Hat das Virus auch hier seine Finger im Spiel? Sind die wohlhabendsten Oldtimer-Fans dieser Welt plötzlich sparsam geworden? Oder lassen die Auktionatoren neuerdings den Hammer früher fallen? Fest steht, dass in diesem Jahr noch kein einziges Exemplar aus der Gattung wertvollster automobiler Chromjuwelen bei einer Versteigerung die magische Zehn-Millionen-Dollar-Grenze durchbrochen hat.
Nun gehörte das auch in den vergangenen Jahren nicht gerade zur Tagesordnung. Erstmals war am 17. Mai 2009 im Ferrari-Olymp Maranello in Italien einem dort entstandenen Ferrari 250 Testa Rossa aus dem Baujahr 1957 der Sprung in den achtstelligen Dollarbereich gelungen. Das Auto hatte für umgerechnet 12,4 Millionen Dollar den Besitzer gewechselt. Seither gelang das 48 weiteren automobilen Raritäten.
Elf Jahre später hat Corona das Auktionswesen von altem Blech für teures Geld auf den Kopf gestellt. Statt sich vor Ort bei Veranstaltungen von beispielsweise RM Sotheby’s, Gooding & Company oder Bonhams, den großen drei der Versteigerungsbranche, zu versammeln, müssen Oldtimer-Enthusiasten nun zum Telefon oder Computer greifen und ihre Gebote online abgeben. Sogar das Hochamt der Klassiker-Branche, die Auktionen während der „Classic Car Week“ im kalifornischen Monterey, fiel im August der Pandemie zum Opfer und soll 2021 nachgeholt werden.
Gebote nur online oder per Telefon
Immerhin schafften es Gooding & Company, RM Sotheby’s und Bonhams seit Beginn der Viren-Katastrophe dennoch Sammlerstücke im Gesamtwert von 70 Millionen Dollar unter die Leute zu bringen. Am ersten September-Wochenende könnte freilich mehr als nur eine Handvoll Dollar diese Bilanz weiter aufhübschen. Die von Gooding & Company ursprünglich im Frühjahr geplante Versteigerung der Autosammlung „Passion of a lifetime“ (Leidenschaft eines Lebens) des belgischen Investors Hubert Fabri soll am 5. September anlässlich des Concours d‘Elégance auf dem Gelände des britischen Hampton Court Palace nachgeholt werden, der einstigen Behausung des sechsmal verheirateten König Heinrich VIII. und der Tudor-Dynastie. Doch auch im Schloss im äußersten Südwesten Londons am linken Ufer der Themse werden sich keine finanzkräftigen Interessenten einfinden. Das Bieten für die nur 16 Angebote geschieht ausschließlich online oder per Telefon.
Exklusiver Ausflug raus aus den Vereinigten Staaten
Nichtsdestotrotz haben es die Fahrzeuge in sich. Bruno von Rotz, einer der Gründer des Oldtimer-Portals zwischengas.com, weiß: „Bisher waren David Gooding und Charlie Ross, der britisch-stämmige Auktionator, immer in den USA tätig und zwar jeweils in Scottsdale, Amelia Island und Pebble Beach. Ihre Versteigerungen gehören zu den exklusivsten Veranstaltungen der Sammlerszene.“ Alleine die Marken Aston Martin, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Lancia, Vauxhall und Rolls-Royce ließen schon einiges erwarten. Gooding & Company würde mit einem Umsatz jenseits von 60 Millionen Dollar rechnen. „Ich bin oft nach einer Auktion außerhalb der Vereinigten Staaten gefragt worden“, sagt Firmenchef und Gründer David Gooding, „und ich habe immer geantwortet, dass sie eine außergewöhnliche Gruppe von Autos aufbieten muss.“ Und das bietet die Auktion in der Tat.
Der teuerste Wagen der Versteigerung könnte der Aston Martin DB4 GT Zagato von 1961 werden, einer von nur 19 Originalen. Daneben könnten zwei weitere Berühmtheiten mit mehr als zehn Millionen Dollar zu Buche schlagen: Ein Bugatti Typ 59 von 1934 sowie ein Bugatti Typ 57 S Atalante. Darüber hinaus befinden sich unter den 16 Sammlerstücken der „Passion of a lifetime“ noch sieben weitere Fahrzeuge, die das Zeug zum mindestens einstelligen Millionenseller haben.
Königliche Wurzeln
Der Aston Martin DB 4 GT Zagato entstand zu Beginn der 1960er-Jahre in Zusammenarbeit von Aston Martin und dem Mailänder Karosseriewerk Zagato. Das von Ercole Spada gestaltete Fahrzeug gilt als eines der schönsten jemals gebauten Autos und gehörte zu seiner Zeit zu den schnellsten Straßenautos der Welt. Nur zwei DB4 GT Zagato wurden in letzter Zeit versteigert, einer für 14,3 Millionen Dollar von RM-Sotheby‘s im Dezember 2015 in New York und ein anderer für 13,3 Millionen Dollar von Bonhams während des britischen Goodwood Festival of Speed im Juli 2018.
Der Bugatti Typ 59, der im Hampton Palace versteigert wird, hat eine Reihe historischer Rennerfolge und Spitzenplatzierungen bei internationalen Wettbewerben hinter sich. Als seine Laufbahn als Rennwagen vorbei war, kehrte er in das Bugatti-Werk in Molsheim zurück, wo er 1938 in ein Straßenauto umgewandelt und an König Leopold III. von Belgien verkauft wurde. Er befindet sich noch immer im ursprünglichen Zustand.
Der T 59 war einer von nur acht Typ-59-Grand Prix-Rennwagen, die jemals gebaut wurden und war das letzte Grand-Prix-Auto der Vorkriegszeit aus Molsheim. Fünf davon sind noch erhalten geblieben. Eines der Autos befindet sich in der weltberühmten Autokollektion des Modedesigners Ralph Lauren, ein anderes in der Sammlung des australischen Industriedesigners Marc Newson.
Der dritte im Bunde der potenziellen Zehn-Millionen-Dollar-Seller (ca. 8,4 Millionen Euro) in Hampton Court ist ein Bugatti Type 57 S Atalante von 1937. Er interpretiert die Tropfenform des sagenumwobenen Bugatti Aérolithe Coupé. Nur 17 Autos erhielten die von Jean Bugatti entworfene abgesenkte Art-Deco-Atalante-Karosserie und gehören damit zu den gefragtesten Sammlerautos der Welt. Der Typ 57 startete als Straßenauto, aber Bugatti machte aus ihm auch einen erfolgreichen Rennwagen.
Scheunenfund des Jahrzehnts
Die Herkunft des Autos, das versteigert werden soll, macht es besonders. Das Fahrzeug war eine Spezialanfertigung für den Präsidenten des britischen Bugatti Owners‘ Club, Francis Curzon. Er galt als Pionier der britischen Rennszene, nahm regelmäßig an großen Rennen teil und gewann 1931 die 24 Stunden von Le Mans. Danach bekam der Wagen eine Reihe wechselnder Besitzer, bevor er an einen Arzt gelangte, der es in Erwartung eines vollständigen Umbaus, der nie abgeschlossen wurde, teilweise zerlegte. Nach seinem Tod entdeckte die Familie in einer Garage die automobile Preziose - zwar angerostet und verstaubt, aber weitgehend im Originalzustand. 2009 wurde das Auto versteigert und als „Scheunenfund des Jahrzehnts“ gefeiert.
In der Ankündigung der Gooding-Auktion heißt es: „Dieser prächtige Bugatti wurde vom jetzigen Besitzer im ,Scheunenfund’-Zustand erworben und seitdem vom Markenexperten Ivan Dutton Ltd. subtil und gründlich restauriert. Dieser Atalante hat eine Geschichte wie kein anderer Typ 57 S hinter sich, vom Besitz einer Rennsportikone in den 1930er-Jahren bis zum Projekt eines Bastlers in den 1950er-Jahren, gefolgt von einem jahrzehntelangen Abstieg in die Vergessenheit und der späteren Rettung.“
Der 5. September im Hampton Court Palace wird zeigen, ob bei seiner Auktion und der seiner vierrädrigen Kollegen die Dollar-Millionen trotz Corona wieder sprudeln werden.
(ampnet)
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