Die erste Aufführung des Mysterienspiels im August 1920 gilt als Geburtsstunde der Salzburger Festspiele. Ein „Krone“-Gespräch mit „Jahrhundert-Jedermann“ Tobias Moretti, der heuer Abschied nimmt.
Samstag, 13.50 Uhr, ein Anruf von seinem Pressebüro. „Ich habe den Herrn Moretti dran“, sagt Veronika Zimmermann, vorher hatte ich mit Tobias Moretti bereits hin- und hergemailt. Keine Person, die nicht auf Covid-19 getestet ist, darf sich den Künstlern der Festspiele nähern. „Ich sitze in einem schönen Haus hinter dem Mönchsberg, schaue auf die Festung, und vor mir hängt der Kalender der Salzburger Festspielfreunde mit dem Bild von Ottokar 2005“, sagt Moretti, und dass ihn meine Fragen inspiriert hätten. Er klingt sehr entspannt, sieben Stunden vor der „Jedermann“-Premiere am Salzburger Domplatz.
„Krone“: In welcher Stimmung sind Sie gerade?
Tobias Moretti: In einer sehr guten. Wir haben gut gearbeitet, wir sind – verschreien wir es nicht – mit dem Wetter gesegnet. Die ganze Situation hier hat eine Betriebstemperatur, die dem Abend mit besonderer Freude entgegenfiebert.
Ist in der vierten Jedermann-Saison noch so etwas wie Lampenfieber spürbar?
Natürlich. Es ist auch nicht zu befürchten, dass mir das jemals abhandenkommt.
Die erste Aufführung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ in der Regie von Max Reinhardt am 22. August 1920 auf dem Salzburger Domplatz gilt als die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele ...
Ja, mit Recht. In Schloss Leopoldskron haben sie miteinander die Idee der Festspiele ausgegoren und umgesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch wollten Hofmannsthal und Reinhardt den Menschen wieder Hoffnung und Identität geben – durch Kultur.
Was wünschen Sie den Festspielen zu diesem besonderen Jubiläum?
Ich wünsche, dass dieser Geist nicht nur die heurigen Festspiele, sondern auch unsere Gegenwart beseelt.
Das Nachrichtenmagazin „Profil“ schrieb am Cover: „Eine Diva wird 100“ – sind die Festspiele eine Diva?
Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie sind der lebendige Spiegel davon, was Kunst alles vermag – von Zeitgeist und Provokation bis zur zeitlosen Beglückung, die einen erfüllt.
Die Salzburger Festspiele sind der lebendige Spiegel davon, was Kunst alles vermag – von Zeitgeist und Provokation bis zur zeitlosen Beglückung.
Tobias Moretti
Es wird der 100. „Jedermann“ sein, und viele Jedermann-Darsteller werden in der Stadt sein. Welchen haben Sie wofür am meisten geliebt oder bewundert?
Es ist wirklich eine Ehre, als hundertjähriger Jedermann in dieser Reihe von wunderbaren Vorgängern zu stehen. Logischerweise war mir, als sein Gesell und Teufel, mein Peter Simonischek ein wunderbarer Jedermann. Als junger Bursche habe ich Brandauer gesehen, später Lohner, Tukur, auch Niki Ofczarek war ein offensiver, starker Jedermann. Und natürlich auch Obonya.
Für Sie ist es die letzte Saison, warum wollen Sie nicht mehr der Jedermann sein?
Es gibt doch keinen geeigneteren Zeitpunkt als den jetzigen. Wann soll man denn aufhören? Als 103. oder 104.? Außerdem liegt es in der Natur der Tradition dieses Stückes, dass man das Zepter weitergibt. Dem Geist der Festspiele werde ich sicher in anderen Herausforderungen wieder begegnen.
Denken Sie schon manchmal an den Abschied, oder ist er noch ganz weit weg für Sie?
Sie meinen die letzte Vorstellung? Oder meinen Sie mein Ableben? Der Fokus liegt immer auf der Vorstellung, die gerade vor einem liegt. Und das ist jetzt diese Premiere. Zurzeit findet sich ein Energiereigen aller Kollegen zusammen, und das Schönste ist, wenn man jede Vorstellung spielt, als wenn’s die erste und die letzte wäre.
Wann soll man denn aufhören? Als 103. oder 104. Jedermann? Es liegt in der Tradition dieses Stückes, dass man das Zepter weitergibt.
Tobias Moretti
Ist diese Rolle so etwas wie die Krönung in Ihrer langen Liste von Rollen, die Sie schon am Theater und im Film gespielt haben?
Nicht unbedingt die Krönung, aber sicher auch ein Höhepunkt in dem Kaleidoskop von Rollen, die ich habe spielen dürfen.
Wofür sind Sie Salzburg dankbar?
Die Stadt hat es geschafft, vielleicht auch durch diese Verbindung mit den Festspielen, dass sie einen gegenwärtigen Charakter hat. Sie ist eine unglaublich schöne, barocke Stadt, dann wieder eine intime, sehr dörfliche, aber über allem steht, dass sie so lebendig ist. Das war nicht immer so. Früher hab ich Salzburg eher aus Thomas Bernhard‘scher Sicht wahrgenommen; der Brokat war so schwer, dass er den Absprung in den Zeitgeist ziemlich gebremst hat.
Caroline Peters ist Ihre dritte Buhlschaft. Ärgern Sie sich manchmal darüber, dass diese Rolle von den Medien so überhöht wird, dass alle über das Kleid schreiben statt über die Bedeutung des Stücks?
Mit Caroline Peters haben wir eine ganz wunderbare Kollegin bekommen, mit der ich unglaublich lustvoll und toll spielen kann. Wenn es der Buhlschaft gelingt, ein lebendiges Gegenüber zu sein, dann ist die Aufgabe dieser Figur erfüllt und der Status auch nicht überhöht. Und was das Kleid betrifft, ist es ganz einfach: Der Buhle muss es gefallen, und wie das Kleid medial präsentiert wird, ist Teil des Spektakels, und es hängt auch vom jeweiligen Medium ab, wie niveauvoll es damit umgeht.
Mit Caroline Peters haben wir eine ganz wunderbare Kollegin bekommen, mit der ich unglaublich lustvoll und toll spielen kann.
Tobias Moretti
Wie gelingt es, zwischen Ihnen und „jeder“ Buhlschaft eine Vertrautheit herzustellen?
Wenn das nicht gelingt, müssen wir nach dem 5. Bild nach Hause gehen, denn dann gibt es keine Fallhöhe.
Wie wichtig ist Erotik?
In jeder lebendigen Beziehung, in jeder lebendigen Begegnung ist Erotik ein großer Teil unseres Daseins. Es ist auch ein wesentlicher Teil des Dramatischen, in welche Richtung sich das auch immer verzweigt. Ich glaube, dass Caroline das bürgerliche Klischee, was Erotik denn sein muss, sehr geschickt umschifft, indem sie ihrer Rolle auch viel Skurrilität gibt.
Das Leben und Sterben des reichen Mannes, Schein und Sein – hat es im Corona-Jahr eine neue Bedeutung?
Das Thema des „Jedermann“ ist der Wahn von der grenzenlosen Verfügbarkeit von allem: von Macht, von Überheblichkeit, von Besitzergreifung – und deren Bruch. Es ist uns doch noch nie so bewusst gewesen wie in der jetzigen Situation. Und daher werden sich automatisch die Bilder einstellen und die Assoziationen bei jedem Zuschauer ergeben, ohne dass man da den Zeigefinger heben muss.
Premierenfeiern sind ja abgesagt, wird es noch Kontakt zu Fans geben?
Das ist richtig. Aber wir werden uns alle Mühe geben, auch auf gewisse Distanz für die Leute da zu sein. Denn manche Fans, oder besser gesagt: Zuschauer, deren Enthusiasmus so ergreifend ist, das ist ja auch für uns ein Zeichen von wirklicher Wertschätzung, nicht nur von einem selber, sondern vor allem von dem, was man macht.
Es ist so unfassbar wohltuend, dass die Horden von Chinesen und diese geführten Massentrauben heuer ausfallen.
Tobias Moretti
Wenn man in die Getreidegasse schaut, wird einem angst und bange ob der Menschenmassen, die nicht Abstand halten und auch keine Masken tragen - kann das alles trotz der vielen Sicherheitsvorkehrungen gut gehen?
Ich sage Ihnen, dass es so unfassbar wohltuend ist, dass die Horden von Chinesen und diese geführten Massentrauben heuer ausfallen. Hoffentlich noch länger, denn von denen profitiert ja nicht wirklich der Großteil der Tourismusbetriebe. Bisher habe ich vernommen, dass das Bild der Salzburger Straßen sich erstaunlich von dieser deutschtümelnden, momentan gefährdenden Ballermannbanalität unterscheidet. Das hängt irgendwie auch mit den Festspielen und deren Publikum zusammen; diese Menschen suchen hier das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das unser Land prägt.
War es richtig von Präsidentin Helga Rabl-Stadler, entgegen aller Widerstände für die Abhaltung der 100. Salzburger Festspiele zu kämpfen?
Das ist eine Notwendigkeit, für die wir alle eintreten müssen. Die rigiden Maßnahmen sind unabdingbar und äußerst wichtig, weil wir nur dadurch unseren Beruf auf der Bühne ausüben können, allein schon dadurch, dass wir uns frei bewegen müssen.
Mit welchem Gefühl tragen Sie persönlich die Maske?
Mit keinem schlechten, es gibt ja lustige Varianten. Und noch lieber trage ich sie im privaten Umfeld natürlich nicht.
Im Himmel möchte ich als Erstes meiner Mama begegnen, die bei Mozart auf der Schulter sitzt, und Bach schaut streng, weil Gulda gerade spielt.
Tobias Moretti
2018 hat Philipp Hochmair die Rolle kurzfristig von Ihnen übernommen. Wäre er ein guter Nachfolger?
Der Philipp ist während meinem Kurzausfall da herrlich unkompliziert eingesprungen. Dafür waren wir wirklich alle dankbar. Die Nachfolgerfrage muss man da aber ausschließlich den künstlerischen Verantwortlichen der Festspiele überlassen, denn sie wollen natürlich die beste Lösung und den bestmöglichen Nachfolger.
Sie werden kommende Woche auch einen Festspiel-Talk für ServusTV moderieren, hat Ihnen das Lust auf mehr gemacht? Also vielleicht auf ein eigenes Format?
Nein, ServusTV hat diesen Festspiel-Talk ins Leben gerufen, und der lebt davon, dass zwei Künstler aus der Innenperspektive was erzählen. Das hat letztes Jahr mit Valery Tscheplanowa gut funktioniert und heuer mit Caroline Peters. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Blick für die Leute interessant ist, und uns hat es Spaß gemacht. Aber keine Sorge, kein Berufswechsel.
Geboren am 11. Juli in Gries am Brenner (Tirol). Studium der Musik in Wien, Wecjsel an die Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München. Erste Auftritte an den Münchner Kammerspielen, 1995 gibt er sein Debüt am Burgtheater. Seit 2012 spielt der vielfach preisgekrönte Theater- und Filmschauspieler bei den Salzburger Festspielen, seit 2017 den Jedermann. Verheiratet mit der Vorarlberger Oboistin Julia Moretti, vier Kinder. Die Morettis leben auf einem 400 Jahre alten Bauernhof in Tirol. halten Rinder und erzeugen Bioprodukte.
Darf ich am Schluss fragen, wie Max Frisch: Wen, der tot ist, möchten Sie gerne wiedersehen?
Im Himmel möchte ich als Erstes meiner Mama begegnen, die bei Mozart auf der Schulter sitzt, und Bach schaut streng, weil Gulda gerade spielt und Jochen Rindt mit einem alten Alfa vorbeirauscht.
Und wen lieber nicht?
Die Liste derer, denen ich nicht begegnen möchte, ist lang, und wenn ich mir die Weltpolitik anschaue, länger, als mir lieb ist.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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