Bürgermeister Siegfried Nagl war Augenzeuge der Amokfahrt in Graz - er wäre beinahe selbst Opfer dieser Wahnsinnstat geworden. Der Stadtchef über Erinnerungen und Gerechtigkeit im „Krone“-Interview.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diesen 20. Juni 2015 zurück - welche Bilder haben Sie noch im Kopf?
Von diesem Tag verblassen die Bilder nicht, es bleibt auch ein Erinnerungsschmerz, der einen plötzlich einholt. Und ich glaube, das wird jedem so gehen, der da dabei war. Das schmerzlichste Bild für alle war sicher jenes des kleinen Valentins. Und ich war ja bei der Synagoge unmittelbar dabei, als die ersten beiden Opfer, ein frischverheiratetes Paar, das sich erstmals die Altstadt anschauen wollte, überfahren wurden. Ich habe den Mann damals zugedeckt, weil er vor unseren Augen verstorben ist. Getötet von einem Menschen, den ich mir nicht erklären kann.
Gibt es nach so einer Tat so etwas wie Gerechtigkeit, wenn man dann das Urteil für den Täter hört?
Also für den Schmerz der Eltern von Valentin und den Angehörigen der anderen Opfer gibt es sicher keine Gerechtigkeit. Ich möchte den Blick deshalb auch lieber bei den Verwundeten und bei den Opfern lassen, als ihn noch einmal auf den Täter zurückzuführen. Die Justiz hat Recht gesprochen und er ist aus der Gesellschaft, so hoffe ich, auch für immer ausgesperrt. Ich wünsche den betroffenen Familien nur, dass sie diesen Tag halbwegs in ihrem Leben verarbeiten können.
Damals war der quer durch die Stadt gehende Schulterschluss greifbar und bis dato wohl auch einzigartig - ist es das, was wir an positiven Erinnerungen an diese Schreckenstat mitnehmen können?
Ja, wenn wirklich eine Ausnahmesituation passiert, dann sehe ich, wie die Menschen zusammenhalten. Und das ist mehr als nur ein Hashtag. Diesen Zusammenhalt gibt es auch augenblicklich in der Politik, wo wir sonst sehr oft verschiedener Meinung sind - gerade ja ebenfalls in der aktuellen Corona-Krise. Diese Gemeinschaft, diese nächstgrößere Familie, gibt Halt. Ich denke, dass wir aber dafür sorgen müssen, dass die Menschen hierfür viel mehr Vertrauen haben.
Außer Poller vor belebten Plätzen aufzustellen - kann man sich als Stadt überhaupt vor derartigen Amokfahrten schützen?
Wir wissen, dass wir damit leben müssen, dass bei hunderttausenden Menschen immer jemand in einer Ausnahmesituation sein kann. Wir haben versucht, besonders gefährdete Plätze zu schützen. Aber noch einmal, wenn es jemand darauf anlegt, kann er uns verwunden - aber Gemeinschaft kann auch schützen und bewahren.
Ist eine Gedenkveranstaltung geplant?
Wir haben damals mit einer großen Gedenkveranstaltung ein Thema abgeschlossen. Mehr wird es nicht geben, das haben wir auch kundgetan und wurde uns von vielen Experten empfohlen - es wird aber zumindest einen Gedenkgottesdienst in der Stadtpfarrkirche zur Erinnerung an die Opfer geben.
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