Vor dem Ende der Sommerferien basteln viele Staaten eifrig an Konzepten zur Wiedereröffnung der Schulen. Immer wieder wird dabei ein evidenzbasiertes Vorgehen gefordert. Aber genau diese Evidenz zur Verbreitung von Covid-19 durch Kinder gibt es eben nicht. Denn die meisten Untersuchungen dazu seien entweder während des Lockdowns inklusive Schulschließungen oder in den vergangenen Monaten erfolgt, „wo die Infektionsinzidenz an vielen Orten sehr gering war“, begründet Isabella Eckerle, Virologin an der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf, warum diese Studienergebnisse eher mit Vorsicht zu genießen sind.
„Ob Kinder genauso häufig wie Erwachsene infiziert werden und wie effektiv Kinder die Infektion auf andere übertragen, ist im Moment noch nicht ausreichend verstanden. Hohe Viruslasten bei Kindern lassen es biologisch plausibel erscheinen, dass Kinder die Infektion auch weitergeben können, wie dies für alle anderen Erkältungserreger auch der Fall ist.“ Die bisherigen Studien zum Thema böten allerdings keine ausreichende Orientierung, so Eckerle.
„Das könnte uns auf die Füße fallen“
Bei der aktuellen Debatte fehle ihr der Blick auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse - wie beispielsweise die Möglichkeit der Aerosol-Übertragung und das hohe Risiko, wenn sich viele Menschen über längere Zeit in geschlossenen Räumen aufhalten. „Wir haben zwar gute Konzepte zur Händehygiene, aber wir brauchen auch Konzepte zum ausreichenden Luftaustausch in Klassenzimmern“, meinte Eckerle. „Wenn wir jetzt zum normalen Schulalltag zurückgehen und uns an ein Wunschdenken klammern, dass Kinder keine Rolle in der Pandemie spielen, dann wird uns das auf die Füße fallen.“
Nötig sind für Eckerle „auf jeden Fall kleinere Klassen, feste Bezugsgruppen, effiziente Strukturen zur schnellen Testung von symptomatischen Kindern und Lehrern sowie eine Strategie, wie man mit Infektionsfällen an einer Schule umgeht, wahrscheinlich auch Masken, und vieles mehr“.
Richard Neher, Forschungsgruppenleiter Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel, meinte anlässlich einer Modellrechnung aus Großbritannien zum Einfluss von Schulöffnungen auf eine zweite Covid-19-Welle: „Im März wurden mehr oder weniger gleichzeitig in den meisten europäischen Ländern viele soziale Distanzierungsmaßnahmen eingeführt. Daher ist es schwierig, den Rückgang der Virus-Ausbreitung einzelnen Maßnahmen wie zum Beispiel Schulschließungen zuzuordnen.“
Welche Rolle spielten Schulöffnungen in Israel mit zweiter Welle?
Ohnehin sei es wesentlich informativer, die Erfahrungen verschiedener Länder nach Schulöffnungen zu untersuchen. Aber auch hier sind die Resultate widersprüchlich: „An vielen Orten wurde der Präsenz-Unterricht zumindest teilweise wieder aufgenommen, ohne dass es zu größeren Ausbrüchen kam. An anderen Orten, Israel zum Beispiel, werden Schulen mit einer zweiten Welle in Verbindung gebracht.“
Für Hans-Georg Kräusslich, Abteilungsleiter der Virologie am Zentrum für Infektiologie am Uniklinikum Heidelberg, ist klar, „dass Kinder infiziert werden und das Virus auch weitergeben können. Nach aktuellem Stand scheinen sie jedoch nicht besonders zur schnellen Ausbreitung des Erregers beizutragen, während dies bei anderen Infektionen der Atemwege der Fall ist“. Auch Kräusslich verweist auf Infektionsherde an Schulen nach deren Öffnung etwa in Israel.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.