Mann sitzt in Haft

Kopfschuss-Mord: Leibwächter hatte Ladehemmung

Niederösterreich
06.07.2020 06:17

Filmreifer Geheimdienst-Krimi vor den Toren Wiens! Denn der mit einem Kopfschuss hingerichtete Tschetschene war Informant ukrainischer Nachrichtendienste, beschimpfte in Internet-Videos Präsident Ramsan Kadyrow. Staatsschützer warnten vor Todesdrohungen, doch der Kriegsflüchtling (43) lehnte Personenschutz ab. Nun wurde bekannt, dass auf Martin B. sogar ein Kopfgeld ausgesetzt war. Neben dem Auftragskiller wurde auch der bewaffnete Bodyguard des Mordopfers verhaftet - der „Zeuge“ hatte am Tatort Ladehemmung wegen falscher Munition …

Frau, drei Kinder, Gemeindebau-Wohnung in der Wiener Donaustadt, stets freundlich zu den Nachbarn: Nach außen hin wirkte das Leben von Martin B. bieder. 2005 kam er aus Tschetschenien nach Österreich, änderte seinen Namen. Wohl aus Angst vor Verfolgung durch Ramsan Kadyrow. In der Community fiel der frühere Polizist in jüngster Zeit als erbitterter Gegner des gefürchteten Präsidenten auf.

Der Fingerzeig gegen Kadyrow auf der Reichsbrücke: 29 Videos lud das Mordopfer mit zwei Alias-Namen hoch. Meist drohte „Anzor aus Wien“ darin Tschetscheniens Diktator. (Bild: YouTube)
Der Fingerzeig gegen Kadyrow auf der Reichsbrücke: 29 Videos lud das Mordopfer mit zwei Alias-Namen hoch. Meist drohte „Anzor aus Wien“ darin Tschetscheniens Diktator.

BVT ließ Wohnung bewachen
B. lud Videos hoch, beschimpfte in den Filmen, die teils bis zu 500.000 Personen anklickten, den Diktator und dessen Mutter wüst. Daraufhin warnte ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) vor Todesdrohungen, nahm ihn auf die Gefährdungsliste und ließ die Wohnung bewachen. Das Opfer lehnte aber persönlichen Schutz ab. B. wurde selbst bereits mehrfach verurteilt, u.a. wegen Schlepperei, Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung und falscher Zeugenaussage. Zuletzt hatte er bis Spätsommer 2019 eine Freiheitsstrafe verbüßt, aus der er Anfang September bedingt entlassen worden war.

Martin B. lebte bis vor Kurzem in diesem Wiener Gemeindebau. (Bild: Imre Antal)
Martin B. lebte bis vor Kurzem in diesem Wiener Gemeindebau.

Als sich die Hinweise, dass etwas passieren wird, häuften, wurde die Familie einige Straßenzüge weiter einquartiert. Samstagabend holte der lange Arm des Präsidenten B. trotzdem ein: In Begleitung eines Landsmannes fuhr B. zu einem Treffen in die Brünner Straße nach Gerasdorf (NÖ). Ein tödlicher Hinterhalt: Unweit eines Einkaufszentrums auf einem verlassenen Fabrikareal fielen Schüsse, der 43-Jährige starb. Sein Bodyguard (37) konnte wegen einer Ladehemmung nicht abdrücken. Er wurde ebenso festgenommen.

Der Mordverdächtige, umringt von der Cobra, in Linz. Er schweigt bisher eisern. (Bild: APA/MATTHIAS LAUBER)
Der Mordverdächtige, umringt von der Cobra, in Linz. Er schweigt bisher eisern.

Auftragskiller schweigt, Kopfgeld auf Martin B.
Der unter anderem wegen Betrug vorbestrafte 47-jährige Attentäter - auch er Tschetschene und Konventions-, also Kriegsflüchtling - ist mittlerweile in U-Haft. Er schweigt. Aber alles deutet auf einen Auftragsmord mit Polit-Motiv hin. Zumal mittlerweile bekannt ist, dass auf Martin B. auch ein Kopfgeld ausgesetzt war.

Ramzan Kadyrow gilt als Putins Mann fürs Grobe, obwohl der Kreml-Zar zuletzt von ihm abgerückt sein soll. Dem 44-Jährigen werden schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Mord - auch an Kritikern im Ausland - vorgeworfen. Der Vater mehrerer Kinder protzt gerne mit seinem Privatzoo und Luxusautos. (Bild: AP)
Ramzan Kadyrow gilt als Putins Mann fürs Grobe, obwohl der Kreml-Zar zuletzt von ihm abgerückt sein soll. Dem 44-Jährigen werden schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Mord - auch an Kritikern im Ausland - vorgeworfen. Der Vater mehrerer Kinder protzt gerne mit seinem Privatzoo und Luxusautos.

Demnach war es unter Tschetschenen ein offenes Geheimnis, dass sich der 43-Jährige mit seinem Videoblog in Lebensgefahr gebracht hatte: „Es war klar, dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte“, hieß es aus Ermittlerkreisen am Montag. Angeblich kursierten in tschetschenischen Kreisen bereits Berichte über konkrete, gegen den Regimekritiker gerichtete Mordaufträge. Auch Summen sollen in diesem Zusammenhang genannt worden sein.

Bekannten Anwälten ist der Fall zu „heikel“
Die Brisanz des Mordfalls zeigt sich auch daran, dass der mutmaßliche Schütze und ein weiterer Verdächtiger, die mittlerweile in der Justizanstalt Korneuburg in U-Haft sitzen, nicht von Rechtsanwälten vertreten werden, die in Justizkreisen bekannt dafür sind, dass sie russischstämmige bzw. tschetschenische Beschuldigte vertreten. Die Sache sei „zu heikel“, meinte einer von ihnen auf APA-Anfrage nach einem möglichen Mandat.

C. Budin, St. Steinkogler, M. Münzer, C. Gantner, Kronen Zeitung/krone.at

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