Nacherkrankungen etc.

Sieben Ärzte zu Corona und seinen schlimmen Folgen

Wissenschaft
06.09.2020 10:51

Covid-19 hat bereits fürchterliche Schäden angerichtet. Bei ehemals Infizierten, die nun an schweren Nacherkrankungen leiden. Bei Patienten, die während des Lockdowns unbehandelt blieben. Und dramatisch auch die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie. Sieben Ärzte berichten.

Ramin Nikzad - Allgemeinmediziner: In meiner Ordination und bei meiner Arbeit in der allgemeinmedizinischen Akutversorgung im Wiener AKH bin ich immer wieder mit Menschen konfrontiert, die Corona bloß in milder Form hatten - aber jetzt, Monate nach der Infektion, große gesundheitliche Probleme haben. Die Betreffenden - viele von ihnen hatten sich in Skiurlauben angesteckt, sind eher jung und galten „davor“ als topfit - klagen vor allem über Atemlosigkeit, peinigende Kopfschmerzen und ständige Müdigkeit. Bei genaueren Untersuchungen stellt sich dann oft heraus, dass das Virus bei ihnen Schäden an den Lungen, den Nieren, den Blutgefäßen, am Herzen oder im Gehirn verursacht hat. Covid-19 mit einem „normalen Grippevirus“ zu vergleichen, halte ich daher für völlig absurd.

(Bild: zVg)

Warum es solch schreckliche Folgen verursacht, ist leider noch nicht erforscht. Die Patienten können daher auch lediglich konventionell - also ihren jeweiligen Schwierigkeiten angepasst - therapiert werden. Ob dadurch ihre Beschwerden irgendwann wieder völlig verschwinden werden, wissen wir nicht. Dazu liegen bislang zu wenige Erfahrungsberichte vor. Doch schon jetzt scheint klar: Manche Menschen dürften aufgrund der Beeinträchtigungen, die Corona bei ihnen ausgelöst hat, Jahre ihres Lebens verlieren. Ich rate deshalb jedem, der infiziert war - selbst wenn er sich wohlauf fühlt - zu einem Durchcheck. Bei dem ein 24-Stunden-EKG, ein Herzultraschall und ein Lungenfunktionstest durchgeführt werden sollten. Denn je eher Krankheiten erkannt und behandelt werden, desto größer sind die Chancen auf Heilung. Dieses medizinische Gesetz wird, so hoffe ich, selbst bei diesem entsetzlichen Virus gelten.

Agnes Pirker-Kees & Christoph Baumgartner - Neurologen: Mittlerweile wissen wir: Corona greift auch das Gehirn an. Die Vermutung, warum das geschieht: Covid-19 setzt sich ja zunächst im oberen Bereich der Nasenschleimhaut an speziellen Rezeptoren fest - und damit ist der Weg „nach oben“ nicht weit. Mehr als der Hälfte der Menschen, die infiziert waren, leiden danach an neurologischen Beschwerden - in der Fachwelt wird deshalb bereits der Begriff „Neuro-Covid“ verwendet. Betroffene klagen anfangs über Geruchs- und Geschmacksstörungen, aber es gibt auch schwerwiegendere Symptome - wie Konzentrationsschwierigkeiten, extreme Müdigkeit, Lähmungserscheinungen, Verwirrtheit, Halluzinationen.

(Bild: zVg)

Ein direkter Befall von Nervenzellen durch das Virus ist möglich, häufiger kommt es jedoch zu Schäden, die durch das eigene Immunsystem ausgelöst werden. Gefürchtet ist also ein „Zytokin-Sturm“, der bei Covid-19 besonders heftig auftritt. Durch eine überschießende Abwehrreaktion des Körpers entsteht eine Flut von Entzündungsstoffen, die Organe massiv schädigen. Hirnfunktionsstörungen mit epileptischen Anfällen, Amnesien, komatöse Zustände und Blutgerinnsel mit Schlaganfällen sind die Folge. Manchmal ähneln außerdem die Antikörper, die bei einer Infektion mit Covid-19 gebildet werden, dem körpereigenen Nervengewebe, womit Autoimmunerkrankungen entstehen können. All diese Erscheinungen treten nach „normalen“ Grippeinfektionen nicht so gravierend auf. Dessen sollten sich Covid-Verleugner endlich bewusst werden.

Peter Peichl - Internist: Covid-19 - das wahre Ausmaß seiner Folgen werden wir erst in ein paar Jahren wissen. Fest steht bloß: Das Virus ist sehr gefährlich, und es zeigt ständig andere Gesichter. Ein Ehepaar - beide langjährige Patienten von mir, beide über 80 Jahre alt, beide haben zahlreiche Vorerkrankungen - wurde damit infiziert. Die Frau musste auf einer Intensivstation behandelt werden, der Mann litt bloß an einem Schnupfen. Wie später Tests ergaben, hatten sich in ihm extrem starke Antikörper entwickelt. Warum war das bei ihm so? Warum haben junge, körperlich völlig gesunde Menschen nach einer Ansteckung Herzschäden? Warum sind zum Beispiel Diabetiker eine besondere Risikogruppe? Es gibt so viele Fragen, auf welche die Medizin noch keine Antworten weiß. Umso besorgniserregender ist, dass immer wieder angebliche - falsche - Erkenntnisse über Corona kolportiert werden.

(Bild: Prewein Martina)

Am Beginn der ersten Welle sollten etwa Studien ergeben haben, dass die Einnahme blutdrucksenkender Medikamente eine Infektion verschlimmern würde. Die Folge war, dass viele Menschen die für so notwendigen Pillen absetzten. Und überhaupt werden zu wenig die Kollateralschäden, die durch die Pandemie ausgelöst worden sind, beachtet. Während des Lockdowns wurden - vor allem im Bereich der Onkologie - Therapien und Operationen verschoben. Und Fakt ist auch: Viele meiner Patienten sind nun in einem schlechteren Zustand als vor einem halben Jahr: Zucker- und Herzkranke weisen bei Untersuchungen plötzlich schlechtere Werte auf. Weil sie aus Angst vor einer Ansteckung kaum noch ihr Zuhause verlassen und sich zu wenig bewegen.

Wolfgang Popp - Pulmologe: Menschen, die an Corona erkrankt waren, haben mitunter Monate hindurch an Nacherscheinungen der Infektion zu leiden. Ihre Leistungsfähigkeit ist oft herabgesetzt; die Betroffenen klagen über Atembeschwerden - die Folge von Vernarbungen in den Lungen. Mitunter sind dann Einweisungen in Spitäler oder Rehabilitationskliniken notwendig. In leichteren Fällen verordne ich meinen Patienten, langsam mit einem Training zu beginnen; also spazieren zu gehen, zunächst kleine Strecken, und wenn sich ihr Zustand bessert, weitere Wege zurückzulegen. Ob diese Maßnahmen zielführend sind, wird die Zukunft zeigen. Wir wissen ja erst wenig über das Virus - und welche Langzeitschäden es tatsächlich hervorruft. Was ich jedem rate: sich heuer unbedingt gegen Grippe und Pneumokokken - die bekanntlich Lungenentzündungen auslösen - impfen zu lassen. Um zumindest gegen bestimmte Viren und Bakterien immun zu sein. Eine zusätzliche Infektion mit Corona würde nämlich Schlimmes bedeuten.

(Bild: zVg)

Außerdem ist es wichtig, die Abwehrkräfte zu stärken; eineinhalb bis zwei Liter Wasser täglich zu trinken, auf eine gesunde Ernährung Wert zu legen - also ausreichend Gemüse und Obst zu essen. Und zuletzt will ich an die Eigenverantwortung der Menschen appellieren, im Interesse von uns allen ersuche ich Sie, Masken zu tragen und große Zusammenkünfte zu vermeiden. Nicht wenige der älteren meiner Patienten haben sich zum Beispiel in Bridge-Clubs angesteckt, die jüngeren in Lokalen und bei Partys. Es ist jetzt einfach nicht die Zeit für Versammlungen - egal, ob in geschlossenen Räumen oder bei Demos. Ich weiß nicht, warum das manche nicht begreifen wollen.

Gabriele Wörgötter - Psychiaterin: Die psychischen Auswirkungen der Pandemie sind massiv. Depressionen und Angststörungen haben stark zugenommen, bei bereits „davor“ Erkrankten teils in dramatischer Weise. Manche von ihnen trauen sich aus Angst vor einer Ansteckung kaum noch ihre Wohnungen zu verlassen; nicht einmal um aus der Apotheke die für sie so wichtigen Medikamente zu holen. Folglich kommt es zu einer Verschlechterung ihres Zustands, ihnen droht Vereinsamung, positive Regulative von außen brechen weg, wodurch sich negative Gedanken verfestigen. Aber auch seelisch Gesunde leiden mittlerweile unter den Umständen, die Covid-19 mit sich bringt. Mit Home-Office etwa sind nicht alle glücklich. Nicht in seine Firma gehen zu dürfen bedeutet schließlich Kontaktverlust - zu Chefs, zu Kollegen. Dann entstehen Zweifel, ob man überhaupt noch gebraucht wird. Was freilich eine besondere Belastung darstellt in einer Zeit, in der die Zahl der Beschäftigungslosen hoch ist und viele Menschen in Kurzarbeit tätig sind.

(Bild: Schiel Andreas)

Was ich außerdem beobachte: Paranoide Ideen nehmen zu. In unserem Jetzt, das von Ungewissheit geprägt ist. Verschwörungstheoretiker verzeichnen Fan-Zulauf. Corona spaltet einfach zusehends die Gesellschaft. Die Gruppen an den Rändern werden größer: Die eine, die sich - übertrieben - vor dem Virus fürchtet; die andere, die es verleugnet und sich an keinerlei Vorsichtsmaßnahmen hält. Die Normalität ist uns eben genommen worden, unser Ziel sollte sein, sie soweit als möglich wiederherzustellen; die Gefahr nicht zu unter-, doch auch nicht zu überschätzen. Andernfalls steuern wir auf eine Gefährdung der psychosozialen Gesundheit zu.

Klaus Valenta - Orthopäde: Nicht wenige meiner Patienten haben während des Lockdowns gesundheitlich gelitten. Denn: Damals wurden Operationen verschoben; Physiotherapien, Heilgymnastik, Knorpel-, Stoßwellentherapien und weitere Heilverfahren waren nicht möglich. Viele Menschen vermieden zudem Ordinationsbesuche. Ganzheitliche Behandlungskonzepte kamen also kaum noch zur Anwendung; den Betroffenen blieb damit mitunter bloß die Option, ihre Schmerzen mit Tabletten zu lindern. Zudem war es den Patienten auch nicht möglich, sich - wie sonst gewohnt - ausreichend im Freien zu bewegen, und in Fitness- oder Rückenschulkurse zu gehen. Was in einigen Fällen zu Muskelschwächungen geführt hat.

(Bild: VYHNALEK.COM)

Außerdem kam es zu Fehlbelastungen. Ich will das an einem Beispiel erklären: Bei Schmerzen im rechten Kniegelenk etwa wird quasi automatisch eine Schonhaltung eingenommen, durch die es dann aber zu einem Überstrapazieren und zu Schmerzen im linken Kniegelenk kommen kann. Was in der Folge natürlich eine Therapiekonzept-Erweiterung bedingt. Und Fakt ist leider auch: Manche Patienten lehnten es im Lockdown völlig ab, sich in Spitälern behandeln zu lassen, aus Angst, sich dort mit Covid-19 zu infizieren.  Besonders die Älteren unter ihnen gerieten dadurch in einen komplexen Kreislauf; das ständige Zuhausesein verursachte letztlich nicht nur körperliche, sondern auch psychische Probleme. Denn Einsamkeit nagt an der Seele. Trotz der Gefahr, die Corona für uns alle bedeutet: Unter Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen werden wir es schaffen, Patienten auch in Pandemie-Zeiten bestens zu behandeln und zu betreuen.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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