Die krone.tv-Reportage

Türken vs. Kurden: „Jugend in Stellung gebracht“

Wien
06.07.2020 16:55

Türken gegen Kurden, rechts gegen links, und das mitten in Wien. Wie konnte es so weit kommen? Ist die Politik machtlos? Die krone.tv-Reportage über eine brandgefährliche Eskalation.

In Favoriten kam es in der vergangenen Woche zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen türkischen „Grauen Wölfen“ und linken, kurdischen Aktivisten. Der Konflikt eskalierte, auch sieben Polizisten wurden bei den Demonstrationen in Favoriten verletzt. Ausgangspunkt war eine kurdische Kundgebung, die von türkischen Ultranationalisten angegriffen wurde.

krone.tv sprach mit einem Kurden, der wegen politischer Verfolgung in der Türkei in Österreich um Asyl ansucht, sowie seinem Flüchtlingshelfer Michael Genner. Mit Efgani Dönmez, der jahrelang vor dem Einfluss türkischer Vereine warnte und der Politik den Rücken gekehrt hat. Und mit Integrationsministerin Susanne Raab. Sie reagierte mit einem Fünf-Punkte-Plan und harten Worten: „Wir wollen keinen Einfluss aus der Türkei!“

Polizei Symbolbild (Bild: APA/Georg Hochmuth)
Polizei Symbolbild

Der Arbeiterbezirk im Süden von Wien gilt als sozialer Brennpunkt. „Einheimische“ berichten, dass sie sich dort fremd fühlen. Am Würstelstand in der Quellenstraße sind die Demos Tagesgespräch. Ein Favoritner: „Ihre Großeltern sind als Gastarbeiter und Zuwanderer hierhergekommen. Aber die neue, jüngere Generation macht nur Stress. Das haben wir an dem Wochenende erlebt.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Ein Beispiel dafür, wie sich der Konflikt sogar auf einer rechtlichen Ebene bis zu uns zieht, ist das Asylverfahren von Abdul Kadir. Er ist Kurde, der seit 2016 in Österreich Schutz vor Verfolgung in der Türkei sucht. Das Verfahren läuft noch immer. Kadir wurde wegen seines Kampfes für Demokratie in der Türkei zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Wie schwierig die Situation für ihn ist, erklärt er uns in seiner Wohnung in Wien-Favoriten, wo er wieder mit türkischen Gegnern zusammenleben muss.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Ich habe in der Türkei zwei Jahre als Lehrer gearbeitet. Weil ich auf einer Nevroz-Feierlichkeit (Neujahrsfest) teilgenommen hab, ein kurdisches Konzert besucht habe, wurde ich verurteilt.“ Obendrauf werfen ihm die türkischen Behörden die Verbreitung von kurdischer Propaganda vor, weil er einem Zwölfjährigen „Nachhilfe gegeben“ hat. „Der Staat, die AKP und ihr Chef Erdogan wollen, dass die Kurden aufgeben und nicht mehr ihre Rechte fordern. Vor Gericht ist es egal, ob sie Beweise haben oder nicht, jeder kann verurteilt - und jahrelang eingesperrt werden. Es gibt keinen Kontrollmechanismus. Wenn ein Richter jemanden zu Unrecht verurteilt, muss er mit keinen Konsequenzen rechnen.“ Nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten sitzen in der Türkei in Haft, erinnert Kadir.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Schützenhilfe bekommt Kadir vom Verein „Asyl in Not“. Der Vorwurf des Geschäftsführers Michael Genner: Die österreichischen Behörden hätten im Fall seines Mandanten die türkische Rechtsprechung von Präsident Erdogan übernommen und Kadir als „Terroristen“ eingestuft. 2016 hat Kadir um Asyl angesucht, zwei Jahre später war die erste Einvernahme - „das muss man sich vorstellen“, so Genner. „Kadir ist wegen Terrorismus und Mitgliedschaft zur PKK verurteilt worden, also ist er ein Flüchtling vor der Gerechtigkeit.“ Das erinnert Genner an eine iranische Ehebrecherin, über deren Fall das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gesagt hat: „Sie ist vor der Steinigung, also vor der Gerechtigkeit in ihrem Land, geflüchtet.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Man sollte wissen, was es mit dem Erdogan-Regime auf sich hat“
Am schlimmsten ist für Genner, „dass die Wortargumentation der Negativ-Begründung eins zu eins von der türkischen Justiz übernommen wurde, wo man meinen müsste, man weiß in Österreich, was es mit dem Erdogan-Regime auf sich hat.“ Und: „Er setzt auch hier in Österreich seine Tätigkeiten fort. Er ist bei kurdischen Vereinen, bei Faykom - dem Rat der Kurdischen Gesellschaft in Österreich, bei einem Zweigverein wo er Vorsitzender ist, wo er Veranstaltungen organisiert, wie zum Beispiel ein Wasserspielefest, das von der Gemeinde Wien und der Polizei subventioniert wird.“ Er fängt an zu lachen. „Aber das ist auch ein Zeichen dafür, dass er an seiner terroristischen Haltung festhält“, führt er ironisch aus. Diesen Beamten hat Genner dann bei einem anderen Verfahren „wegen Befangenheit“ abgelehnt. Weil er „offensichtlich ein politischer Gegner des kurdischen Freiheitskampfes ist, dann darf er nicht Beamter in solchen Verfahren sein. Wir schauen uns sehr genau an, wer in den verschiedenen Amtstuben sein Unwesen treibt, es ist Zeit, dass es einmal anders wird.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Wurde die „Willkommenskultur“, jahrzehntelang Basis der Integrationspolitik vor allem in der Bundeshauptstadt, teuer bezahlt? Efgani Dönmez, intimer Kenner der austro-türkischen Community, verfolgt den Einfluss der Türkei auf Österreich seit Beginn seiner politischen Karriere, ob bei den Grünen oder bei Sebastian Kurz, der Dönmez zu den Türkisen holte, sich dann aber wieder von ihm trennte. Nun ist der Oberösterreicher wieder Sozialarbeiter und Projektmanager. Wie kommt es zu diesen Ausschreitungen?

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Dieser Konflikt, der offen ausgetragen wird, hat mehrere Dimensionen. Einerseits ist es ein Konflikt auf politischer Ebene zwischen der kurdischen politischen Bewegung und der türkischen Innenpolitik von links und rechts, andererseits aber auch von den Migranten- und Kulturvereinen, die - so verschieden sie auch sind - eines gemeinsam haben: Sie investieren viel in die Kinder- und Jugendarbeit. So werden die Kinder und Jugendlichen ideologisch mobilisiert und leider Gottes teilweise gegeneinander in Stellung gebracht.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Bleibt jedem überlassen, ob er in einen BMW oder in Ausbildung investiert“
Integration ist nach wie vor ein Kernthema, wenn es um den Konflikt zwischen Türken und Kurden geht. „Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, Leute aus dem nationalistisch-islamistischen Bereich könnten integriert werden. Sie haben es die letzten 50 Jahre nicht geschafft und sie werden es die nächsten 100 Jahre nicht schaffen.“ Für Dönmez bietet Österreich genügend Chancen, die eben genutzt werden müssen. „In Österreich gibt es die Möglichkeiten, jeder kann etwas machen. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben es schwerer, man fängt das Match immer 0:10 an, das ist leider so, das habe auch ich erleben müssen, erlebe ich nach wie vor tagtäglich.“ Nichtsdestotrotz: „Man sollte das Beste daraus machen. Es bleibt jedem selber überlassen, ob er von seinem Geld einen Dreier-BMW besorgt oder das Geld in die Ausbildung fließen lässt.“ Das Bildungssystem sei selektiv, „aber es gibt Chancen“. Auch für Dönmez ist das Gespräch suchen ein erster Schritt: „Man darf nur keine faulen oder falsch verstandenen Kompromisse eingehen.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: krone.tv)

„Grüne wollten mir kein Gehör schenken, für ÖVP war ich das Zugpferd“
Als einstiger Bundesrat bei den Grünen hat Dönmez „all diese Entwickelungen thematisiert und versucht, in einer Differenziertheit und mit der notwendigen Konsequenz anzusprechen. „Man wollte dem kein Gehör schenken.“ 2017, als Dönmez von Sebastian Kurz zur ÖVP geholt wurde, „waren die großen Wahlkampfthemen Integration, Migration und Islam, dafür war ich das Zugpferd, das Gesicht. Und nach geschlagener Wahl habe ich meine Aufgabe erfüllt gehabt, man hat mich bei der erstbesten Gelegenheit bei der Hintertür entsorgt.“ Aber: „Es geht nicht um meine Befindlichkeiten, sondern um Österreich. Wir haben viele Themen und Probleme, ich glaube, man bräuchte Leute wie mich in den Entscheidungsgremien, aber ich dränge mich niemanden auf.“

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

Wir werden gegen Einfluss kämpfen, egal was die Türkei sagt“
Die Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen auf den Straßen von Favoriten beschäftigen sowohl Polizei als auch Politik. Der türkische Botschafter wurde ins Ministerium zitiert, er hatte die Demonstrationen als „jugendlichen Leichtsinn“ bezeichnet.

(Bild: APA, krone.at-Grafik)

Integrationsministerin Susanne Raab antwortet dem Diplomaten unmissverständlich„Wir wollen keinen Einfluss aus der Türkei, da werde auch ich und der Innenminister dagegen ankämpfen unabhängig davon, was die Türkei sagt.“ Gegen Raab und ihren Kollegen, Innenminister Karl Nehammer, gibt es seither Morddrohungen, beide mussten unter Polizeischutz gestellt werden. In Favoriten wundert das keinen.

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