„Marsch der Freiheit“
Zehntausende bei wohl größter Demo Weißrusslands
Bei einer der größten Demonstrationen in der Geschichte Weißrusslands haben sich Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Minsk versammelt. Beim „Marsch der Freiheit“ forderten sie den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko. Streiks in Staatsbetrieben sollen den Präsidenten in die Knie zwingen. Eine Kandidatin für seine Nachfolge bringt sich indes schon in Stellung: Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja signalisierte ihre Bereitschaft zur Machtübernahme.
Der Präsident versuchte bei einer Gegendemonstration, seine Anhänger am Sonntag zu mobilisieren. Staatsbedienstete sollen Medienberichten zufolge zur Teilnahme gedrängt worden sein. Zuvor hatte der Staatschef in Moskau um Unterstützung ersucht.
Wohl größte Demo seit Unabhängigkeit des Landes
„Geh!“, skandierten die Demonstranten und forderten Lukaschenkos Abgang. Als Zeichen ihrer friedlichen Absichten trugen die Oppositionsanhänger weiße Kleidung, Blumen und Ballons. AFP-Korrespondenten schätzten die Teilnehmerzahl auf mehr als 100.000. Die unabhängige Nachrichtenwebsite Tut.by schrieb, es handle sich um die größte Kundgebung seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion 1991. Entgegen ihrer sonstigen Linie berichteten sogar die streng kontrollierten Staatsmedien kurz über die „alternativen Proteste“.
Die Menschen folgten einem Aufruf der nach Litauen geflohenen Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die für das Wochenende zu großen landesweiten Protesten aufgerufen hatte. Sie kündigte die Gründung eines Komitees an, das einen Regierungswechsel in Weißrussland vorbereiten soll. Die Politikerin sei bereit, ihr Land zu führen, sagte sie am Montag in einer von Litauen aus verbreiteten Videoansprache. Zugleich sprach sie sich dafür aus, den rechtlichen Rahmen für neue und faire Wahlen zu schaffen.
Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja war nach der Wahl am vorvergangenen Wochenende laut Angaben ihres Teams nach Drohungen der Behörden nach Litauen ausgereist. Ihr Mann ist als Oppositioneller seit längerem in Weißrussland in Haft.
Lukaschenko streitet ab, Wahlbetrug begangen zu haben. „Die Wahlen waren gültig“, sagte er am Sonntag. „Mehr als 80 Prozent der Stimmen können nicht gefälscht werden.“ Er werde das Land nicht der Opposition „aushändigen“. Bei der Ansprache warnte er davor, den Forderungen benachbarter NATO-Länder und der Opposition nachzugeben. „Wir haben keine Freunde. Sie alle wollen, dass wir auf die Knie gehen“, sagte er unter dem Jubel seiner Anhänger.
EU bringt Sanktionen gegen Weißrussland auf den Weg
Die Sicherheitsbehörden waren in den vergangenen Tagen brutal gegen die Opposition vorgegangen. Tausende wurden festgenommen, zwei Demonstranten kamen zu Tode. Nach ihrer Freilassung berichteten zahlreiche Festgenommene von Misshandlungen und Folter in der Haft. Angesichts dieser Polizeigewalt hatte die EU am Freitag neue Sanktionen gegen die Verantwortlichen in Minsk auf den Weg gebracht. Derzeit werde eine Liste von Namen angefertigt, gegen die sich die Strafmaßnahmen richten sollen, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas der Zeitung „Bild am Sonntag“. Damit wolle die EU „gezielt einzelne Personen bestrafen, die nachweislich an den Wahlmanipulationen und der Gewalt gegen Demonstranten beteiligt waren“.
Streiks in Staatsbetrieben sollen Lukaschenko zum Aufgeben zwingen
Lukaschenkos Gegner forderten aufgrund der Polizeigewalt zu Beginn der neuen Arbeitswoche zu flächendeckenden Streiks in den Staatsbetrieben auf. Die Arbeitsniederlegungen sollen die Basis für den Machtapparat brechen - die staatlichen Betriebe gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko über die Streiks am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden kann.
Großbritannien akzeptiert Wahlergebnis nicht
Unterstützung bekommen die Demonstranten aus Großbritannien: Der Inselstaat erklärte, das amtliche Ergebnis der Abstimmung nicht anzuerkennen. Außenminister Dominic Raab sprach auf Twitter von „Betrug“ und „schweren Mängeln“. Raab kritisierte auch die Unterdrückung der friedlichen Proteste nach der Wahl. Er drohte, gemeinsam mit anderen Ländern Sanktionen zu beschließen.
Raab forderte eine unabhängige Untersuchung der Wahl durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). „Die Welt hat mit Entsetzen auf die Gewalt geschaut, mit der die belarussischen Behörden die friedlichen Proteste nach dieser gefälschten Präsidentschaftswahl unterdrückten“, sagte Raab. Die Verantwortlichen für die Gewalt gegen friedliche Demonstranten müssten bestraft werden.
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