Vor 60 Jahren wurde in Graz die erste Lebenshilfe Österreichs gegründet. Seit damals hat sich für Menschen mit Behinderung vieles zum Besseren entwickelt. Trotzdem gibt es noch Berührungsängste - viele davon könnten mit einem einfachen Lächeln überwunden werden.
„Vor 60 Jahren sind Eltern völlig allein dagestanden, wenn sie ein Kind mit Behinderung bekommen haben“, erzählt Ursula Vennemann, Präsidentin der „Lebenshilfe Graz und Umgebung/Voitsberg“. „Es gab keine Beratung, keine Frühförderung. Das Kind wurde als unheilbar krank angesehen, kam zuerst in die Sonderschule und danach ins Landesnervenkrankenhaus oder andere Anstalten, die weit abgelegen waren.“
Auf dem Weg zur Mitte der Gesellschaft
Das wollten August und Maria Pachleitner für ihren Sohn Ralf nicht und gründeten 1960 die Lebenshilfe in Graz. Eine erste Einrichtung in Söding wurde eröffnet, kurz darauf der erste Sonderkindergarten. Zudem betrieb man Lobby-Arbeit für ein steirisches Behindertengesetz, das 1964 beschlossen wurde.
„Das Ziel war immer, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr abgesondert von der Gesellschaft leben müssen“, erzählt Vennemann. Und tatsächlich hat sich vieles verändert: „Damals war es nicht denkbar, dass Menschen mit Behinderung Beziehungen eingehen. Heute haben wir in der Lebenshilfe sogar drei Pärchen, die kirchlich getraut wurden.“
„Ein Kontrapunkt zur Leistungsgesellschaft“
Seit 2005 ist Max Nemeczek bei der Lebenshilfe: „Ich male Bilder. Ich arbeite ganz genau, sonst schaut es schlampig aus“, erzählt er. Was er an der Lebenshilfe mag? „Ich liebe die Betreuer. Und ich mag es, dass Pausen hier herinnen erlaubt sind.“ Während Corona war auch er im Homeoffice: „Meine Gedanken aber waren immer in der Werkstatt.“
Seit gut einem Jahr leitet Susanne Maurer-Aldrian die „Lebenshilfen Soziale Dienste“: „Wir verstehen uns als Kontrapunkt zur Leistungsgesellschaft und stellen die soziale Gerechtigkeit ins Zentrum“, sagt sie. Die Folgen der 25-prozentigen Kürzungen im Sozialbudget 2011 und die „Hinterfragung der Menschenrechte durch die türkis-blaue Regierung“ hätten ihre Arbeit zwar „nicht leichter gemacht, aber man muss trotzdem sagen, dass wir hier in der Steiermark sehr gute Standards haben.“
Frei und selbstständig leben
Das Ziel: Menschen mit Behinderung sollen ihr Leben so frei und selbstständig wie möglich führen können. „Derzeit sind sie etwa ihr Leben lang mit den Eltern mitversichert“, so Maurer-Aldrian. Um das zu ändern, will man etwa das Taschengeld-System durch ein echtes Gehalt ersetzen. Die weiteren Bemühungen reichen „von der besseren Einbindung in den Arbeitsmarkt über die barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Raums bis hin zur Digitalisierung - rund 17% unserer Kunden haben noch immer keinen Zugang zum Internet.“
Und um Menschen mit Behinderung weiter in die Mitte der Gesellschaft zu bringen, muss auch die Mitte der Gesellschaft mitmachen: „Es gibt immer noch viele, die Scheu haben, den Kontakt zu suchen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen“, so Maurer-Aldrian. Vennemann hat dafür einen einfachen Tipp: „Sein Gegenüber - egal ob mit oder ohne Behinderung - freundlich anzulächeln, hat noch nie geschadet.“
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