Maria Ebene-Chef:

„Unsere Wartelisten reichen bis in den Herbst“

Vorarlberg
21.06.2020 19:45

Philipp Kloimstein hat in der Akutphase der Corona-Krise die Leitung des Krankenhauses Maria Ebene übernommen. Schon jetzt zeigen sich die Auswirkungen des Lockdowns in den ansteigenden Patientenzahlen. 

Der Linzer Philipp Kloimstein hat nicht nur eine medizinische Ausbildung genossen. Der Psychiater hat auch Violine und Wirtschaft studiert - und verfügt über eine Lehrbefähigung im Dirigieren. Warum er sich trotzdem der Sucht verschrieben hat, erzählt er im Interview.

Ihr Dienstantritt fiel genau in die heiße Phase der Corona-Krise. Wie haben Sie sich Ihren Start in Maria Ebene vorgestellt und wie hat er sich tatsächlich gestaltet?

Bei meiner Bewerbung hat natürlich noch niemand mit der Corona-Pandemie gerechnet. Das Krankenhaus Maria Ebene wurde zu einem psychiatrischen Notspital umgerüstet. Alle Mitarbeitenden waren plötzlich mit völlig neuen Voraussetzungen konfrontiert. Es war also nicht nur für mich alles neu. Das Team ist aber in diesen Zeiten wunderbar zusammengewachsen - trotz den sich ständig ändernden Vorgaben.

Nun hat das Spital wieder seinen Normalbetrieb aufgenommen. Business as usual?

Ja, das Spital hat wieder seinen ursprünglichen Aufgabenbereich aufgenommen - wenn auch mit Modifikationen. In den Therapiegruppen nehmen jetzt beispielsweise nicht mehr 20, sondern nur noch fünf Patienten teil. Wir haben es nun mit ganz anderen Voraussetzungen zu tun - etwa, was die Ressourcen betrifft. Auch die Therapiestation Lukasfeld ist nun wieder geöffnet. Es waren wirklich „verrückte“ Zeiten. Und wirklich normal ist es jetzt auch noch nicht.

Die Patientenzahlen sind bereits jetzt angestiegen. Wie sehen die Zusammenhänge zwischen Krisenzeiten und Suchtverhalten wirklich aus?

Der Klassiker unter den Suchtmitteln ist der Alkohol - weil leicht verfügbar. Er steht in den Kühlschränken, Weinkellern und den Supermärkten. Was sich in Krisenzeiten ebenfalls verstärken kann, sind die Verhaltenssüchte. Weniger Zuwächse gibt es bei illegalen Substanzen. Hier gilt: Wer schon vor der Krise etwa Kokain genommen hat, wird das auch in der Krise getan haben. Allerdings waren die Grenzen dicht, der Substanzennachschub war also nicht so einfach zu bewerkstelligen. Das kann auch zu echten Notsituationen führen, denn ein kalter Entzug kann lebensbedrohend werden. Es haben auch immer wieder Eltern bei uns angerufen, weil sie im Lockdown bemerkt haben, dass ihre Kinder kiffen. Und: In Krisenzeiten kommt es gehäuft auch zu Rückfällen.

Primar Philipp Kloimstein leitet das Krankenhaus Maria Ebene. (Bild: Mathis Fotografie/Dietmar Mathis)
Primar Philipp Kloimstein leitet das Krankenhaus Maria Ebene.

Lässt sich der Zuwachs an Suchtpatienten, die sich auf Maria Ebene für eine Therapie angemeldet haben, mit den Rückfällen erklären?

Man darf nicht vergessen, dass Sucht eine chronische Erkrankung ist - und nichts mit einem schwachen Willen oder Ähnlichem zu tun hat. Ein Teil der Patienten, der sich nun gemeldet hat, ist uns bereits bekannt. Das sind die Rückfälle. Aber wir haben einen Zuwachs an neuen Patienten von rund zehn Prozent. Und das sind erst die ersten Auswirkungen. Hier könnte noch ein Berg auf uns zukommen.

Für Therapieplätze auf Maria Ebene gibt es lange Wartelisten. Brauchen Sie mehr Therapieplätze?

Es stimmt, dass unsere Wartelisten jetzt schon bis in den Herbst reichen. Und aus einem Krankenbett lässt sich eben kein Doppelbett machen. Wir befinden uns jetzt noch in der Akutphase der Krise, die Auswirkungen können sich noch auf zwei bis drei Jahre erstrecken. Vieles ist jetzt auch noch nicht absehbar. Wie reagiert die Politik? Wie entwickeln sich die Arbeitslosenzahlen? Aber ja, man wünscht sich immer mehr Betten. Wir können nur hoffen, dass die Budgetmittel erhalten bleiben. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Maria Ebene gut aufgestellt ist. Und wir sind ja keine EinzelkämpferInnen, es gibt ja eine Reihe von Systempartnern wie beispielsweise die Caritas und andere Suchteinrichtungen - ich denke, dass wir die Folgen der Krise bewältigen können.

Wie wichtig ist ein gut funktionierendes Gesundheitswesen in Krisenzeiten?

Das konnte man während der Finanzkrise 2008 ablesen. In Griechenland etwa kam es zu einer Steigerung der Suizidrate um 40 bis 50 Prozent - brutal. Dort standen ganz andere Budgetmittel zur Verfügung. Vergleicht man die Zahlen von Spanien, Griechenland und Italien mit jenen von Österreich, der Schweiz und Deutschland, wird deutlich, wie wichtig ein gutes Gesundheits- und Sozialwesen ist. Denn wir hatten damals keine solchen Steigerungen. Da darf auch die Politik, da dürfen alle stolz sein. Abgesehen von den finanziellen Mitteln ist auch die Gemeinschaft gefordert. Der Zusammenhalt im Lockdown sollte auch weiterhin hochgehalten werden, denn ein Jobverlust etwa kann wirklich jeden treffen.

Wie lässt sich Suizidprävention sinnvoll gestalten?

Suizid ist ein Tabuthema, niemand spricht gerne darüber. Dabei wird es in anderen Bereichen ganz offen zur Sprache gebracht, etwa in der berühmtesten Oper der Welt, in der „Zauberflöte“ von Mozart. Papageno überlegt sich tatsächlich, sich umzubringen. Das Wichtigste ist, dass man über Suizidgedanken reden kann. Und es braucht niederschwellige Angebote. In Österreich sterben jedes Jahr drei bis vier Mal so viele Menschen durch einen Suizid als im Straßenverkehr. Was wird für mehr Sicherheit auf den Straßen getan? Und was für die Suizidprävention? Geld in die Wirtschaft zu pumpen, ist gut und wichtig, aber man sollte auch Präventionsmaßnahmen nicht vergessen.

Wird hier in Österreich nicht genug getan?

Genug wird man vielleicht nie getan haben können, das sieht man auch an den Verkehrstoten. Man muss sich fragen, wie viele therapeutische Angebote es wirklich gibt. In der Schweiz ist die Dichte viel höher - allerdings gibt es dort auch höhere finanzielle Mittel.

Sie haben vorhin den Cannabiskonsum angesprochen. Wie bewerten Sie Bestrebungen, Cannabis zu legalisieren?

Die einzige seriöse Antwort auf diese Frage lautet: Es wäre ganz gefährlich. Cannabis ist längst nicht mehr die Hippiedroge der 60er Jahre. Heute werden die Pflanzen hochgezüchtet und weisen einen weit höheren THC-Gehalt auf als früher. Da geht es auch um Gewinnmaximierung. Je mehr THC, desto höher der Preis. Es handelt sich also nicht mehr um eine „Zigarette plus“, wie das mitunter gesehen wird. Und Cannabis kann eben auch gefährliche Folgen haben: von völliger Antriebslosigkeit bis hin zu Psychosen. Bei einer Legalisierung ist auch zu befürchten, dass die Konsumenten noch jünger werden - und bei jungen Menschen kann THC noch gravierendere Folgen haben, da diese noch mitten in ihrer Entwicklung stehen.

Wieso haben Sie sich beruflich den Suchterkrankungen verschrieben?

Sucht alleine gibt es nicht, da sind immer noch andere Störungen mit dabei. Aber die Sucht an sich ist etwas Kraftvolles, ein Sog, eine Herausforderung. Es ist schön, auf diesem Gebiet Erfolge zu erreichen.

Sie haben auch Violine studiert, sich aber dann für die Medizin entschieden. Warum?

Das Musikstudium war wie Hochleistungssport. Viele, die in ihrer Jugend Spitzensport betrieben haben, entscheiden sich später für einen anderen Weg. Musik hat aber gar nicht so wenig mit Medizin zu tun: Man muss zuhören und die Dinge gemeinsam angehen. Das war ein gutes Training.

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