Mitten in die Zeiten der Unruhe stößt Pop-/Soulsänger John Legend mit seinem siebenten Studioalbum „Bigger Love“ und zeigt, dass es auch noch Platz für Liebe, Romantik und Gerechtigkeit geben muss. Auf ein politisches Statement verzichtet er dabei bewusst, auch wenn man die Liebe mannigfaltig deuten kann.
Was macht man mit einem Album voller Romantik und Liebe in Zeiten des Lockdowns und der Polizeigewalt? Diese Frage hat sich auch Oberromantiker John Legend gestellt, schließlich hat er die 16 Songs schon vor der Corona-Pandemie fertiggeschrieben. Aus „Bigger Love“ wurde nun ein Album der Mehrdeutigkeit, wie er in einem Zoom-Chat mit europäischen Journalisten mitteilte. „Songs wie ,Bigger Love‘ oder ,Never Break‘ drehen sich um Liebe, Widerstand und Hoffnung. Sie transportieren den Gedanken, dass wir zusammen alles überstehen können, wenn wir uns gegenseitig lieben und respektieren. Im Prinzip haben diese Lieder jetzt eine größere Bedeutung als zuvor.“ Legend geht auf seinem siebenten Studioalbum nur leicht in die Offensive, trennt die Liebe doch recht stringent von der Politik. Schwärzt er auf seinem Twitter-Account schon mal gerne US-Präsident Donald Trump an und setzt sich mit seiner Organisation „Free America“ gegen Ungerechtigkeit und Armut in den Gefängnissen der USA ein, so bleibt er in seiner Kunst auf der sicheren Seite.
Love-Songs sind wichtig
Klar - er kann auch anders. Etwa mit dem Protest-Song „Preach“, der in der aktuellen Polizeigewaltdebatte in den USA gerne von den Demonstranten genutzt wird, oder aber auch mit „Glory“, den Song, den er mit Rapper Common für den Film „Selma“ schrieb, der sich um die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King dreht. „Nicht alle meine Songs sind politisch und ich möchte das auch gar nicht“, erzählt er freimütig, „ich liebe es auch, über die Liebe und den Spaß im Leben zu singen. Über die positiven Dinge. Es inspiriert mich, wenn die Menschen mit meinen Politsongs im Ohr durch die Straßen ziehen und für eine bessere Welt demonstrieren, aber die Love-Songs sind mindestens genauso wichtig.“ Manchmal lassen sich Liebe und politische Botschaft auch verbinden. Etwa mit dem Track „Actions“, wo Legend dazu animiert, lieber etwas zu tun als nur darüber zu reden.
Der 41-Jährige versucht sich auf dem Album einmal mehr seinen großen Idolen zu nähern. Marvin Gaye, Curtis Mayfield und Stevie Wonder, aber auch die Rapper Nas, Jay-Z, OutKast und A Tribe Called Quest dienen Legend als Inspiration. Legend ist gleichermaßen Crooner wie R&B-Künstler, spürt den sexy Soul der 60er-Jahre und fürchtet sich nicht davor, trendigen Pop der Neuzeit in seinen Songs zu verknüpfen. Niemand weiß romantische Balladen so schmachtend zu schmettern, niemand hat das Talent, Zeitlosigkeit und Seele dermaßen kongruent in seinen Songs zu verarbeiten. Legend vertraut nach dem eher dunklen Vorgänger „Darkness And Light“ (2016) wieder stärker dem Optimismus und verströmt Hoffnung. „Ich war immer ein Künstler, der Neues und Altes verbinden, sozusagen die Brücke zwischen beiden Welten schlagen wollte. Auf diesem Album liegt der Fokus auf Freude, Optimismus, Liebe und Hoffnung.“
Hoffnung und Optimismus
‚Mehr als je zuvor spiegeln die Songs die Stimmung wider, die Legend während des Kompositionsprozesses verspürte. Anstatt zu viel zu planen und sich eine Richtung zu bahnen, lässt er sich lieber von der Muse küssen und die Musik aus sich herausfließen. In der Mitte des Albums präsentiert er seine „Babymach-Sektion“, wie er schelmisch lacht. „U Move, I Move“, „Favorite Place“ und das von D’Angelos Album „Voodoo“ inspirierte „Slow Cooker“ zeigen Legend von einer besonders schwärmerischen Seite. Romantik gegen die Pandemie, zudem sind viele Songs klare Liebesgeständnisse an seine Ehefrau Chrissy Teigen. „Gerade auf diesem Album war es mir wichtig, den Leuten ein gutes Gefühl mitzugeben. Die Welt braucht derzeit dringender denn je Freude und ich bin froh, dass ich das Album so gemacht habe. Ich versuche einfach immer die gute Seite zu sehen. Oder sie zumindest stärker wahrzunehmen.“
Die Kraft der Liebe, auf die sich Legend während des gesamten Albums bezieht, setzt er in Bezug zu Cornel West, einem führenden afroamerikanischen Intellektuellen und Theologen. „Liebe kann etwas Zwischenmenschliches sein, sie kann aber auch eine breitere Bedeutung haben. Wenn du etwa den Wert eines Menschen erkennst, der anders aussieht, anders tickt und eine andere Meinung hat als du. Diese Liebe ist eine Form von Gerechtigkeit. Sie kann Probleme lösen und die ganze Welt zu einem besseren Ort machen.“ Als Wanderprediger will Legend mit „Bigger Love“ nicht wahrgenommen werden, doch sind ihm solche Botschaften ein großes Anliegen. „Natürlich machen mich der grassierende Rassismus und der Tod von George Floyd betroffen, aber ich bin auch sehr inspiriert von den vielen multinationalen Menschen, die aufstehen, protestieren und etwas verändern wollen. Ich bin durchaus hoffnungsvoll.“
Feminine Energie
Ein Statement setzt Legend auf „Bigger Love“ auch bei den Gaststimmen - diese sind allesamt weiblich. So hört man die famose Jhene Aiko in „U Move, I Move“, Koffee in „Don’t Walk Away“ und Rapsody in „Remember Us“. „Das Album ist durch diese feminine Energie noch viel besser geworden. Ich bin selbst großer Fan von allen Ladies, die auf dem Album zu hören sind.“ In „Wild“ ist gar der famose Blueser Gary Clark jr. mit einem Gitarrensolo vertreten. Die Vermischung verschiedener Welten ist für Legend in Zeiten wie diesen eine Selbstverständlichkeit. „Die Genre-Definitionen werden allgemein immer fluider und gerade im Streaming-Zeitalter riskieren Musiker viel mehr und trauen sich auch einmal etwas auszuscheren.“ Den Mut zum Ausscheren zeigt Legend auf „Bigger Love“ aber nur beschränkt, dafür verlässt er sich zu sehr auf seine Stärken als Marvin Gaye der Neuzeit. Die Chance auf ein kräftiges Statement hat Legend mit „Bigger Love“ ausgelassen.
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