Phase III fehlt
Russischer Impfstoff: Große internationale Skepsis
Noch bevor die Weltgesundheitsorganisation die Daten rund um den von Russland verkündeten Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus einer Überprüfung unterzogen hat, wird bereits weltweite Skepsis laut. Der Grund: Das Mittel, das für eine rund zweijährige Immunität sorgen soll, hat noch keine groß angelegte Wirksamkeitsstudie (Phase-III) hinter sich, die auch breit Auskunft über auftretende Nebenwirkungen geben könnte.
Finanziert wurden die Arbeiten vom russischen Staatsfonds. Die Entwicklung erfolgte am Gamaleja-Institut in Moskau, das der Wissenschafter Alexander Ginzburg leitet. Die Vakzine soll eine robuste Immunantwort hervorrufen. An Nebenwirkungen wurden vor allem vorübergehendes Fieber genannt.
„Das ist nur in Russland möglich“
„Es gibt über das Projekt bisher keine genauen und verfügbaren Informationen. Daher kann ich dazu nichts sagen. Zulassung nach einer Phase-II? Das ist offenbar wirklich nur in Russland möglich. Zum Glück und richtigerweise undenkbar ohne Phase-III für unsere Breiten!“, erklärte am Dienstag nach Bekanntgabe der Zulassung der russischen Covid-19-Vakzine die Wiener Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt (MedUni Wien) gegenüber der APA.
In Phase-II-Tests werden an einer kleinen Probandengruppe Immunogenität, Sicherheit und Dosis von Vakzinen geprüft. Zulassungsstudien auf Wirksamkeit und Verträglichkeit sind große Phase-III-Studien mit Tausenden Probanden und Placebokontrolle.
Auch renommierte Mediziner in den USA warnen. „Aktuell würde ich mir den (Impfstoff, Anm.) nicht verabreichen lassen. Ganz sicher nicht außerhalb einer klinischen Versuchsreihe“, sagte Scott Gottlieb, der frühere Chef der US-Behörde für Lebensmittel und Arzneimittel-Sicherheit (FDA), am Dienstag im US-Fernsehen.
Anscheinend sei das Medikament in Russland bisher nur an einigen Hundert Patienten getestet worden, so Gottlieb. „Sie sind uns sicher nicht voraus, und wir würden zum jetzigen Zeitpunkt keinen Impfstoff zur breiten Verteilung freigeben.“ Gottlieb ist ein konservativer TV-Kommentator und hatte die FDA von 2017 bis 2019 geleitet.
„Niemand weiß, ob es sicher ist oder ob es funktioniert. Sie bringen die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und ihre Bevölkerung in Gefahr“, schrieb der aus Österreich stammende Wissenschafter Florian Krammer, Virologe am New Yorker Krankenhaus Mount Sinai, auf Twitter.
Bisher keine Zulassung für Impfung mit Erbgutbestandteilen
Der Knackpunkt ist, dass es sich bei einem SARS-CoV-2-Impfstoff um die erste Vakzine dieser Art handelt. Bei der saisonalen Influenza-Vakzine gibt es von zugelassenen Impfstoffen, die sich von Jahr zu Jahr nur wenig ändern, eine ganz andere Situation mit jahrzehntelanger Erfahrung. Auch die bei den Kandidatvakzinen zum Schutz vor Covid-19 verwendeten Techniken sind zum Teil vollkommen neu.
So existiert bisher weltweit kein einziger zugelassener Impfstoff mit der Verwendung von Erbgutbestandteilen von Krankheitserregern (mRNA-oder DNA-Vakzine). Die Erfahrungen mit Impfstoffen auf Adenovirus-Basis ist bisher international ebenfalls begrenzt.
Vor einigen Tagen befanden sich weltweit und außerhalb von Russland die Kandidat-Vakzine von Sinovac (China), jene der Universität von Oxford (AstraZeneca) und Moderna (USA/mRNA-Impfstoff) in der Phase-III der klinischen Prüfung. Das ändert sich aber von Tag zu Tag. Insgesamt werden weltweit fast 200 mögliche SARS-CoV-2-Impfstoffe entwickelt.
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