Mit Maggot Heart hat sich die in Berlin wohnhafte schwedische Vollblutmusikern Linnéa Olsson nach vielen Band-Beteiligungen endlich den Traum kompletter Selbstständigkeit erfüllt. „Mercy Machine“, das zweite Album, strotzt nur so vor Querverweisen zu den großen Idolen, bringt aber auch eine frische Farbe in den Rock-Underground. Im Gespräch mit der „Krone“ gab die smarte Künstlerin Einblick in ihre Gedankenwelt.
Kreativköpfe mit dem drohenden Hang zur Selbstständigkeit wissen - es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man seine Visionen und Ideen in Kompromissen begraben muss. Dieses Schicksal hatte Linnéa Olsson lange genug auf sich genommen, sodass sie sich 2016 endgültig emanzipierte. Alles begann 2007 mit den wenig bekannten Sonic Ritual, wenig später spielte sie sich mit The Oath ins Rampenlicht. Gemeinsam mit Johanna Sardonis wurde das explosivste weibliche Rock-Duo Europas gefunden, aber genauso schnell zerschellte die anfangs so fruchtbare Beziehung im Unfrieden zueinander. Eineinhalb Jahre lang tourte Olsson als Gitarristin mit den populären Goth-Dark-Rockern Grave Pleasures (vormals Beastmilk) und deren britisch-finnischem Mastermind Matt McNerney. Freilich auch keiner, der die kreativen Zügel gerne aus der Hand gibt. Mit Maggot Heart gründete Olsson, mittlerweile längst in Berlin wohnhaft und dort ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Undergroundszene, schlussendlich ihre eigene Kopfgeburt und überzeugte wenig später mit dem vielbeachteten Debüt „Dusk To Dusk“.
Nicht greifbar
Schon da arbeitete sie mit dem profunden In Solitude-Drummer Uno Bruniusson, nun hat Olsson noch Bassistin Olivia Airey und Gottfrid Åhman, der sich auf dem brandneuen Album „Mercy Machine“ mehr um die Produktion und das große Ganze als auf den Bass an sich konzentrierte. „Mercy Machine“ ist die logische Fortsetzung des eingeschlagenen Weges Olssons, der sich bewusst schwer beschreiben lässt. Die Attitüde und Vorgehensweise ist tief im Punk verwurzelt, der Sound erinnert mal an Blue Öyster Cult, mal an Siouxsie And The Banshees und in den dunkleren Momenten auch an Death In June, die Produktion ist bewusst direkt und unmittelbar gehalten und Olssons Gesang trägt den Sound mit intensiver und inbrünstiger Stimmleistung. Inspiriert von den verschiedensten Touren und Live-Konzerten schrieb Olsson das Material Ende 2019 im Wissen, dass sie mehr denn je zuvor die Zähne fletschen möchte.
Die Grundhandlung dreht sich grob um die Tatsache, dass unsere menschlichen Körper Maschinen sind, die sich aber nicht nach gewissen Algorithmen einordnen oder stoppen lassen, sondern immer eine gewisse Unberechenbarkeit ausstrahlen. Eben der „Sex Breath“, das „Gutter Feeling“ oder die „Modern Cruelty“, die nicht immer zu verhindern ist. Mehr denn je scheint auch auf „Mercy Machine“ die Wahlheimat Berlin hervor zu strahlen, ein nicht enden wollender Quell der Inspiration für die Künstlerin, wie sie der „Krone“ einst im Interview sagte: „Berlin ist eine großartige und positive Stadt, aber sie steht auch immer ein Stück am Rand einer gewissen Art von Dunkelheit. Das ist aber gut, denn Dinge, die immer nur nett sind, sind nicht interessant.“ Die Variabilität der musikalischen Szenen und die Vielseitigkeit des Underground sind es, die Olsson hauptsächlich inspirieren und motivieren. „Wie hip eine Stadt ist, ist kein Kriterium dafür, dass sie mich anlockt. Eigentlich ist Berlin keine gute Stadt für Rockmusik, aber gerade das fasziniert mich dann auch wieder.“
Beide Seiten möglich
Klare Rollenaufteilungen sind Olsson bei Maggot Heart am Wichtigsten, schließlich war bei den anderen Projekten oft etwas konfus und nicht eindeutig eingeordnet. „Auf Tour ist natürlich jeder gleich wichtig, aber zuhause müssen sich die anderen nicht um E-Mails, die Artworks oder finanzielle Dinge kümmern - das obliegt alles mir. Für mich ist das eine tolle Lösung, denn einerseits kann ich mich genauso ausdrücken, wie ich es für richtig halte, andererseits muss ich nicht auf das Bandfeeling verzichten. Da jeder von Anfang an wusste, wie Maggot Heart funktioniert, gab es dahingehend aber niemals Probleme.“ Erfolg oder Ruhm interessieren Olsson nicht, durch die Gründung ihres Rapid Eye Records-Labels hat sie nun endgültig alles selbst in der Hand. „Vielleicht ist es dumm, in die Richtung nicht groß werden zu wollen, aber so habe ich alles so im Griff, wie ich es für richtig halte. Ich weiß genau wer etwas macht und kann mich bei jedem persönlich bedanken, weil ich die Schritte alle kenne. Vielleicht ist das der härtere Weg, aber es ist auch der ehrlichere.“
Mit Maggot Heart geht Olsson auch marketingtechnisch einen interessanten Weg. Mit der Devise „weniger ist mehr“ trifft sie unbewusst einen Social-Media-Trend der Neuzeit. „Wenn alles zu jeder Zeit verfügbar ist, verliert es seinen Wert. Klar, ich kann mich dem auch nicht ganz entziehen, aber muss keine Bandseite auf Facebook haben und alles permanent posten. Die Musik ist draußen und man kann sie sich anhören, das ist doch das Wichtigste.“ Es geht Olsson weniger um die Werbemöglichkeiten für die eigene Musik, vielmehr fühlt sie sich vom Narzissmus auf den Plattformen gestört. „Bei beiden Bands, bei denen ich vorher spielte, war das so wichtig und ich habe nie verstanden warum. Es muss einfach die richtige Balance da sein, aber ich weiß selbst nicht, ob ich es korrekt mache oder nicht. Ich bin mittlerweile aber auch zu alt, um mich da reinzusteigern und so viel Energie für diese Gedankengänge zu verschwenden.“
Nicht um jeden Preis
Die Konzentration liegt viel mehr auf „Mercy Machine“, mit dem sich Maggot Heart verstärkt in einer Szene festhaken möchten, die gar nicht genau definiert ist. Auch wenn die Songs teilweise sehr düster und nachdenklich klingen, hat die Schwedin überhaupt nichts gegen Eingängigkeit einzuwenden. „Ich mag Popmelodien und große Refrains, aber wenn ich Songs komponiere, muss immer das Gefühl da sein, dass mit dem Song etwas nicht so ganz stimmt“, lacht sie, „außerdem schreibe ich wesentlich lieber, wenn in meinem Leben alles in Ordnung ist. Ich bin nicht so wie die anderen, denen im persönlichen Schmerz die besten Ergüsse kommen.“ Das Ausscheren und vielseitig Komponieren ist der Künstlerin bei Maggot Heart auch für die Zukunft wichtig - nicht aber um jeden Preis. „Ich glaube nicht, dass ich mal einen Technosong aufnehmen werde. Zumindest nicht mit Maggot Heart. Es ist schon kurios genug, dass bei unseren Konzerten viele Metalheads sind, weil wir immer mit Metalbands touren, obwohl wir gar nicht Metal sind.“ Maggot Heart - eben ein einziges Paradoxon. Aber eines, das eine frische Farbe in den düsteren Rock-Untergrund bringt.
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