zwar nicht der Sänger, aber das Gesicht der Band. Wir telefonierten mit dem 74-jährigen Kultmusiker, um über das neue Album „A Steady Drip Drip Drip“, seine schönen Wien-Erinnerungen und die Bedeutung der Sparks für die Pop-Historie zu sprechen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Ron, wie geht es dir? Wie verarbeitest du die Corona-Krise in deiner Heimat in Kalifornien?
Ron Mael:
 Kalifornien war einer der ersten Staaten, der den Lockdown rundum durchgezogen hat. Unser Gouverneur war klüger als die meisten anderen. Russell hat hier ein Studio, in dem wir uns normalerweise treffen, um an Ideen zu feilen, aber jetzt arbeitet seit einigen Wochen jeder für sich zuhause. Die Arbeitsweise ist derzeit einfach anders und ich hoffe, das normalisiert sich bald wieder. Aber es geht ohnehin alle Leute gleich. Wir durchleben eine sehr eigenartige Periode.

Während des Lockdowns blieb den Menschen ausreichend Zeit, sich über ihr Dasein und gewisse Dinge in ihrem Leben Gedanken zu machen. Inwiefern hat Corona deine eigene Gedankenwelt beeinflusst?
Ich versuche eigentlich gar nicht zu viel darüber nachzudenken, weil es mich eher deprimiert. (lacht) Ich habe aber realisiert, wie stark die Kraft von Musik in meinem Leben ist. Das ist jetzt keine tiefgründige Erkenntnis, die weltverändernd wirkt, aber es hat mein Bewusstsein dahingehend geschärft. Speziell in Zeiten wie diesen, wo man einfach Dinge braucht, die die Stimmung erhellen und einen positiven Geist versprühen, ist Musik sehr wichtig geworden.

Euer brandneues Album „A Steady Drip Drip Drip“ passt da perfekt hinein. Hat das Album aber durch die Corona-Zeit für dich eine andere Farbe oder Haltung bekommen?
Offensichtlich haben sich zumindest einige Texte inhaltlich verändert, weil die Lage heute eine andere ist als noch vor wenigen Monaten. Songs wie „Please Don’t Fuck Up My World“, „I’m Toast“ oder „The Existential Threat“ können jetzt natürlich auch mit einem zusätzlichen Spin verstanden werden. Viele Künstler verschieben ihre Alben in den Herbst oder veröffentlichen ihre Songs nicht einmal digital. Wir wollten unseren Plan aber halten, weil doch gerade jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um die Leute mit neuen Songs zu erfreuen.

War „Please Don’t Fuck Up My World“ ursprünglich ein klares Statement zur Klimakrise und für bessere Umweltbestrebungen?
Das war die originale Bestrebung. Der Song ist in zwei Hälften geteilt. Die erste Hälfte ist mehr ein persönliches Statement. Es geht um ein Paar, wo eine Person zur anderen sagt, sie soll ihm nicht seine Welt zerstören und in der zweiten Songhälfte bricht der Song zu einem Chor aus und wird zu einem generellen Statement. Wir wollten den Song nicht zu schwerfällig gestalten, aber das Thema war uns trotzdem wichtig. Mit dem Virus bekommt der Song natürlich eine zusätzliche Bedeutungsebene. In dem Fall ist es ein trauriger Zusatz zur originalen Bedeutung.

Wusstet ihr schon von Vornherein, wo ihr mit dem Songwriting hinwollt, oder hat sich das erst schrittweise ergeben?
Es ergab sich viel erst im Songwritingprozess. Wir hatten dieses Mal kein großes Konzept, denn wir haben uns sehr lange auf Filmmusik konzentriert, die einer klaren Erzählung folgt. Zwischendurch haben wir uns auf drei, vier Minuten lange Songs konzentriert, die zu „A Steady Drip Drip Drip“ werden sollten. Wir hatten eine große Leidenschaft dafür, zu normalen Pop- oder Rocksongs zurückzukehren, aber wir haben uns vorher keinesfalls viel überlegt. Weder textlich noch musikalisch. Wir haben aber so viele verschiedene Stile verquickt, dass wir uns am Ende überlegten, ob das Album nicht zu überladen ist. Es gibt schon viele stilistische Ausflüge, die man sonst nicht so hört, aber wir haben dann darauf geachtet das zu verwenden, was der Song wirklich braucht.

Humor war und ist für euch ein entscheidender Faktor, der euch auf euren Platten und auch bei Liveshows stets ausgezeichnet hat. Ist das Pop-Business allgemein heute viel zu ernst geworden?
Es ist für mich schwierig, über andere zu urteilen, aber für mich sollte Popmusik immer mit etwas Humor und Lockerheit verbunden sein. Es ist aber ein schmaler Grat, denn wenn du den Humor nicht geschickt genug einbaust, dann fühlen sich die Hörer entweder verarscht, oder sie glauben, dir fehlt es völlig an Tiefe. Es gibt viele Künstler, die dadurch missverstanden werden, doch wir glauben, dass man auch hinter dem Humor eine Botschaft oder etwas Tiefergehendes packen kann.

Unter den vielen starken Songs stechen ein paar besonders hervor - etwa „Left Out In The Cold“. Hast du dich in deinem Leben schon einmal in der Kälte stehengelassen gefühlt?
Es gibt natürlich Momente, wo du etwas tust und etwas mehr Reaktionen darauf erwartest. Ein gutes Beispiel ist unser 2002er Album „Lil‘ Beethoven“, wo wir uns sicher waren, dass wir damit viel mehr Leute erreichen würden. Musikalisch war es für uns ein großer Sprung von der Vergangenheit und auch die Kritiken waren wirklich gut, aber irgendwie hat das Werk die Leute einfach nicht erreicht. Das war natürlich eine kleine Enttäuschung. Ebenso an der Filmfront, wo wir in der 70er-Jahren, wo wir einen Part hatten, schon alles abdrehten, aber der Film schlussendlich nie veröffentlicht wurde. Das lag an finanziellen Problemen und irgendwie starb das Projekt dann komplett weg. In den 90er-Jahren haben wir auch an einem Filmmusical gearbeitet, das nie fertig wurde. Das sind Momente, wo man sich manchmal so fühlt, aber heute ist um uns herum alles sehr warm.

Ist „iPhone“ eine klare Kritik gegen die Menschen, die mit ihrer permanenten Konzertfilmerei sich und anderen eines tollen Erlebnisses berauben?
Es geht weniger darum, sondern vielmehr um den allgemeinen Gebrauch eines Smartphones. Gegen die Filmerei bei den Konzerten kannst du nicht viel tun, aber es ist erschreckend zu sehen, wie sehr die Menschen ihr Leben auf ihr Telefon zuschneiden. Es ist nicht so, dass sie das echte Leben nicht genießen können, denn was ist schon echt? Aber sie verpassen die Welt da draußen. In dem Song war es uns wichtig, dass wir nicht zu schwer und belehrend auftreten. Wir sind keine alten Typen, die sich gegen die moderne Technik auflehnt, ganz im Gegenteil. Wir lieben sie, denn sonst könnten wir unsere Alben nicht so aufnehmen und Kontakt mit den Menschen halten. Aber dieser kleine Bildschirm stört einfach so oft das Leben da draußen, dass man sich fast in etwas anderes verwandelt. Wir haben lange nach einem Weg gesucht, nicht als grantige alte Männer rüberzukommen, sondern einfach das Problem aufzuzeigen. Es geht vor allem darum, wie sehr du mit dem Smartphone von allem abgelenkt wirst.

Mit den Sparks ist es euch seit gut 50 Jahren wichtig, immer neue Wege zu finden und euch nicht selbst zu zitieren oder zu wiederholen. Wie wichtig ist dabei auch ein Publikum, das eure mutigen Wege bereitwillig mitbeschreitet?
Unheimlich wichtig. Wir haben wahnsinnig viel Glück, dass unser Publikum uns über die Jahre hinweg begleitet hat. Es hat uns nicht nur akzeptiert, sondern respektiert und alle Richtungswechsel und Überraschungen mit Freude mitgetragen. Es wird immer Leute geben, die gerne zurücksehen und eine Phase von uns wiederhaben möchten, aber diese Menschen sind bei uns in der Minderheit, was wirklich toll ist. Uns inspiriert das ungemein, weil wir wissen, dass wir offen und ehrlich komponieren können. Das Publikum und wir, wir überraschen uns gerne gegenseitig.

Ärgert es dich manchmal, wenn gewisse Fans lautstark nach diesem bestimmten Song oder diesem bestimmten Album schreien?
Manchmal tut es das wirklich, aber wir konzentrieren uns lieber darauf, unsere nächsten Schritte zu planen. Ich versuche mich aber auch in sie hinein zu versetzen und die Musik evoziert doch bei jedem bestimmte Erinnerungen aus einer bestimmten Lebensphase. Insofern ist es auch ganz natürlich, dass sich manche gerne gewisse alte Zeiten zurückwünschen. Mir geht es ja teilweise nicht anders und bestimmte Songs oder Künstler sind wie ein ewiges Souvenir aus einer schönen Zeitspanne. Man kann seiner Vergangenheit nicht entkommen, muss sie aber nicht immer wiederholen. Wir versuchen zumindest alles, immer einen Schritt nach vorne zu kommen.

Eines eurer wichtigsten Mottos war immer, das man bei den Sparks das Unerwartete erwarten muss. Was war denn für dich selbst der Moment in deinem Leben, den du am Wenigsten erwartet hast?
Schon allein die Tatsache, dass wir gerade und 24. Album veröffentlichen und noch immer da sind. Das erste Album haben wir mit Todd Rundgren 1971 aufgenommen und unser Leben lang Musiker zu sein und damit Geld zu verdienen war niemals der Plan. Heute sind wir noch immer da und machen Musik, die wir für wichtig halten. Spezifischer gesehen wollen wir uns einfach immer selbst überraschen, wenn wir ein Studio betreten. Manchmal haben wir Songs, die ich ganz anders geschrieben habe, als sie dann mit veränderten Arrangements und Überarbeitungen schließlich auf einer Platte landen. Das sind immer wieder unerwartete und oft magische Momente. Oft entsteht etwas Tolles aus dem absoluten Nichts.

Ihr beide habt in den 70er-Jahren eine Zeitlang in Großbritannien gelebt und viele Menschen würden euch schon rein klanglich gar nicht wirklich als amerikanische Band sehen. Warum ist dem so?
Wir waren uns niemals richtig sicher, warum uns Europäer besser angenommen haben. Vielleicht liegt es daran, dass wir immer sehr theatralisch unterwegs und im Gegensatz zu vielen amerikanischen Bands unsere Musik auch visuell auf der Bühne transportierten. Als wir die Band starteten war unser Ziel es immer, unseren Vorbildern nachzueifern. Das waren britische Bands wie die frühen Who und die frühen Kinks. In den USA gab es damals überhaupt keine Reaktionen, weshalb wir Ende 1973 nach London gezogen sind. Dort veränderte sich alles um 180 Grad und das zog sich quasi durch ganz Europa. Für uns war das ziemlich bizarr, weil wir nicht wirklich wussten, warum die Kluft zwischen Europa und Amerika so groß war.

Ihr habt als Band über die Jahre so viele unterschiedliche Bands wie Depeche Mode, Franz Ferdinand oder Nirvana nachhaltig beeinflusst. Welche Bedeutung hat das für dich?
Ich bin selbst ein großer Fan von all diesen Bands. Sie alle haben wesentlich höheren kommerziellen Erfolg gehabt, weil sie in ihren eigenen Bereichen auch absolut großartig waren. Das hat mit den Sparks in der Form nie funktioniert, aber wir sind unheimlich stolz auf alles, was wir erschaffen haben, auch wenn das in kleinerem Rahmen passierte. Wir haben viele Künstler inspiriert und kommen mit immer mehr Menschen in Kontakt, die uns sagen, dass unsere Musik wichtig für sie selbst war. Es wird bald eine Dokumentation über die Sparks geben, wo viele Leute über uns und unsere Karriere sprechen. Wir waren unglaublich überrascht, wie viele Menschen sich auf uns berufen. Für mich ist das wiederum inspirierend für die eigene Musik.

Mit Franz Ferdinand habt ihr vor fünf Jahren das „FFS“-Album eingespielt und damit auch eine neue Publikumsschicht erschlossen. Ist es dir wichtig, dass die Sparks in gewisser Weise auch immer zeitgemäß bleiben?
Durchaus, denn so sehr wir auch schätzen, wie viele Menschen uns seit Jahrzehnten folgen und hören, so schön und wichtig ist es uns auch, dass wir bemerken, dass unsere Arbeit auch jüngere Menschen berührt. Es gibt nichts Besseres, als wenn du einfach über alle Generationen hinweg interessant bist. Wir wissen nicht, wann wir wieder touren dürfen, aber allein schon zu wissen, dass unser Publikum wieder sehr durchmischt sein wird, lässt die Vorfreude steigen. Natürlich hat auch unsere Online-Präsenz zu neuen Hörern verholfen. Viele hätten uns sonst nie entdeckt oder nie mitgekriegt, dass wir so viel Musik haben. 23 Alben an einem Nachmittag zu hören ist ja nicht so ohne. (lacht)

Nicht so wichtig war euch dafür das Rampenlicht. Abseits der Bühne habt ihr immer darauf geachtet, ein so privates Leben wie möglich führen zu können.
Wir beide lieben es wirklich auf der Bühne zu stehen und uns dort zu präsentieren. Ohne Konzerte geht es uns derzeit auch nicht gut, aber auf der anderen Seite sind wir auch der Ansicht, dass unsere Musik wichtiger ist als wir selbst. Wenn die Leute unsere Musik und unsere Konzerte besuchen hat das wohl auch für sie mehr Sinn, als würden wir ihnen Einblick in unseren langweiligen Alltag geben oder über alle Themen der Welt zu reden. Ich glaube nicht, dass das unbedingt notwendig ist.

War es euch immer wichtiger, innovativ und wandelbar zu sein, als sich möglicherweise durch Gleichförmigkeit und Sicherheitsdenken mehr Ruhm und mehr Geld zu verschaffen?
Das ist definitiv der Fall. Jede Band will so viele Menschen wie möglich erreichen. Wer will nicht mehr Ruhm und Geld? Seien wir uns ehrlich. (lacht) Aber über die Jahre sind wir einfach immer stolzer auf die Tatsache geworden, dass wir unsere Sensibilität beim Songwriting behalten haben und unseren Intentionen gefolgt sind, anstatt auf andere zu hören, die uns vielleicht in gewisse Richtungen drängen wollten. Die Tatsache, dass diese Band so eine lange Reise hinter sich hat, zeigt schon, dass wir viele Dinge auch richtig gemacht haben. Wir haben nicht das Gefühl, dass unsere Musik an Kraft verliert und das pusht uns wieder zu neuen Songs und Alben. Die Balance passt einfach. Wir können weitermachen, weil unsere Fans loyal sind und uns unterstützen, aber es gibt auch nicht wirklich etwas, was wir unbedingt erreichen wollen. Es war nie ein Thema, uns Marktmechanismen oder Trends zu beugen. Dinge, wie der Musicalfilm oder eine Dokumentation über uns passieren mitunter auch, weil gewisse Leute sehen und schätzen, was wir immer so gemacht haben. Wir haben auch viel Glück in unserer Karriere gehabt und aus vielen Richtungen tolle Unterstützung erhalten.

Du bist ja auch ein großer Fan von Österreich. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du bei deinem letzten Besuch hier die „Dritte Mann Tour“ gemacht hast.
(lacht) Unvergesslich. Dieser Film ist einfach großartig, ich bin wie besessen davon. Orson Welles‘ Präsenz in dem Film ist unglaublich. Als wir das letzte Mal live in Wien spielten, habe ich mir den Film angesehen und wollte unbedingt diese Tour machen. Dort wurde die ganze Ansprache von Orson Welles‘ Rolle als Harry Lime wo wiedergegeben, wie er sie im Film Joseph Cotten sagte. Mein Bruder Russell hielt mich für vollkommen irre, aber diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Es hat mir wirklich viel bedeutet. (lacht)

Wie hat sich eigentlich die private als auch berufliche Beziehung zu deinem Bruder über die Jahre entwickelt? Immerhin kennt ihr euch mehr als 70 Jahre lang und seit weit über 50 davon gemeinsam in einer Band…
Wir sind uns heute näher als früher, weil wir verbal nicht mehr so viel über Dinge kommunizieren müssen. Wir kennen uns gut genug und müssen nicht alles diskutieren. Auch musikalisch haben wir die gleichen Ziele und Vorlieben und die Art, wie wir zusammenarbeiten, könnte man fast als telepathisch bezeichnen. Wir reden nicht viel miteinander und hängen jetzt nicht viel miteinander ab, wenn wir nicht arbeiten. Andererseits arbeiten wir aber so viel, dass wir uns ohnehin die ganze Zeit sehen und die Beziehung zueinander wohl näher ist, als es früher der Fall war.

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