Gerechtere Verteilung
Seehofer: Umgang mit Seenotrettung „nicht würdig“
Bei einer Videokonferenz der EU-Innenminister am Dienstag hat der deutsche Vertreter Horst Seehofer einen dringenden Appell an die einzelnen EU-Staaten gerichtet, mehr Verantwortung für die aus Seenot geretteten Flüchtlinge zu übernehmen. Die aktuelle Situation sei „nicht würdig“ für die Europäische Union, drängte der bayerische CSU-Politiker seine Amtskollegen - darunter Karl Nehammer (ÖVP) - auf eine Einigung in dem Streit. Nach der Sommerpause will sich Seehofer vor allem auf die Lösung der Migrationsfrage in der EU konzentrieren.
Er habe „den Ehrgeiz“, bei dem seit Jahren umstrittenen Thema „einen großen Sprung“ während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu machen und möchte deshalb, dass seine Staatssekretäre ab Ende August „die Amtsgeschäfte des Innenministeriums verstärkt selbst in die Hand nehmen“, damit der CSU-Politiker für diese große Aufgabe freigespielt ist.
Seehofers „Feuer entzündet“
„Bei mir ist nochmal ein richtiges Feuer heute entzündet worden“, sagte der 71-Jährige Seehofer nach den ersten Beratungen der EU-Innenminister unter deutschen EU-Vorsitz. Er wolle sich „mit allem, was ich zur Verfügung habe“, der Migrationsfrage auf EU-Ebene widmen. „Das erfordert viel an persönlichen Gesprächen, an Reisen innerhalb Europas.“ Nach den ersten Beratungen zeigte er sich jedenfalls vorsichtig optimistisch, was die Chancen auf eine EU-Asylreform betrifft.
Fast alle EU-Mitglieder zur Solidarität bereit
Aus Seehofers Sicht sind drei Punkte wesentlich: eine Asyl-Vorprüfung an den EU-Außengrenzen, die Rückkehr abgewiesener Antragsteller in ihre Herkunfts- oder Transitländer und Wege zur legalen Einreise in die EU. Mit Blick auf die Seenotrettung sagte Seehofer grundsätzlich: „Fast alle Mitgliedstaaten, in unterschiedlicher Form, sind da zur Solidarität bereit.“ Die Bereitschaft mitzumachen sei auch von Staaten gekommen, „von denen man das bisher nicht gehört hat“, sagte Seehofer. „Es ist ein sehr, sehr dickes Brett, das wir hier zu bohren haben.“
EU-Reformvorschlag bis September
Die EU-Kommission will bis September einen Reformvorschlag für die europäische Asylpolitik vorlegen, dabei soll auch die Frage der Seenotrettung adressiert werden. Der Vorschlag sei „mehr oder weniger fertig“, so die Schwedin. Zuvor müssten sich die einzelnen Staaten jedoch noch auf gemeinsame Finanzen einigen, darunter der Wiederaufbauplan nach der Corona-Krise.
Abschluss 2020 unwahrscheinlich
Seehofer will das Vorhaben bis Ende des Jahres vorantreiben. Zu einem Abschluss der Asylreform werde es aber nicht reichen: „Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn wir in unserer Präsidentschaft zu den wichtigsten Punkten eine politische Verständigung erreichen könnten“, sagte er am Dienstag.
Österreich gegen Aufnahme von Flüchtlingen
Bisher war es lediglich zu einer - bereits ausgelaufenen - Übergangsregelung mit Malta, Italien und Frankreich gekommen, an der sich nur wenige Länder wie Irland, Portugal und Luxemburg beteiligten. Auch Österreich hatte sich bisher strikt gegen die Aufnahme von aus Seenot geretteten Migranten ausgesprochen.
Seenotrettung für Seehofer Pflicht
Nachdem Italien und Malta in der Corona-Krise erklärt hatten, den privaten Rettungsschiffen keinen sicheren Hafen mehr bieten zu können, entstanden an Bord immer wieder humanitäre Notlagen. Die Betreiber der „Ocean Viking“ berichteten zuletzt von einem Hungerstreik und mehreren Suizidversuchen. Aufgrund dieser Vorkommnisse appellierte Seehofer an die gemeinsamen Werte der 27 EU-Staaten. Es gehöre zur Wertegemeinschaft dazu, dass man „Menschen vor dem Tod rettet“.
Kickl kontert Seehofers Sichtweise
Aus Österreich kamen dazu unterschiedliche Reaktionen. Während die EU-Abgeordnete Bettina Vollath (SPÖ) die freiwillige Solidarität der Mitgliedsstaaten infrage stellte und die „Einsicht“ Seehofers begrüßte, sagte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, dass der deutsche Innenminister „Illegalen und Schleppern auf den Leim“ gehe.
Die Zahl der Migranten, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet werden, macht nur einen Bruchteil der Asylwerber aus, die jedes Jahr nach Europa kommen. Dennoch ist die Frage der Seenotrettung aus deutscher Sicht essenziell. Eine praktikable Lösung für alle EU-Staaten könnte nach der Vorstellung Seehofers ein Vorbild für eine Reform des gesamten Asylsystems sein.
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