„Überall war Blut“

Freigelassene Weißrussen berichten über Folter

Ausland
14.08.2020 08:35

Nach Tausenden Festnahmen bei den Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko in Weißrussland haben die Behörden überraschend mit der Freilassung vieler Gefangener begonnen. Im Lauf des Freitags sollen der Regierung zufolge alle Demonstranten wieder freigelassen werden. Vor dem Gefängnis Okrestina in der Hauptstadt Minsk nahmen Familien und Freunde bereits ihre Angehörigen in Empfang, es gab große Freude und Tränen, wie in oppositionsnahen Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram in der Nacht auf Freitag zu sehen war. Viele berichteten von schweren Misshandlungen im Gefängnis und zeigten ihre Wunden.

In Zellen mit vier Betten seien 35 Frauen gewesen, sagte eine Freigelassene dem Portal tut.by. „Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen“, sagte sie. „Überall war viel Blut.“ Viele Bürger zeigten - nur in Unterwäsche bekleidet - ihre mit Platzwunden und großen blauen Flecken von Schlägen übersäten Körper. Mehrere Entlassene mussten sofort ins Krankenhaus gebracht werden.

„Sie haben mir sehr stark auf den Kopf geschlagen. Mein Rücken ist mit blauen Flecken übersät von Schlägen mit dem Schlagstock“, sagte der 25-jährige Maxim Dowjenko. Nach eigenen Worten wurde er festgenommen, obwohl er gar nicht an den Demonstrationen teilgenommen hatte, sondern nur zufällig in der Nähe war. Der 43-jährige Unternehmer Michail Tschernenkow zeigte AFP unzählige blaue Flecken. Er wurde nach eigenen Worten ebenfalls mit dem Schlagstock verprügelt und mit Stromschlägen gequält. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte am Donnerstag von Fällen berichtet, in denen festgenommene Demonstranten nackt ausgezogen, geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht wurden. Den Inhaftierten sollen Medienberichten zufolge auch Essen und Trinken verweigert worden sein.

Innenminister entschuldigt sich für „versehentliche Festnahmen“
Staatsmedien berichteten, dass Lukaschenko am Donnerstagabend selbst angewiesen habe, sich um die Lage der Gefangenen zu kümmern. Er reagiere damit auf die Proteste von Arbeitskollektiven in den Staatsbetrieben der Ex-Sowjetrepublik. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger. Bei Polizeieinsätzen gegen Massenproteste komme es auch zu versehentlichen Festnahmen, sagte er. „Als Kommandierender möchte ich die Verantwortung übernehmen und mich ehrlich auf menschliche Weise entschuldigen bei diesen Menschen“, sagte er.

Rede des Präsidenten angekündigt
Es war das erste Mal seit Tagen, dass der Machtapparat unter Lukaschenko einlenkte. Tausende hatten auch am Donnerstag seinen Rücktritt gefordert, nachdem er sich zum sechsten Mal zum Sieger der Präsidentenwahl hatte erklären lassen. Lukaschenkos Sprecherin kündigte eine Rede des Präsidenten an das Volk für Freitag an. Ebenfalls am Freitag werden die EU-Außenminister in einer Videokonferenz über mögliche Sanktionen gegen Weißrussland beraten.

Beobachter halten es für möglich, dass der Staatschef sich nach 26 Jahren wegen des Wahlbetrugs und der bisher beispiellosen Gewalt gegen Bürger nicht mehr im Amt halten kann. Er hatte die Demonstranten zuletzt als arbeitslose Ex-Kriminelle bezeichnet - und damit noch mehr Wut ausgelöst. Seit Donnerstag legen immer mehr Arbeiter in den Staatsbetrieben ihre Arbeit nieder und streiken. Hunderte Ärzte und Frauen bildeten auch am Freitagmorgen in Minsk Menschenketten, um gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Kundgebungen zu demonstrieren.

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