Der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis bewegte Menschen auf der ganzen Welt. Auch in Wien gingen Anfang Juni 50.000 Menschen gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt auf die Straße. Aber wie tief ist Alltagsrassismus in Österreich verankert? krone.at sprach mit dem US-Lehrer Mike Brennan, der vor elf Jahren Opfer eines Polizeiübergriffs geworden war, an dessen Folgen er noch heute leidet, mit Künstler Mahir Jahmal, der täglich „mit Drogen assoziiert“ wird, und Dr. Mireille Ngosso, Medizinerin, Politikerin und Aktivistin. Sie organisierte die „Black Lives Matter“-Demo in Wien und will eine geschichtliche Aufarbeitung. Die Gesellschaft müsse sich endlich daran gewöhnen „dass es schwarze ÖsterreicherInnen gibt“.
Februar 2009: Der US-Amerikaner Mike Brennan steigt aus der Wiener U-Bahn und wird von zwei Drogenfahndern in Zivil geschlagen und getreten, weil diese ihn fälschlicherweise für einen Dealer hielten. Dabei sahen sich der Sportlehrer, der auf dem Weg in die Schule in der Station Spittelau umsteigen wollte, und der verdächtige Drogendealer gar nicht ähnlich, erzählt Brennan, der heute in Florida lebt, im Skype-Interview. „Die einzige Ähnlichkeit war die Hautfarbe, er trug andere Kleidung und auch das Alter passte nicht. Es war ganz einfach eine rassistische Attacke“, schildert Brennan den traumatischen Vorfall.
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
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Vor allem bei seinen Wien-Besuchen fällt ihm das U-Bahn-Fahren schwer: „Für viele ist der Ablauf eine Normalität, man fährt mit der U-Bahn und steigt bei seiner Station aus. Meine Realität sieht anders aus: Ich pausiere meist drei bis fünf Sekunden, checke alle Himmelsrichtungen ab und erst dann kann ich aussteigen. Ich kann nicht wie alle anderen aussteigen. Eine persönliche Vorsichtsmaßnahme, weil ich so das Gefühl habe, es wird nicht noch einmal passieren.“
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
„Es hat Jahre gedauert, bis ich überhaupt schmerzfrei joggen konnte“ Nicht nur seelisch, sondern auch körperlich hat sich sein Leben nach dem Angriff unwiderruflich verändert: „Ich konnte vor lauter Schmerzen nicht gerade stehen. Das Schlimmste an dieser Geschichte ist, ich war zu der Zeit athletisch und körperlich in der besten Verfassung meines Lebens. Als Athlet und Sportlehrer geht man üblicherweise an seine Grenzen. Mir wurde durch die Attacke vieles weggenommen. Ein simples Training wurde unmöglich, mein Körper konnte nicht mehr mithalten. Es hat Jahre gedauert, bis ich überhaupt wieder schmerzfrei joggen konnte.“
(Bild: Privat)
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„Werde mit Drogen und Hip-Hop assoziiert“ Mahir Jahmal ist bildender Künstler, aufgewachsen in Wien. Er besuchte eine bilinguale Schule. Erfahrung mit Rassismus machte er Zeit seines Lebens. „Ich werde mit Drogen, Hip-Hop und ,cool sein‘ assoziiert.“ Dass ihm Konfrontationen eher erspart bleiben, liege an seiner Statur. „Es gibt genug andere, die viel kleiner und schwächer sind, die geschimpft werden: ,Scheiß Chinese, scheiß Neger!‘"
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
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„Einige kriegen nicht einmal ein Taxi“ Jahmal ist wichtig zu erwähnen, dass es Menschen gibt, die es noch viel schwerer haben als er, Menschen, die „in der U-Bahn mit Drogendealern verwechselt werden und sagen: ,Hey, du hast mir letztes Mal was verkauft!‘“ Ein Bekannter habe Jus studiert, das wolle ihm aber keiner glauben, und ein weiterer sei Hotelmanager und muss immer damit rechnen, dass er groß angeschaut wird, wenn jemand mit dem Geschäftsführer sprechen will und er sagt, dass er der Geschäftsführer ist. Und: „Ich kenne jemanden, der fährt jeden Tag mit dem Taxi zur Arbeit, weil er in den Öffis immer von der Polizei angehalten wird, und dann gibt es diejenigen, die nicht einmal ein Taxi bekommen.“
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
„Können Sie überhaupt Deutsch sprechen?“ Nach einer 25-Stunden-Schicht im Krankenhaus Hietzing in Wien treffen wir Dr. Mireille Ngosso. Sie ist Allgemeinchirurgin, stellvertretende Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks und SPÖ-Mandatarin und organisierte die BLM-Demo in Wien. Auf der Straße wird sie mehrmals angesprochen, viele erkennen sie wieder, sprechen Lob und Dank aus: „Are you Ms. Ngosso?“ Für Ngosso bedeutet Alltagsrassismus, „dass irgendwer in den Öffis dich blöd anreden wird, zum Beispiel so: ,Können Sie überhaupt Deutsch sprechen?‘“ Aber auch, „dass der Bildungsweg abbricht, man findet vielleicht keinen Job, oder du bekommst die Wohnung nicht, weil du eine schwarze Hautfarbe hast“.
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
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„Die Adeligen haben sehr gerne Sklaven gehalten“ Rassismus sei nicht nur im Alltag verankert, sondern auch in der österreichischen Geschichte, diese gehöre aufgearbeitet, betont Ngosso. „Es stimmt schon, dass Österreich keine Kolonien hatte, aber unser Land hatte sehr wohl eine Geschichte mit der Sklaverei. Das fängt damit an, dass die Adeligen sich gerne Sklaven gehalten haben, die sie aus Portugal oder Spanien gekauft haben. Viele Afrikaner haben im Ersten und Zweiten Weltkrieg mitgekämpft. Viele, circa 100, sind in Mauthausen umgekommen. Die erste Generation von schwarzen Österreichern stammt von US-Soldaten ab.“ Es stimme einfach nicht, dass „People of Color“ nie Teil der österreichischen Geschichte waren: „Wir müssen das viel mehr aufzeigen und somit Schritt für Schritt das Bild verändern.“
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
Viele fragen Dr. Ngosso, „woher sie denn kommt“. „Aus Wien“ reicht dem Gegenüber als Antwort meist nicht, „von wo ursprünglich“ wird insistiert. Ihre Antwort, mit breitem „L“ gesprochen: „Aus Meidling! Denn: ,Ich denke mir, das gebe ich diesen Personen nicht, dass ich ihnen antworte: Ich stamme aus der Demokratischen Republik Kongo‘, wir müssen uns daran gewöhnen, dass es schwarze Österreicherinnen und Österreicher gibt.“
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