Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!
Alestorm - Curse Of The Crystal Coconut
Man muss den Schotten von Alestorm auf jeden Fall zugestehen, mit dem „Pirate Metal“ vor mehr als 13 Jahren ein eigenes Subgenre begründet zu haben. Natürlich, werden Genre-Experten jetzt berechtigt einwerfen, gab es in den 80ern schon Running Wild, aber dort ging man doch etwas ernsthaft ans Werk als hier. Frontmann Christopher Bowes, der seinen pubertären Humor auch noch bei Gloryhammer auslebt, hat sich über mittlerweile sechs Alben eine loyale Fanbase erschaffen, die europaweit auch durchaus große Clubs zu füllen weiß. Das Rezept ist auf „Curse Of The Crystal Coconut“ nicht anders als sonst - treibender Power Metal mit Folk-Einflüssen, viel Keyboard, schnittige Riffs, eine fette Produktion und sehr viel Humor, der schon bei Songtiteln wie „Zombies Ate My Pirate Ship“ oder „Pirate Metal Drinking Crew“ klar in den Vordergrund rückt. Mit „Wooden Leg Part 2 (The Woodening)“ gibt es gar eine Acht-Minuten-Nummer mit Nintendo-Sounds. Na dann - Prost! 7,5/10 Kronen
Nicole Atkins - Italian Ice
Ein „Acid-Trip durch ihre Plattensammlung“ soll „Italien Ice“, das mittlerweile fünfte Studioalbum der hochtalentierten Sängerin Nicole Atkins sein. Stilverweigerung und Mut zum Anderssein waren ihr in ihrer Karriere immer die wichtigsten Prämissen. Ob am 50s-Crooner-Sound, den psychedelischen 60ern oder der Soul-Explosion in den 70er-Jahren orientiert - Atkins war und ist vor allem ein Anliegen, ihre unbändige Liebe zu den besten Jahrzehnten der handgemachten Musik mit einer stressfreien Form von Zeitgeist zu verknüpfen. Das Name-Dropping der Gäste von Spoon über My Morning Jacket bis zu Moose Sherman von Nick Caves Bad Seeds wäre als Verkaufsargument gar nicht nötig, dafür ist das sommerliche Albumvergnügen an sich schon stark genug. Die beiden Balladen „Forever“ und „Captain“ sind wundervolle Liebesbeweise an ihren Ehemann, „St. Dymphna“ ist eine emotionale wie kurzweilige Abhandlung über ihre Zeit in der Rehab aufgrund mentaler Probleme. „Italian Ice“ ist derart Old-School und zwanglos, dass man sich selbst gerne in eine 68er-Kommune beamen würde. Ein kleines Juwel abseits des Mainstreams. 8,5/10 Kronen
Baader-Meinhof - Baader-Meinhof EP
Ghostemane aka Eric Whitney gehört zu den aufstrebendsten und spannendsten Musikern der Gegenwart. Mit seiner Mischung aus Industrial, Electronic, Rap, Pop und bestialischem Metal durchbricht er mit seinem Hauptprojekt bewusst alle Genregrenzen, lässt textlich Persönlich-Verletzliches einfließen und spricht damit einer ganzen Generation wohlstandsverwahrloster Kids aus der Seele, deren Zukunftsperspektive weitaus dunkler ist als es jene ihrer Eltern war. Er ist aber auch berühmt für seine zahlreichen Ausritte. Unter dem hierzulande durchaus gewagten Namen Baader-Meinhof veröffentlichte er dieser Tage eine dritte EP, die man grob im Black Metal einordnen kann. Das bedrohliche „Evil Lives“ leitet mit einer Mischung aus Sample-Krach und Akustikgitarre gut ein, bevor „Stuck In The Hard Place“ eher langweilt. Auf „To The Grave“ findet Whitney aber wieder in die Spur und zeigt, dass man auch ohne trve zu sein, verdammt trve sein kann. Ohne Bewertung
Behemoth - A Forest EP
Über die Jahre hat sich Behemoth-Mastermind Nergal mit seiner Band tatsächlich eine Position erschaffen, die es so noch nie gab. Die polnischen Black Metaller dürfen alles machen, können sich in sämtliche Richtungen bewegen und Experimente wagen, ohne dafür verurteilt zu werden. Wenn Nergal auf seinem umtriebigen Instagram-Accound Yoga praktiziert oder seinen Barber-Shop bewirbt, ist das selbst in der engstirnigen Schwarzwurzel-Szene großteils state of the art. Auf der „Corona-EP“ „A Forest“ wagt sich Nergal an seine Goth-Rock-Idole The Cure und covert mit Shining-Skandalboy Niklas Kvarforth eher mittelmäßig eben genannten Song. Da steckt mehr Mummenschanz als Qualität dahinter. Die brandneuen Eigenkompositionen „Shadows Ov Ea Cast Upon Golgotha“ und „Evoe“ fügen sich schon besser in das Oeuvre des umtriebigen Multitalents. Kann man schon so machen. Ohne Bewertung
Alec Benjamin - These Two Windows
540 Millionen Mal wurde sein Mixtape „Narrated For You“ im letzten Jahr gestreamt, die Single „Let Me Down Slowly“ mit Alessia Cara war ein durchschlagender, globaler Erfolg. Kein Wunder, dass der smarte US-Popboy Alec Benjamin mittlerweile immer öfter von den Postern junger Mädels im Kinderzimmer lacht. Von seinem Debütalbum „These Two Windows“ hat er auch schon sechs der zehn Songs im Vorfeld als Singles veröffentlicht, der Überraschungseffekt hälts ich also stark in Grenzen. Die Electro-Anteile sind angenehm sanft gesetzt, Gitarre und Piano dominieren die Pop-Songs, die sich um das Aufwachsen, Erwachsenwerden und Beziehungen drehen. Es ist vor allem die grazile, feminine Stimme Benjamins, welche die Songs trägt und für ein Alleinstellungsmerkmal sorgt. Feiner, schön abgerundeter Mainstream-Pop. 7,5/10 Kronen
Black Inhale - Resilience
Die halbe Besetzung ging den Wienern Black Inhale vor dem Songwriting zu ihrem dritten Studioalbum „Resilience“ verlustig. Keine gemütliche Situation für die übriggebliebenen Konstanten Schlo Trimmal (voc, git) und Drummer Boris Balogh. Aber wo ein Wille, da auch ein Weg und die Neubesetzung hat auch neue Farben in das bekannte Spiel der Band gebracht. Neugitarrist Andrés Cuenca hat dem Spiel der Hauptstädter nämlich zusätzliche Schärfe verschafft, was sich vor allem in prägnanten Songs wie der Single „Escape Room“ oder dem brachialen „Jaded“ niederschlägt, wo man einmal in die Fußstapfen der ewigen Idole Machine Head tritt, ohne deren Erfolgsformel zu sehr zu kopieren. Die partiell eingesetzten Clean-Vocals und raren Stilverschiebungen weg vom Groove-Thrash hin zu einer Art Nu Metal lässt auch an die US-Chartstürmer Trivium erinnern. Textlich legt Schlo an eine Ode an die Menschlichkeit, das Miteinander und die humane Selbstständigkeit über seine flirrenden Gitarrensoli, während die Produktion in ihrer Wucht auf jeden Fall international ist. „Resilience“ ist sicher der Höhepunkt des bisherigen Schaffens - 2021 beim Nova Rock zu sehen. 8/10 Kronen
Blanche - Empire
Blanche ist der etwas andere Popstar. Sie begann ihre Karriere 2016 im zarten Alter von 17 beim wallonischen „The Voice“ und scheiterte kläglich. Trotzdem ging es im Jahr darauf für die belgische Heimat zum Eurovision Song Contest, wo sie mit dem Song „City Lights“ einen sensationellen vierten Platz erreichte und sich damit in die Notizbücher der Musikbusiness-Magnaten beförderte. Trotz europaweiter Chart-Erfolge und guten Single-Nachfolgern hat sich Blanche aber nicht stressen lassen und veröffentlicht ihr Debütalbum „Empire“ ganze drei Jahre nach dem großen Erfolg. Da war es jetzt auch egal, wegen Corona um noch einen Monat zu verschieben. Mutig, aber richtig, denn die 20-Jährige schrieb fast alle Songs selbst und hebt sich damit wohltuend und mutig aus dem Gros diverser Wettbewerbskünstler hervor. Besonders ihre zwischen Aurora, Dolores O’Riordan und Birdy pendelte Stimme trägt die starken Pop-Songs mit Electro-Touch. Der Titeltrack, „Fences“ und „1, 2, Miss You“ stechen besonders hervor. Ein dunkles Electropop-Werk mit Mainstream-Touch. 7,5/10 Kronen
Bleed From Within - Fracture
Es ist mitunter einer der ältesten Hüte der Musikbewerbungsstrategie. Eine ehemals jugendlich-stürmische Band hat den 15. Geburtstag überstanden, schon einige Alben rausgebracht, aber trotz bemühtem Songwriting, starkem Label und dem Versuch, die Trends zu erwischen, irgendwie nie den Sprung in die erste Liga geschafft. Dann müssen eben härtere Geschütze aufgefahren werden. Man spricht vom „menschlichen Reifen“ und wie sich das „in der Musik niedergeschlagen hat“. Nichts anderes machen die Schotten Bleed From Within, deren Metalcore mit Deathcore-Einschlag zwar auch auf „Fracture“ druckvoll produziert und knackig verfasst, aber alles andere als besonders ist. Die Clean Vocals sorgen wie immer für Aggressionsentschlackung, die melodischen Gitarrenriffs schreiben förmlich nach 2002 und in „Night Crossing“ hat mit Trivium-Mastermind Matt Heafy auch noch einen Metaller von Weltstarformat als Gast am Start. „Fracture“ ist wunderbar Standard, wohliger Durchschnitt, aber auch ganz sicher nicht mehr. 5,5/10 Kronen
Breland - Breland EP
Immer, wenn man glaubt, man hätte vielleicht schon alles gesehen, kommt wieder etwas ganz Neues und reißt einen aus der Gewohnheit. Trap mit Country? Geht, auch wenn man es sich vielleicht schwer vorstellen kann. Breland, dieses 24-jährige Multitalent aus New Jersey, das mittlerweile in Atlanta lebt, wagt dieses Sakrileg und überrascht schon auf dem EP-Opener „My Truck“ mit völlig abgedrehten Klängen. Ein Country-Vibe im Hintergrund, dazu dicke Beats, seine eindringliche Stimme und ein paar „Scurr Scurr“-Rufe. Der „Horseride“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, ersetzt die Country-Referenzen aber durch R&B mit etwas Soul-Feeling. Die brandneue „Hot Sauce“ hat auf jeden Fall Hit-Potenzial und zeigt eindrucksvoll, wie viel Potenzial in diesem gewöhnungsbedürftigen, aber spannenden Sound steckt. Ohne Bewertung
Centinex - Death In Pieces
Es hat schon seinen Grund, warum Schweden-Death-Metal in den frühen 90er-Jahren mit Bands wie Entomed, Unleashed oder Dismember zu einer gemeinhin erfolgreichen Exportmarke wurde. Die Flamme der frühen Tage halten sämtliche Bands mehr oder weniger aktiv und mehr oder weniger erfolgreich am Lodern, aber auch in der zweiten Reihe tut sich viel. Etwa bei den auch schon damals aktiven und seit gut sechs Jahren wieder hochmotivierten Centinex, die zwar fernab der größeren Metal-Labels laufen, aber in einem recht beständigen Rhythmus starkes Material veröffentlichen. Das ist mit „Death In Pieces“ nicht anders. Hier wird keine Note, kein Fill, kein Riff neu erfunden, aber mit so viel Liebe aus den alten Tagen in die Gegenwart getragen, dass man sich headbangend in Songbrechen wie „Only Death Remains“, „Tomb Of The Dead“ oder „Beyond The Dark“ verlieren kann. So richtig an den Schrauben drehen die alten Männer aber, wenn es langsam und wühlend wird („Derelict Souls“) - ein spätes Referenzwerk! 8,5/10 Kronen
Diplo presents Thomas Wesley - Chapter 1: Snake Oil
„My kind of country will unite us all“ - das ist einmal eine Ansage. Doch als millionenschwerer DJ kann man sie auch etwas lässiger tätigen als in anderen Situationen. Diplo, prinzipiell bekannt dafür südamerikanischen Funk in den USA salonfähig gemacht und mit Kumpel Skrillex die EDM-Szene aufgemischt zu haben, hat schon länger den Stetson für sich entdeckt. Das ist wohl nicht nur echte Liebe zur Countryszene, sondern auch Marketingkalkül, denn kein anderes Genre erfreut sich in den USA derart ungebrochener Beliebtheit. So kann er am Albumcover auch gut von sich selbst in der dritten Person sprechen, was soll da danebengehen? Die Songs pendeln übrigens zwischen Halb-Country und kompletten Mainstreampop, eine Steve Earle- oder Lucinda Williams-Scheibe sollte man sich also nicht erwarten. Pompös natürlich die Gaststarriege - auf dem Album tummeln sich u.a. Noah Cyrus, die Jonas Brothers oder Lil Nas X, mit dem Diplo der Top-Hit „Old Town Road“ gelang. 7/10 Kronen
Farid Bang - Genkidama
Die größte Skandale mit seinem Brother in Crime Kollegah sind mittlerweile fast vergessen. Auch, dass Farid Band damals durchaus mitverantwortlich dafür war, dass der ECHO als deutscher Musikpreis abgesagt wurde. Die Skandalnudel aus Düsseldorf sollte sich ohnehin besser auf seinen Brotjob konzentrieren, denn „Genkidama“, sein erstes Soloalbum seit vier Jahren, pendelt zwar wenig spannend zwischen großen Karren, dicken Brüsten und fetten Uhren, ist aber trotz allem eine solide Rap-Platte, die sich einen Dreck um Trends und Konventionen schert. Beeindruckend ist vor allem die Gästeliste: French Montana, Rick Ross, Haftbefehl, Kollegah, Fler, Samra, Capital Bra, Capo, Ssio, AK Außerkontrolle, 18 Karat, Summer Cem, Jasko, Sipo und Majoe. Fehlt da noch wer? Mit Sicherheit, aber viel kann es nicht sein. Platz bleibt auch für etwas Doubletime. Kann man schon mal so machen. 7,5/10 Kronen
Flying Lotus - Flamagra (Instrumentals)
Diese „Ein-Jahres-Jubiläen“ werden immer populärer. Hat Carly Rae Jepsen letzte Woche ein Jahr nach ihrem Studioalbum „Dedication“ ein amtliches B-Seiten-Album nachgelegt, macht Flying Lotus nun ähnliches mit dem gefeierten und famosen „Flamagra“. Nur, dass die Tracks dieses Mal rein instrumental gehalten sind. Am normalen Album versammelte er Superstars wie Anderson. Paak, Little Dragon oder George Clinton und bewies eindrucksvoll, wie vielseitig und hochqualitativ er vorging. Wie gut die Musik auch ohne vokale Begleitung funktioniert, das kann man sich nun genauer anhören. Auch hier hat er wieder eine Reihe von hochklassigen Gastmusikern versammelt, u.a. Thundercat, Herbie Hancock, Robert Glasper oder Deantoni Parks. Das Album ist angetrieben von Beats und trickreichen instrumentalen Wendungen. Ein perfekter Release für Warp Records, die vor allem aufzeigt, wie mannigfaltig die Musik von Steven Ellison aka Flying Lotus funktioniert. Ohne Bewertung
Grave Digger - Fields Of Blood
40 Jahre, das muss man sich einmal vorstellen. Vor 40 Jahren war Heavy Metal dank Judas Priest, Iron Maiden oder Accept gerade einmal in den Babyschuhen, aber auch die Gladbecker rund um Chris Boltendahl haben 1980 schon ihre ersten Regungen gemacht. Zum großen Jubiläum beschenkt der Graumähnige seine treuen Fans nicht mit einer lauen Best-Of, sondern mit dem Abschluss seiner konzeptionellen Trilogie über Schlachten in Schottland. „Fields Of Blood“ ist dabei tatsächlich das beste und würdigste Werk, weil es alle Stärken Grave Diggers wundervoll zusammenfast. Hymnische Chöre, durchdringende Dudelsack-Klänge, eisenharte Gitarrenriffs, traditionelle Melodien und galoppierende Rhythmuspassagen, die ganz klar an die großen Iron Maiden angelehnt sind. Wer eine solche lange Karriere ohne große Hänger hinter sich gebracht hat, ist schon an sich zu respektieren, aber im Spätherbst einer Karriere noch so ein Album wie „Fields Of Blood“ zu veröffentlichen - Hut ab. Anspieltipps: „All For The Kingdom“, „My Final Fight“, „Barbarian“. Well done! 7,5/10 Kronen
Heads. - Push
Nihilismus, Zerstörung, industrielle Kälte - all diese Begriffe kommen einen in den Sinn, wenn man sich in die destruktive Welt von Heads. fallen lässt. Nach ihrem 2018er-Debüt „Collider“, das zumindest noch die Spur einer vitalen Hoffnung verbreitete, herrscht auf „Push“ endgültig flächendeckende Weltuntergangsstimmung. Das liegt in erster Linie am australischen Frontmann Ed Fraser, der mit seinem quälenden Sprechgesang im besten Listener-Stil Tracks wie „Weather Beaten“, „Loyalty“ oder „It Was Important“ eine schmerzhafte Bedrohlichkeit vermittelt. Selbst in den seltenen Momenten, wo man sich kurz wohlfühlt („Nobody Moves And Everybody Talks“) finden Heads. stets eine Möglichkeit, räudig und kratzend durch die Gehörgänge zu mäandern. Der Duft des unbehandelten Ostberlins wird auch durch die Produktion von Christopher Bartelt (Kadavar) und den Mix von Magnus Lindberg (Cult Of Luna) zu jeder Zeit glaubhaft vermittelt. Hier schreit wirklich nichts nach dem Schönen im Leben, „Push“ könnte gut als perfekter Soundtrack zur Seuche durchgehen. 7/10 Kronen
Honey Lung - Post Motorcade Music EP
Heutzutage müssen sich Bands nicht mehr aus dem Proberaum fusionieren, das weiß man mittlerweile längst. Honey Lung etwa sind ein gutes Beispiel für eine zeitgemäße Herangehensweise, nämlich über das auch schon wieder klassische Onlinesuchen. Mittlerweile haben sich die Londoner mehr als gut eingespielt und auch schon einen Stil gefunden, der sich nicht verstecken muss. Sanfter Shoegaze, vermischt mit emotional getaktetem Pop und sanften Melodien sorgt für ein wundervolles, aber auch melancholisches Klangerlebnis. Songs wie „Getting Off“, „Name“ oder das aufrührende „Big“ entführen in die Welt einer Bande von britischen Twenty-Somethings, deren musikalische Ahnen ihnen wunderbares Geleit zur persönlichen Entfaltung vermittelten. Der Teenager-Soundtrack zur Vollkommenheit - nur eben etwas sperrig und nicht sofort als mainstreamtauglich identifizierbar. Ohne Bewertung
The Howl & The Hum - Human Contact
Manchmal hat man einfach Pech. So wie The Howl & The Hum, eine der spannendsten und zukunftsträchtigsten Pop-Bands der Gegenwart, deren Debütalbum nun einmal unglücklicherweise „Human Contact“ heißt, wenn man gerade das nicht praktizieren sollte. Aber gut, wenn das Album seit September fertig ist und nur mehr auf die Veröffentlichung wartet, dann kann so etwas eben passieren. Es geht ja ohnehin um Inhalt und Musik und da hat man es in gleich doppelter Hinsicht mit seinem besonders wertvollen Schmankerl zu tun. Angeführt vom eindringlichen Organ Sam Griffiths‘ weiß das Quartett nämlich genau, wie man bekömmliche Pop-Songs á la Bastille oder den Editors mit den Post-Punk-Wurzeln der frühen 80er-Jahre verknüpft, ohne dabei als biedere Kopisten bezeichnet zu werden. Der Albumtitel und die textlichen Inhalte spielen zudem auf den Zusammenhalt und die Zwischenmenschlichkeit an. Dinge, die man auch mit körperlichem Abstand gut pflegen kann. Mit diesem Einstand ist der Weg zum großen Fortschritt jedenfalls geebnet. 7,5/10 Kronen
Christian Lee Hutson - Beginners
Jahre ist es her, da hat sich Christian Lee Hutson schon einmal als Singer/Songwriter versucht. Nicht schlecht, vor allem das 2014er Werk „Yeah Okay, I Know“ hat durchaus seine hellen Momente. Entscheidend für die Karriere des heute 29-jährigen Kaliforniers war trotzdem die Begegnung mit der weithin respektierten und gefeierten Künstlerin Phoebe Bridgers. Seit zwei Jahren führen die beiden eine mehr als kollaborative Freundschaft, die gleichermaßen privat wie dienstlich Früchte trägt. Hutson hat sich ordentlich viel vom Talent vom Songwriting-Zugang der großen Phoebe abgeschaut, findet auf „Beginners“ aber trotzdem seine eigene Klangfarbe. Das ist das eigentlich Herausragende an diesem Album, denn Hutson verschafft sich eine Position im Songwriting, die sich deutlich an eigenen Heroen anlehnt, ohne aber an eigener Identität einzubüßen. Da wächst Gutes heran! 7,5/10 Kronen
Impiety - Versus All Gods
Das muss man sich einmal vorstellen: 2020 sind Impiety, ein Rumpelkommando, das sich gerne zwischen Black, Thrash und Death Metal positioniert, mittlerweile im Krieg mit allen Religionen dieser Welt. Das aber nicht aus einem der üblichen Märkte wie Norwegen, Frankreich oder den USA, sondern aus Singapur. Einem Staat, in dem man erst 2004 Kaugummis kaufen durfte und der nicht gerade weltbekannt dafür ist, ein derart wild treibendes Konglomerat in aller Seelenruhe durch die Botanik holzen zu lassen. Mit „Versus All Gods“ schlägt Mastermind Shyaithan mit wieder einmal veränderter Besetzung in die bekannte Kerbe. Holpriger Sound, Blastbeat-Stakkatos, keifende Stimme und sägende Gitarren. Dazu unmissverständliche Songtitel wie „Reigning Armageddon“, „Barbarian Black Horde“ oder „Interstellar Deathfuck“. Wenn man sich an Größere orientieren will: hier hört man ganz wenig Impaled Nazarene, etwas mehr Nifelheim und ganz viel Krisiun raus. Ein Festmahl für Liebhaber des Kantig-Verqueren. 7,5/10 Kronen
Jade Hairpins - Harmony Avenue
Man mag es auf den ersten Blick nicht glauben, aber es ist wahr: Jade Hairpins, die lange ein Mysterium um sich herum aufbauten, bestehen aus den beiden Fucked Up-Mitgliedern Jonah Falco und Mike Haliechuk. Wie passt das zusammen? Da die Stammband, bekannt für kompromisslosen und feurigen Hardcore-Punk, dort diese neue Spielwiese, die sich am liebsten im Post-Punk von Ian Dury und der New Wave von Joy Division suhlt und dabei auch nicht vor Pop und Funk zurückschreckt. „Harmony Avenue“ war als eine Art Spin-Off geplant, hat aber durch die starken Songs nun tatsächlich ein qualitativ hochwertiges Eigenleben genommen. Die Ernsthaftigkeit der Fucked Up-Songs hat das Duo mit viel Liebe zum Detail und zur Komposition mitgenommen. Hoffentlich hat dieses Fun-Projekt länger Bestand, noch interessanter wäre freilich früher oder später eine gemeinsame Tour mit beiden Bands. Träumen darf man ja noch. 7/10 Kronen
Fynn Kliemann - Pop
Die Luft in der deutschen Pop-Landschaft ist längst ziemlich dünn geworden. In einem Land mit mehr als 80 Millionen Einwohner gibt es eben auch eine erkleckliche Anzahl an Songwritern oder Musikern, die sich ein Stück vom Erfolgskuchen schnappen wollen. Fynn Kliemann hat das eigentlich gar nicht nötig, denn ihn kennt man in der Allgemeinheit eher Webdesigner, Heimwerker, Autor, Schauspieler und vor allem YouTuber. Wie schon bei seinem Debüt „Nie“ hat sich Kliemann auch für „Pop“ etwas Einzigartiges überlegt: physisch konnte man das Album nur bis zum Tag der Veröffentlichung bestellen. Warum auch nicht? Mit seiner eindrucksvoll-rauen Stimme lässt er öfters darüber hinwegsehen, dass manche Kompositionen etwas seicht geraten sind, doch im Gegensatz zu Kollegen wie Bourani oder Giesinger fühlt man bei Kliemann in Songs wie „Warten“ oder „Frieden mit der Stadt“ immer eine gewisse Dringlichkeit. Damit sticht er auch aus dem Gros heraus. 7/10 Kronen
Kyd The Band - Season 2: Character Development EP
Geheimnis ist es ja längst keines mehr, dass Nashville das eigentliche Musikmekka der USA ist. Das weiß man nicht nur wegen der überbordenden Country-Szene, sondern auch aufgrund durchschlagender, globaler Erfolge von den Kings Of Leon, Justin Timberlake oder Miley Cyrus. Es muss eben nicht immer Country sein und das ist es auch bei Kyd The Band nicht. Dahinter verbergen sich die beiden Brüder Kyle und Devin, die mit ihrem R&B-lastigen, aber stets im melancholischen Pop angesiedelten Zugang zur Musik schon seit längerem die Radiostationen quer über den Globus aufmischen. Interessant: Begonnen hat die Karriere der beiden ursprünglich mit Kirchenmusik, mittlerweile wagen sie sich aber auch schon an die große EDM-Welt heran. “Season 2: Character Development“ ist die zweite EP in relativ kurzer Zeit, auf der Devin einmal mehr offen und schonungslos über seine jungen Jahre referiert. Dazu zählen das Verlassen der Familie genauso wie das Überleben einer Überdosis. Hard Stuff, sanft programmiert. Ohne Bewertung
Kygo - Golden Hour
DJ sein, der absolute Traumberuf. Permanentes Jetset-Leben, immer auf Achse, drei Bühnen in drei Städten in drei verschiedenen Ländern an einem aufregenden, langen Tag. So war es bislang immer, so wird es bis auf Weiteres nicht mehr sein. Auch das verdankt man dem lästigen Covidl. Das bedeutet auch für Megastars wie Kygo, dass sie derzeit eine ungewohnte Ruhe genießen, was angesichts tragischer Schicksale wie dem von Avicii vielleicht gar nicht so schlecht ist. So hatte der Norweger wenigstens Zeit, endlich sein lange angekündigtes, drittes Album „Golden Hour“ fertigzustellen. Was? Ein Album? Ja, das kann auch in diesem Sektor funktionieren. Vor allem wenn die 18 Tracks samt und sonders mit Gaststars wie OneRepublic, Zara Larsson, Zak Abel oder posthum Whitney Houston aufwarten. Only the sky is the limit - das gilt auch in Zeiten, in denen man am Boden bleiben muss. Für Fans eine wundervolle Werkschau Kygo’s Fertigkeiten, obere Chartplätze und Radio-Airplay sind natürlich garantiert. 7,5/10 Kronen
LEA - Treppenhaus
Die Liebe. Manchmal ist sie wunderschön und beflügelt, dann tut sie oft so weh, dass man sogar 110 rufen muss. All die Facetten der Zwischenmenschlichkeit und von Beziehungen wirft Deutschlands aufstrebender Popstar LEA auf ihrem dritten Album „Treppenhaus“ auf. 2016 begann ihre Karriere als Backgroundsängerin von Mark Forster, doch Stimme und Talent haben sich schnell zum eigenen Erfolg geschwungenen und nun zeigt sich die 27-Jährige so gereift und textlich emanzipiert wie noch nie. Das titelgebende „Treppenhaus“ steht für das „Dazwischen-Gefühl“ in einer Beziehung, in dem beide Parteien feststecken, ohne wirklich einen Fortschritt erkennen zu können. Dabei orientiert sie sich bewusst am Vorgängerwerk „Zwischen meinen Zeilen“, wagt sich im Songwriting aber trotzdem an neue Ufer. Ein weiterer Schritt zum persönlichen Reifeprozess, der sich im Mainstreamradio gut machen wird, ohne anzuecken. Deutschpop eben. 6,5/10 Kronen
Louise Lemón - Devil EP
Als „The Queen Of Death Gospel“ lässt sich die Schwedin Louise Lemón gerne bezeichnen. Das klingt natürlich gewaltig großspurig und macht auch beim zweiten Hinsehen keinen schlanken Fuß. Allerdings - ihr letztes Album „A Broken Heart Is An Open Heart“ war tatsächlich eine wundervolle Mischung aus 60s/70s Psychedelic Rock, Dark Pop, etwas Soul und einer melancholischen Grundatmosphäre. Sie dadurch gleich in einen Topf mit etablierten Könnerinnen wie Chelsea Wolfe oder A.A. Williams zu werfen greift aber auch deshalb zu kurz, weil Lemón im Direktvergleich viel zugänglicher ist. Das hört man auch ihrer 5-Track-EP „Devil“ an, auf der sie zumeist sanft singend und spartanisch instrumentiert möglichst ungeschminkt ans Werk geht. Im Prinzip ist sie Angel Olsen oder Kate Bush fast näher als den zuvor erwähnten Dunkelkünstlerinnen. Ohne Bewertung
Peter Maffay - Erinnerungen 2
Was für eine lebende Legende - was sollte man sonst über Peter Maffay sagen? Den Mann, der mit 19 Nummer-eins-Alben in den deutschen Charts wohl einen ewigen Rekord hält, seit Dekaden die größten Hallen ausverkauft und so nebenbei auch noch die weitgehend populäre Zeichentrickfigur Tabaluga miterfunden hat. Daneben hat er auch eine ganze Wagenladung legendärer Songs geschrieben, viele Balladen davon hat er 2017 schon als „Erinnerungen“ auf eine CD gebrannt. Drei Jahre später war die Zeit offenbar reif für eine Fortsetzung, aber auch kein Wunder bei der Menge an hochqualitativem Material, das sich über die Jahre beim 70-Jährigen festgesetzt hat. Wer sich Songs wie „Die Geister, die ich rief“, „Weck mich nicht auf!“ oder „Der Strom der Zeit“ durch die Gehörgänge fließen lässt, kann sich auf eine sanfte Nostalgiereise begeben. Ein Werk für Kenner und loyale Anhänger. Ohne Bewertung
Mando Diao - I solnedgången
Angst vor Experimenten hatten die schwedischen Superstars Mando Diao noch nie. Man denke etwa zurück an das 2014er Disco-Werk „Aelita“ und die darauffolgende, in Togen exerzierte und für viele Old-School-Fans verstörende Tour. Oder, noch früher, das 2012 erschienene „Infruset“, völlig auf Schwedisch eingespielt und eingesungen und ihrer skandinavischen Heimat ein Welterfolg. Genau daran knüpft nun acht Jahre später auch „I solnedgången“ an, auf dem sich Björn Dixgård und Co. wieder ganz der kühlen Heimat hingeben. Für das zehnte Studioalbum haben Mando Diao einerseits Gedichte von Karin Boye, Nils Ferlin und Gustaf Fröding mit Instrumenten vermischt, andererseits selbst mit den eigenen Familien getextet. Die erste Single „Själens skrubbsår“ haben etwa des Sängers Eltern verfasst. Eingespielt hat man das Werk übrigens pur und unverfälscht: live und in nur vier Tagen. Musikalisch hat das Werk wenig mit den gängigen Mando Diao zu tun. Meist bleibt man im Slow-Tempo-Bereich, das Piano ist eine treibende Kraft und öfters macht sich entspannte Lounge-/Lagerfeueratmosphäre breit. Für Fans und Freunde melancholischer Klänge ein Pflichtkauf. Und Gerüchte besagen ohnehin, dass das nächste „richtige“ Album schon in den Startlöchern stehen soll… 7/10 Kronen
Kip Moore - Wild World
Mit seinen ersten beiden Alben „Up All Night“ und „Wild Ones“ war Kip Moore vor einigen Jahren der Senkrechtstarter unter den Nashville-Countrystars. Die Mischung aus seinem Charme, der starken Stimme und seinem klassischen US-Songwriting bescherte ihm hohe Chartplatzierungen und ein Standing im Business, von dem anderen Künstler oft jahrzehntelang vergeblich träumen. Moore war schon immer mehr Springsteen als Prine und damit auch etwas leichtfüßiger und bekömmlicher, was wiederum sehr zuträglich für den Massenzuspruch ist. „Wild World“ ist sein mittlerweile viertes Album und Werk der Reisen. In Maui, Costa Rica, Australien oder Schottland ließ sich der heute 40-Jährige inspirieren und versucht diese physischen Reisen nun in der Corona-Zeit zu mental gedeihen zu lassen. Das „Feel-Good-Prinzip“ hört man Songs wie „Grow On You“ oder „Fire And Flame“ auch zu jeder Zeit an. Hier vermengen sich Freiheitsdenken mit Pathos und einer glatten Produktion. Ein bisschen mehr Ecken und Kanten könnte sein Sound vertragen, aber nicht umsonst heißt ein Song „Red White Blue Jean American Dream“ - nothing more to add. 7,5/10 Kronen
Willie Nile - New York At Night
New York. Der Big Apple. Heimat von Millionen von Menschen, Superstars aus der Kreativszene und der Wissenschaft. Pulsierende Metropole und Blaupause für urbane Geschichten in der Filmkultur. New York - derzeit aber auch mitgenommen als Hauptdarsteller der US-amerikanischen Corona-Pandemie. Leere Straßen, furchtbare Totenstatistiken, Krankenwägen und Särge. Doch wie nach 9/11 wird New York auch diese Krise überwinden und stärker auferstehen. Die perfekten Hymnen für seine Heimat hat der hierzulande sträflich unterschätzte und weithin unbekannte Willie Night, der zwar schon seit gut vier Jahrzehnten musiziert, aber mit jedem Lebensjahr und jedem einzelnen Album an Qualität dazugewinnt. Mit seinem Springsteen-Touch, dem Gefühl, Rocksongs und Balladen zu kombinieren und die vielleicht spannendste Stadt der Welt authentisch und schonungslos abzubilden, gelingt Nile eines der schönsten Liebesgeständnisse des Jahres. „New York At Night“ ist ein einziges Juwel von einem Album, spannend, emotional und lebensbejahend. 9/10 Kronen
October Falls - A Fall Of An Epoch
Aus dem Land der 1000 Seen kommt die Musik, die einen mit ihrer Atmosphäre und Erdverbundenheit bis ins Mark rührt. So auch auf dem neuen Werk von October Falls, dem ersten seit sieben Jahren. Mastermind M. Lehto hat die Band vor knapp 20 Jahren als Akustik- und Ambientprojekt gestartet, sich aber mit Fortdauer der Zeit immer mehr gen Black-Metal-Gefilde orientiert. Das hier vorliegende fünfte Album ist dabei die bisherige Krönung der Stilveränderung, den in den zumeist überlangen Kompositionen setzt der Multiinstrumentalist auf klirrend-kalte Gitarren und epische Melodiebögen. Damit entfernt er sich zwar ein weiteres Mal etwas von seinen großen Idolen Opeth und Katatonia, findet aber eine folkloristisch angehauchte Klangspur, wie man sie vor allem Ende der 90er-Jahre gerne aus allen Teilen Skandinaviens vernahm. Anspieltipps: „The Endtimes Rising“ und „Hammering The Tide“. 7/10 Kronen
Okkultokrati - La Ilden Lyse
Es ist natürlich kein Zufall, dass Okkultokrati seit mittlerweile 2008 so klingen, wie sie klingen, wenn sie Darkthrone-Mastermind Fenriz quasi als Nachbar und Mentor nennen können. „La Ilden Lyse“, besser übersetzt mit „Keep The Fire Burning“, ist ein Lehrbeispiel für rohen, ursprünglichen und auf tighte Riffs bedachten Black Metal, wie er in seiner unerfahrenen und unschuldigen Anfangszeit ab den späten 80er-Jahren den Siegeszug über die ganze Welt antrat. „Outlaw Black Metal“ sagen die Bandmitglieder selbst zu ihrem Soundgebräu und das trifft den Nagel prinzipiell auf den Kopf. Die ständige Bedrohlichkeit in Songs wie „Grimoire Luciferian Dream“ oder „Mother Superior“ schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Kopf des Hörers. Okkultokrati sind stets bereit, anzugreifen und ihren Sound bleischwer in die Gehörgänge zu gießen. Die Punk- und Shoegaze-Referenzen machen den rohen und bitterkalten Sound so speziell und einzigartig. Eine der spannendsten Bands des Genres! 8,5/10 Kronen
Gary Olson - Gary Olson
In einer ohnehin nicht an mangelnder Kreativität leidenden Musikwelt trieb es Indie-Musiker Gary Olson mit diesem Album an die Spitze. Als er vor Jahren mit seine Band Ladybug Transistor in Norwegen tourte, lief er den beiden Brüdern Ole Johannes und Jorn Åleskjaer über den Weg. Die betreiben ländlich neben Oslo ein Studio und fragten forsch nach einer Zusammenarbeit. Gesagt, getan. So besuchte Olson über eine Zeitspanne von acht Jahren immer wieder mal das Brüderpaar um die Basistracks der drei Songwriter aufzunehmen, nur um sie dann jeweils in Brooklyn, Olson’s Heimat, zu veredeln. Ende 2019 fügten sich die elf Songs dann tatsächlich zu einem Album. Zu hören sind die von Olsons Hauptband bekannte Stärken wie Trompete, Bläser und Streicher, sowie die sanfte Stimme des Indie-Connaisseurs. Zurückgelehnter Folk-Rock mit sehr viel Spielfreude und Lust am Improvisieren durchzieht Songs wie „Some Advice“ oder „Diego It’s Time“. Vor allem aber ist das Album ein sanftes Statement für Zusammenarbeit und gegen die Überdigitalisierung der Musikproduktion. 7,5/10 Kronen
Die P - Tape EP
Es war allerhöchste Eisenbahn - vor allem in einem derart maskulinen Genre wie dem Rap bzw. Hip-Hop. Das deutsche Indielabel PIAS und Mona Lina haben unlängst das Female-Rap-Only-Label 365XX gegründet, um dort weiblichen Rapperinnen eine konkurrenzfähige Plattform für ihre Kunst zu geben. Die große Premiere obliegt der in Deutschland schon weithin bekannten Bonner Rapperin Die P, die mit ihrer Single „Mach Platz“ schon vor fünf Jahren das erste Mal für Furore sorgen konnte. Auf der 5-Track-EP „Tape“ rappt sie auf Beats von DJ Soundtrack, Raz-One und Big Doo und präsentiert sich mit einer Wagenladung Selbstvertrauen. Geschlechterfragen interessieren Die P dabei keinesfalls, viel wichtiger ist ihr, den richtigen Flow mit persönlichen und authentischen Texten zu vermischen. Wie viel wichtiger ihr die Kunst als das Geld ist, exerziert sie druckvoll am Schlüsselsong „Money“. Starker Einstand, starkes Lebenszeichen - bitte weiter so! Ohne Bewertung
Palaye Royale - The Bastards
Mit ihrer Aufmachung sind Palaye Royale im Prinzip so etwas wie die amerikanischen Johann Sebastian Bass. Nur dass sie eben keinen elektronisch verzierten Electropop spielen, sondern ihr Heil im Rock’n’Roll suchen. Und wo würde das Kern-Trio mit ausstaffierter Live-Besetzung besser hinpassen, als in die Gambling-Metropole Las Vegas? Nach den beiden „Boom Boom Room“-Alben hält man den Zweijahresveröffentlichungsrhythmus auch auf dem nächsten Konzeptwerk „The Bastards“. Die Supporttouren für Marilyn Manson und Rob Zombie haben sich längst in der Musik niedergeschlagen, klingen Frontmann Remington Leith und Co. doch etwas härter und akkurater als früher. Dennoch, Electro-Rock im Opener „Little Bastards“ oder sanfte Popspuren wie etwa in „Nervous Breakdown“ lassen sich die Königspalästler nicht nehmen. Die klangliche Verbreiterung im Sound ist klar merkbar, wirklich gereift sind die Amerikaner auf ihrem Drittwerk aber auch nicht. Man möchte fast sagen: zum Glück nicht! 7/10 Kronen
Mrs. Piss - Self-Surgery
Begonnen hat alles vor drei Jahren, als die beiden zum Album „Hiss Spun“ auf Tour waren. Da die eindrucksvolle Sängerin Chelsea Wolfe, federführend im Bereich Düstermelodien mit hoher Atmosphäre, dort die famose Multinstrumentalistin Jess Gowrie. Aus der Live-Verbindung wurde eine tiefergehende Freundschaft, aus der wiederum erstand das Projekt Mrs. Piss, mit dem sich die beiden nun auf ihrem Debütalbum „Self-Surgery“ vorstellen. Frei von Zwängen und Vorstellungen von außen war es für die beiden vor allem eine Möglichkeit, ihre Auffassung von Musik auf Band zu bringen. Einerseits die Gothic-artige, psychedelische Atmosphäre, die Wolfe solo versprüht, andererseits Gowries nihilistischer Zugang zu Punk und Grunge-Rock. Dass sich die beiden Single-Auskoppelungen „Downer Surrounded By Uppers“ und „Knelt“ qualitativ schon etwas hervorheben, ist wohl der spontanen Dringlichkeit des Projekts geschuldet. Spaß macht dieses Spaßprojekt aber ohnehin - und zukünftig sollen auch noch mehr Musikerinnen eingebunden werden! 7,5/10 Kronen
Powfu - Poems Of The Past EP
Wenn jemand für Chillout-Musik steht, dann ist es mit Sicherheit Powfu. Mit „Death Bed (Coffee In Your Head)“ gelang ihm eine überraschende Erfolgssingle, die sich in gleich mehreren Ländern fix in die Radio-Airplay-Listen spielte. Auf seiner EP hat sich der kanadische Rapper nun einen Kindheitstraum erfüllt und den Erfolgssing mit einem Feature von Blink-182 verstärkt, einer seiner erklärten Lieblingsbands. Tja, Ruhm bringt eben auch Privilegien mit sich. Dazu gibt es hier noch ein paar brandneue Tracks mit netten Features hierzulande noch nicht so bekannter Gesichter wie Rxseboy, Sleep.Ing oder Sarcastic Sounds. Ein kurzes, entspannendes Klangvergnügen, das perfekt zum Balkonsitzen dient. Ohne Bewertung
Psychic Markers - Psychic Markers
In London ist die kompositorische Düsternis immer besonders emotional ausgefallen, das sagt uns schon die Musikhistorie. Und ein Album wie das gleichnamige von den Psychic Markers passt schlussendlich auch perfekt in die Trauerzeit rund um den 40. Todestag von Joy-Division-Legende Ian Curtis. Die Urväter allen New Waves sind schließlich die wichtigsten Patenonkel für den Sound ihrer juvenilen Nachfolger, die sich in den zehn Songs aber nicht ausschließlich darauf besinnen, ihren wichtigsten Helden zu huldigen. Psychic Markers würzen ihre Soundsuppe lieber auch mit etwas 70er-Krautrock, Indietronic und ganz viel Psychedelischem, was sich vor allem in Songs wie „Enveloping Cycles“ oder dem verträumten Closer „Baby It’s Time“ herauskristallisiert. Manchmal wollen die drei Herren mit dem Hang zum Elegischen doch etwas viel, aber im Indie-Sektor zählt dieses Album zweifellos zu den Highlights dieser Woche. 8/10 Kronen
RRRAGS - High Protein
Die Benelux-Staaten sind derzeit besonders hart vom Corona-Virus getroffen und finden nur sehr mühsam aus der tragischen Misere. Umso besser zu sehen, dass die dortige Kulturszene sich davon nicht unterkriegen lässt. RRRAGS haben sich beim Bandnamen wohl etwas von der immer enger werdenden Auswahl an Möglichkeiten einschränken lassen, googeln lässt sich sowas aber gemeinhin ganz gut. Das Trio besteht aus etablierten Muckern der belgisch/holländischen Szene und hat sich auch auf dem zweiten Album „High Protein“ ganz dem Hard Rock der 70er-Jahre verschrieben. Das bedeutet, dass der Terminus „Huldigung“ bei der eindeutigen Liebe zu diesem Sound eigentlich zu kurz greift. Budgie, Blue Cheer und Grand Funk Railroad fügen sie selbst als größte Idole an, die Live-Taufe am Roadburn Festival und eine Supporttour mit Monster Magnet passen dazu wie die Faust aufs Auge. Selbst da achtminütige „Dark Is The Day“ langweilt zu keiner Sekunde. Musik von Liebhabern für Liebhaber - funktioniert sehr gut als Frühlingssoundtrack. 7,5/10 Kronen
Someday Jacob - Oxygen Will Flow
Someday Jacob sind eine ganz besondere Band. Die Mitglieder kommen gleichermaßen aus Bremen und Hamburg als auch Großbritannien und musikalisch weiß man nicht so recht, ob man lieber im folkloristischen, balladesken oder gar orchestralen Bereich glänzen möchte. „Oxygen Will Flow“ ist aber vor allem warmherzig. Der Sound, die Interpretation, das Songwriting und auch die Produktion wollen im großen Stil umarmen und entfachen große Emotionen. Gerade in der zweiten Albumhälfte rutscht das Kollektiv aber oft arg ins Kitschige („Delicate Ratio“) ab und verspielt doch einiges von dem Bonus, den man sich mit den guten ersten Songs aufgebaut hat. Manchmal dröhnt einem auch das oftmals etwas inflationär eingesetzte Saxofon zu arg in den Ohren, doch wer sich am Lagerfeuer oder bei abendlichen Frühlingsbalkonsessions in wohliger Sicherheit wiegen möchte, der greift hier garantiert nicht daneben. Deutsche Americana, ohne besonders wehzutun. 6/10 Kronen
Sorcerer - Lamenting Of The Innocent
Wer schon allein an die frühen Candlemass-Alben zurückdenkt weiß, Schweden war im Doom Metal neben Großbritannien schon immer Weltmarktführer. Einen nicht unerheblichen Anteil daran haben auch Sorcerer, die sich schon in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren an der Doom-Lehre versuchten, aber erst als erwachsene und erfahrene Männer ab 2010 so richtig Fahrt aufnahmen. Seither aber gewaltig, denn die bislang erschienenen zwei Alben gehören mitunter zum Besten, was das Epic-Doom-Metal-Genre in der Neuzeit zu bieten hat. Das hohe Niveau können sie auf dem mehr als einstündigen Epos „Lamenting Of The Innocent“, das sich einmal mehr um die Hexenverfolgung dreht, mühelos bestätigen. Genre-Fans werden ihre Erfüllung vor allem im feurigen „The Hammer Of Witches“, dem pulsierenden und fast neunminütigen Titeltrack und dem mit zahllosen Gitarrensoli veredelten Closer „Path To Perdition“ finden. Wie passend, dass Candlemass‘ Johan Längquist in einer Gastrolle wahrzunehmen ist. Das bislang wohl beste Doom-Album des Jahres. 8/10 Kronen
Sébastien Tellier - Domesticated
Niemand Geringere als Sofia Coppola verwendete Telliers Track „Fantino“ für den legendären Film „Lost In Translation“. Sie ist auch dafür verantwortlich, das „wilde Tier“ aus Frankreich domestiziert zu haben, wie der Albumtitel so schön aussagt. Für manche ist sein Rauschebart fast so bekannt wie jene von Bud Spencer oder Friedrich Liechtenstein, für andere ist Tellier aber vor allem in universeller Klangkünstler, dessen sanft-elektronischer Synthie-Pop-Zugang nicht umsonst auch Größen wie Daft Punk, Jean-Michel Jarre oder Mr. Oizo nachhaltig in ihren Bann zog. „Domesticated“ ist das erste Album seit sechs Jahren und damit alles andere als ein sprichwörtliches „Lapperl“. Der Inhalt ist leider nur nicht so spannend und zeitlos geraten, wie etwa auf seinen famosen Frühwerken. „Stuck In A Summer Love“ ist ein fein-smoothes Discostück, „Domestic Tasks“ oder das mit viel Autotune aufgefettete „Hazy Feelings“ schwebt aber ziellos durch den Orbit. Tellier bleibt der Romantiker unter den Piano- und Synthspielern, aber nach so langer Pause wäre weitaus mehr zu erwarten gewesen. 6/10 Kronen
Tesa - Control
Nun ja, es gibt wahrscheinlich geschicktere Möglichkeiten als diese hier, wenn man einen Bandnamen wählt. Beim googeln hilft noch nicht einmal das Suffix „Band“, denn dann kommt doch wieder nur zu den Klebestreifen. Doch so offensichtlich auffallen wollen Tesa ohnehin hin. „Control“, hier aufgeteilt in sechs gleichnamige Kapitel, ist das erste Studioalbum seit langen fünf Jahren und ein mehr als kräftiges Lebenszeichen für die immer noch überbordende Vitalität der Letten. Richtig gelesen, das Trio stammt aus dem Baltikum und Musik-Aficionados wissen ohnehin, dass dort so manch klangliche Perle im akustischen Segment zu verorten ist. Vergleiche mit Long Distance Calling, Crippled Black Phoenix oder Year Of No Light sind aufgrund der musikalischen Ausrichtungen sicher nicht von der Hand zu weisen. Tesa gehen vorwiegend düster, bedrohlich und fast schon industriell ans Werk - da holt man aus den drei Rock-Grundinstrumenten wirklich das Maximum raus. Der Soundtrack für den Pfingstregen und die Abenddämmerung. 7,5/10 Kronen
Tristwood - Blackcrowned Majesty
Diese Kurzrezension muss mit einer persönlichen Note beginnen. Das 2006er Werk „The Delphic Doctrine“, damals das zweite Album der mittlerweile fast schon 20 Jahre existenten Tristwood, rotierte wochenlang im Auto-CD-Player des Redakteurs und prägte sich mit seiner viehischen Mischung aus wuchtigen Industrial-Wänden und klirrend-kühlem Black/Death auf ewig in die Hirnsynapsen ein. Die Jahre vergingen, Distanz baute sich auf, aber nun haben sich die Wege wieder gekreuzt. Die Tiroler veröffentlichen mit „Blackcrowned Majesty“ ein Konzeptwerk über einer aus Schwärze und Unheil geborenen Herrscherin, die in einer fiktiven Welt für Zerstörung und Pein sorgt. Heute tummeln sich analoge Synths und viel Ehrfurcht vor 90er-Größen wie Killing Joke, Skinny Puppy oder Nihilist in den Songs. Die Produktion klingt wunderbar roh nach Nähmaschine und verleiht Songs wie dem Titeltrack oder dem famosen „Bone Cathedral“ eine zusätzliche Art von Bedrohlichkeit. Kein Meisterwerk wie vor 14 Jahren, aber mehr als solide Kost, die das Feuer der Protagonisten noch immer schön widerspiegelt. 7,5/10 Kronen
Vandenberg - 2020
Manchen Künstlern gelingt mit viel Glück in einem bestimmten Moment etwas, was die Musikhistorie für immer verändert. Beim holländischen Supergitarristen Adrian Vandenberg war es innerhalb seiner 13 Jahre bei den Hard-Rock-Legenden Whitesnake das Gitarrensolo für die Jahrhundertballade „Here I Go Again“. Ihn nur darauf zu beschränken wäre angesichts seiner beeindruckenden Vita natürlich unfair, doch sticht dieses Ereignis noch einmal besonders aus dem Gros vieler Top-Leistungen heraus. Mit dem fad betitelten „2020“ gibt es gar ein Comeback seiner in den 80ern semierfolgreichen Soloband mit neuen Gesichtern. Gesanglich veredelt von Ritchie Blackmore’s Rainbow-Goldstimme Ronnie Romero reist man für knapp 50 Minuten tatsächlich 35 Jahre in die Vergangenheit. Songs wie „Shadows In The Night“, „Shout“ oder „Burning Heart“ atmen derart viel Whitesnake-, Deep Purple- oder auch Dokken-Luft, dass sich das Haarspray fast von selbst hochtoupiert. Solide, knackig, aber null innovativ. 7/10 Kronen
Velvet Volume - Ego’s Need
Gestählt von zahlreichen Showcase-Festivals wie etwa auch dem „JaJaJa-Festival“ 2018 in Wien hat sich das dänische Trio Velvet Volume in den letzten Jahren schon einen guten Namen quer über den Kontinent gemacht. Hinter den drei Däninnen stecken sogar drei Schwestern, was Zusammenarbeit und Kreativitätsprozess wohl gleichermaßen vereinfachen wie auch erschweren kann. Die Qualität der Quasi-Newcomer hat vor gut einem Jahr sogar schon der „Rolling Stone“ erkannt und auf ihrem Zweitwerk „Ego’s Need“ haben sie sich im Vergleich zum 2017 erschienenen Debüt noch einmal stark entwickelt. Von den Runaways und den Punk-Roots bewegt man sich im Direktvergleich etwas weg und bewegt sich in Nummern wie „Sunny LA“ oder „Blunt Knife“ lieber in Garage-Rock-Gefilden. Die DIY- und „Fuck You“-Attitüde des Gespanns zieht sich angenehm durch die eher rotzig produzierten Tracks, die sich vor allem von üblichen Rock-Klischees emanzipieren. Macht Spaß. 7,5/10 Kronen
Xibalba - Anos En Infierna
„Jahre in der Hölle“ kündigen die Hispano-Kalifornier Xibalba auf ihrem brandneuen Studioalbum, dem ersten nach fünf Jahren Wartezeit, an. Und fürwahr, der auf dem Subgenre-Label Southern Lord Recordings veröffentlichte Hassbatzen ist ein Mahlstrom an bleierner Schwere und zerberstender Aggression. Die Hardcore-Roots und Breakdowns gehören mittlerweile gänzlich der Vergangenheit an, denn Xibalba prügeln wie rastlose Neandertaler auf ihre Instrumente ein und hinterlassen nichts als verbrannte Erde. Das liegt vor allem an Drummer Jason Brunes, der sein Set mit schweizerischer Präzision verdrischt und dem heiser-grölenden Organ von Frontmann Nate Rebolledo, das Ziegelsteine zu zermalmen vermag. Die gute halbe Stunde langweilt zu keiner Sekunde und vermischt sich kongruent aus Sepultura-Rhythmen, Asphyx-Härte und Cannibal-Corpse-Brachialität. So muss die Hölle klingen, sehr gelungen. 8,5/10 Kronen
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