Der erste Eindruck auf der neuen KTM 1290 Super Duke R: Ich sitze auf einer verdammten Kanonenkugel! Ja, das klingt abgedroschen, schließlich gibt es viele starke Naked Bikes, die man so bezeichnen könnte. Aber die KTM fühlt sich unwahrscheinlich kompakt an. So kompakt, dass ich mir vorkomme wie auf einem fliegenden Motor ohne Bike drum herum.
Vielleicht sollte ich mich ganz cool geben, nach dem Motto „pff, sind doch eh nur 180 PS, Ducati Streetfighter V4 oder Kawasaki Z H2 sind ja viel stärker“, doch da geht es nicht um ein paar PS mehr oder weniger. Okay, die KTM hat beim Modellwechsel drei PS zugelegt, dafür einen Newtonmeter maximales Drehmoment eingebüßt. Mit 140 Nm bei 8000/min. ist sie von den dreien dennoch die Drehmomentstärkste. Aber darum geht es nicht. Denn bei aller Power ist es der superkompakte Eindruck, der mich fasziniert.
Dabei ist der neue Überherzog faktisch gar nicht kompakter als sein Vorgänger, der Radstand ist sogar 15 mm länger, außerdem steht der Lenkkopf drei Grad flacher. Lediglich der Nachlauf sank um einen Millimeter. So gesehen müsste sich das Ganze sperriger anfühlen als früher. Doch dagegen spricht die normative Kraft des Faktischen, könnte man sagen, wenn man sich gestelzt ausdrücken möchte. Oder: Die KTM ist verdammt handlich.
Die Sitzposition ist schon eher eine Erklärung für das neue Gefühl: Die Sitzbank befindet sich mit 845 mm nun 5 mm höher, vor allem aber sitzt der Lenker ganze vier Zentimeter tiefer, der Fahrer lehnt sich also viel weiter übers Vorderrad.
Die ganze Konstruktion ist neu. Statt eines Gitterrohrrahmens bilden die orange lackierten Rohre nun einen Brückenrahmen, der den Motor als tragendes Teil nutzt. Der Zweizylinder ist eine Spur höher angebracht als früher, darunter hängt die neue Abgasanlage, die sich wie eine Skulptur, mächtig und präsent, nach hinten schlängelt, in beinahe erotisch geschwungenen Formen. Nachdem umweltfreundlich das neue sexy zu sein scheint: Das Triebwerk wird die Euro-5-Norm erfüllen, wenn es so weit ist. Das einstellbare Federbein ist nicht mehr direkt angelenkt, sondern zwecks feineren Ansprechens über ein progressives Hebelsystem.
Nur Muskeln, kein Fett
Allein der Serienauspuff spart ein Kilogramm Gewicht ein. Mit dem gegossenen Alu-Heckrahmen und dem neuen Rahmen (und dem von 18 auf magere 16 Liter geschrumpften Tankvolumen) summiert sich der Diäterfolg auf satte zehn Kilogramm! Eine kleine Welt, die da weggebröckelt ist! So stehen im Typenschein lediglich 210 kg vollgetankt. Das war gerade eben noch Supersportler-Niveau und entspricht der Honda Fireblade, die bis 2016 gebaut wurde (aber 3 PS und 26 Nm weniger Drehmoment hatte).
Trotzdem geht es nicht spartanisch zu, im Gegenteil. Der Sattel ist so bequem, dass ich auch nach einer stundenlangen Tour kein Problem mit meinem Steißbein habe - ich kann mich nicht erinnern, wann bzw. mit welchem Motorrad ich das zuletzt erlebt habe. Lediglich auf dem Soziussitz geht es recht schmal zu. Der taugt nicht einmal dazu, ein Gepäckstück festzuschnallen (außer, man will es loswerden).
Voller Spaß allein
Jeder Meter ist jedenfalls die pure Freude. Trotz Akrapovic ist die KTM nicht übermäßig laut, klingt aber herrlich (sogar für den Fahrer, nicht nur für Leute am Straßenrand). Der 1301 ccm große 75-Grad-V2 läuft erstaunlich sauber, außer man zwingt ihn in die ganz tiefen Drehzahlen und gibt unter Last Gas, und er schiebt immer und überall mächtigst. Schon bei 4000 Touren liegen knapp 120 Nm an! Und sparsam ist er auch: 5,4 l/100 km Testverbrauch. Macht mit dem 16-Liter-Tank an die 300 Kilometer Reichweite. Sich an die heranzutasten erfordert aber eine Portion Mut, weil die Reichweitenanzeige extrem unzuverlässig ist.
Pure Lust bereitet der (leider optionale) Quickshifter zum Rauf- und Runterschalten, extrem geschmeidig. Und für knapp 50 Euro gibt es einen Kit, mit dem man für die Rennstrecke das Schaltschema umdrehen kann. Vielleicht mag man dann auch noch gleich knapp 600 Euro in eine spezielle Fußrastenanlage mit zwölffacher Verstellmöglichkeit investieren.
Keinen Grund zum Upgrade bieten die Bremsen mit ihren Brembo-Stylema-Zangen.
Neues Display, volle Elektronik
Das spiegelfreie 5-Zoll-Display ist neu, das Menü wurde überarbeitet. Die Bedienknöpfe am linken Lenkergriff sind jetzt zielsicherer zu treffen und wirken moderner. Rundherum sind die Tasten für den serienmäßigen Tempomaten platziert. Nur die Blinkerbetätigung ist misslungen: Der Schalter ist spitz und drückt unangenehm in den Daumen, wenn man den Blinker ausschalten will (ja, auch mit Handschuhen), außerdem ist es immer ein wenig Glückssache, ob das Ausschalten gelingt.
Die Fahrmodi aktiviert man im Menü, serienmäßig sind das nur Sport, Street und Rain. Es zahlt sich aus, 500 Euro extra auszugeben, dann bekommt man die Motorschleppmomentregelung dazu, ebenso wie die zwei Fahrmodi Track und Performance, die dezidierte Eingriffe ins Setup erlauben: Traktionskontrolle (neunstufig), Motorrad-Stabilitätskontrolle MSC, Wheelie-Kontrolle, Gasannahme. Das ABS ist grundsätzlich umschaltbar zwischen voller (schräglagenabhängiger) Regelung auf der Straße und Supermoto-Style ohne Kurven- und Hinterradregelung.
Und so fetze ich dahin, immer die Vernunft im Nacken, die mich daran hindern will, auf dieser immensen Drehmomentwelle zu surfen, die über eine lange Übersetzung das 200er-Hinterrad in den Boden walkt.
21.299 Euro ist der Basispreis. Sagen wir, mit knapp 25.000 Euro findet man sein Auslangen. Die Farbpalette ist auch groß genug, jedenfalls wenn man auf Orange und Schwarz steht.
Unterm Strich
Die KTM 1290 Super Duke R ist längst ein Klassiker. Den haben sie in Mattighofen bravourös verfeinert, ohne seinen Charakter zu verändern. Der Beiname „The Beast“, den sie dem Herzog gegeben haben, trifft noch immer zu. Bösartig ist er aber nicht. Dafür ist er nicht artig genug.
Warum?
Ein Feuerwerk an Fahrspaß
210 kg bei 180 PS und 140 Nm? Allerweil!
Warum nicht?
Auf der Rennstrecke braucht man ohne Verkleidung einen starken Nacken
Oder vielleicht ...
... Ducati statt Duke, Z statt R, aber auch Aprilia kann donnern
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