Ein Steirer in Beirut

„Viele Menschen haben wirklich alles verloren“

Steiermark
02.09.2020 08:00
Am 4. August erschütterte eine Riesen-Explosion die libanesische Hauptstadt Beirut. Fast 200 Menschen starben. Der steirische Soldat Gernot Hirschmugl war nun drei Wochen lang im Hilfseinsatz. Hier ein Interview...

Welches Bild hat sich Ihnen bei Ihrem Eintreffen vor Ort, zwei Tage nach der Explosion, geboten?
Am ersten Tag habe ich mich mit Kollegen in einem Appartement besprochen, das auch von der Druckwelle erfasst worden war – es gab keine Fenster mehr. Danach wurde ein Lagezentrum in einem Hotel aufgebaut. Am dritten Tag hatte ich die Möglichkeit, direkt an den Hafen zu fahren, wo die Explosion stattgefunden hat. Da war de facto nichts mehr, pure Verwüstung. Diese großen Schiffscontainer waren zusammengequetscht wie eine Plastikflasche, das war eine unglaubliche Druckwelle. Wenn man das nicht selbst gesehen hat, kann man sich das überhaupt nicht vorstellen.

(Bild: Hirschmugl/zVg)

Was war Ihre Aufgabe in Beirut?
Ich bin Teil eines internationalen Teams namens UNDAC, das steht für United Nations Disaster Assessement and Coordination. Meine Aufgabe bestand in der Koordinierung verschiedener militärischer und ziviler Organisationen. In Beirut sind schließlich viele Hilfsorganisationen vor Ort, aber auch der libanesischen Armee wurden von der Regierung Aufgaben übertragen. Da braucht es eben eine effiziente Koordinierung. Wenn etwa eine UN-Organisation Essenspakete in einer Straße verteilt, dann muss nicht am nächsten Tag genau dort jemand vom libanesischen Militär Nahrungsmittel bereitstellen, die vielleicht an einem anderen Ort viel dringender benötigt werden.

Wie bereitet man sich auf so einen Einsatz vor?
Als Berufsoffizier bin ich in der Einsatzkoordinierung und -Planung ausgebildet. Es gibt bei jedem Einsatz Ähnliches abzuarbeiten, da wird man beim Bundesheer gut vorbereitet. Für den Ernstfall habe ich immer einen gepackten Koffer mit dem Nötigsten griffbereit.

(Bild: Hirschmugl/zVg)

Mit welchen Problemen kämpft die Bevölkerung von Beirut momentan?
Da kommen leider einige Dinge zusammen. Einerseits die Corona-Pandemie, die das libanesische Gesundheitssystem sehr belastet, andererseits gibt es im Land eine massive Wirtschaftskrise und enorme Inflation. Und dann kommt auch noch die riesige Explosion hinzu. Viele Menschen haben wirklich alles verloren und wissen nicht, wie es weitergeht.

Inwiefern erschwert die Corona-Krise die Hilfsarbeiten?
Die Menschenrettung hat natürlich immer oberste Priorität. Viele Arbeiten sind allerdings mit dem Mundschutz anstrengender. Aufräumarbeiten am Hafen in der prallen Sonne bei 35 Grad sind für die Helfer äußerst belastend. Man muss allen Einsatzkräften wirklich großen Respekt aussprechen. Wir haben die Hygienemaßnahmen in unserem Team sehr strikt eingehalten.

(Bild: HBF/MINICH)

Sie erleben in Ihrem Beruf sehr viel menschliches Leid, wie gehen Sie mit diesen Erlebnissen um?
Es hilft, abends mit Kollegen über Ereignisse zu reden. Ich hätte auch die Möglichkeit, über das Bundesheer psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, das war bisher aber glücklicherweise nicht notwendig.

Porträt von Julian Bernögger
Julian Bernögger
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