„Krone“-Interview

Ihsahn: „Für die meisten mache ich nur puren Lärm“

Musik
16.09.2020 06:00

Nach der traditionellen Black-Metal-EP „Telemark“ vor einem halben Jahr veröffentlicht die Emperor-Legende Ihsahn dieser Tage EP zwei namens „Pharos“, die progressiv-poppig klingt und auch nicht vor A-Ha und Portishead zurückschreckt. Im ausführlichen „Krone“-Interview erzählt der Norweger von seiner musikalischen Vielseitigkeit, seine Pop-Liebe in der Kindheit und Home-Schooling in Corona-Zeiten.

(Bild: kmm)

„Krone“: Ihsahn, wie geht es dir in Norwegen zu Zeiten des Corona-Virus?
Ihsahn:
 In Norwegen hatten wir bislang sehr viel Glück. Unsere Regierung hat die Schritte ruhig gesetzt und den Leuten geht es ziemlich gut. Auch im Musik- und Veranstaltungsbusiness, wo es derzeit absolut nichts zu tun gibt, kommt von der Politik sehr viel Unterstützung. Meine Familie und ich arbeiten seit gut 20 Jahren zuhause im Studio, da hat sich also wenig verändert. (lacht) Abseits von den fehlenden Live-Shows und der Tatsache, dass wir die Kids auch zuhause unterrichten mussten, hat sich bei uns absolut nichts geändert.

Wie ging es euch mit dem Heimunterricht für die Kinder? Das ist für arbeitende Menschen keine zu unterschätzende Zusatzbelastung…
Ich würde sagen, dass das beide Parteien sehr genossen haben. Meine Frau hat eine pädagogische Ausbildung und wusste genau, was zu tun ist. Die Kids haben gelernt, wie man sich in der heimischen Umgebung fokussiert, obwohl es dort viele Ablenkungsmöglichkeiten gibt.

Haben dich die letzten Monate dazu bewegt, über dein Leben nachzudenken und gewisse Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten?
Absolut. Diese Lage hat mir sehr bewusst gemacht, wie gut es mir in diesem Leben geht. Ich habe so viel Glück, dass ich jetzt trotzdem meine Musik schreiben kann, auch wenn die Kulturwelt so gut wie stillsteht. Es war klar, dass dieser gesellschaftliche Zweig als erster geschlossen werden würde. Ich habe einen großen Backkatalog und viele meiner Alben verkaufen sich noch immer sehr gut, was mir natürlich eine große Hilfe ist. So kann ich mich auf meine Sachen konzentrieren oder auf die Produktion eines Albums für einen amerikanischen Künstler. Es wäre auch eine Frechheit sich zu beschweren, wenn man sieht, wie diese Situation andere Menschen schwer trifft, die nichts dagegen tun können. Und das weltweit. In Norwegen gibt es wirklich keinen Grund zum Jammern, sondern vielmehr für Dankbarkeit.

Für welchen Künstler aus den USA produzierst du gerade?
Das zieht sich eigentlich schon lang. Es ist Matt Heafy von Trivium und wir haben, glaube ich, die letzten zehn Jahre darüber gesprochen, dass ich die Hand an sein Soloalbum legen soll. (lacht) Wir sind alle sehr beschäftigt, aber derzeit geht es leichter und wir gehen die Sache endlich vernünftig an. Wir sind mittlerweile zu 90 Prozent fertig. Einige Trivium-Fans werden sich sehr wundern, wie er solo klingen wird. Mir war es wichtig, ihn zu fordern und Dinge machen zu lassen, die er nicht von Trivium gewohnt ist. (lacht)

Nachdem heuer so gut wie niemand auf Tour gehen kann bleibt bekanntlich sehr viel Zeit für das Studio. Kann man, nach den zwei EPs heuer, auch von dir 2021 mit einem richtigen Studioalbum rechnen?
Ich habe jetzt gerade einmal die „Telemark“- und die „Pharos“-EP fertiggestellt. Ich hatte die Songs schon vor Corona fertig. Somit hatte ich mehr Zeit, um die Produktion für Matts Soloalbum zu machen, aber derzeit bin ich tatsächlich dabei, erste konzeptionelle Entwürfe und Songideen für ein neues Album zusammenzustellen. Ich habe aber keine Eile, zumal ich parallel schon Liveshows für 2021 plane, die dann hoffentlich stattfinden können. Ich muss mich nicht zwingend überlasten, das ist nicht notwendig.

„Pharos“ ist nun eben die zweite EP und klingt erwartungsgemäß ganz anders als „Telemark“. Worauf spielt der Titel an und was willst du damit aussagen?
„Pharos“ ist mittlerweile ein Synonym für alle Arten von Leuchttürmen, denn Pharos von Alexandria ist eines der sieben Weltwunder. Der Leuchtturm spielt eine sehr wichtige strategische Rolle in der Menschheitsgeschichte und der Titel der EP sollte mit dem Thema Reisen verbunden sein. „Telemark“ drehte sich komplett um meine Heimat. Konzeptionell, visuell und teilweise auch musikalisch ging es da um mein Haus, meine Landschaft und den Ort, an dem ich lebe. Auch die Musik ging sehr stark zu meinen Black-Metal-Wurzeln zurück. Das Cover hat das gut verbildlicht. Auf „Pharos“ geht es um das Ausbrechen und die Ferne und deshalb hört man auch Musik, die man in erster Linie nicht so einfach mit mir in Verbindung setzen würde. Ich mochte die Idee des Leuchtturms im metaphorischen Sinn, weil er die Spitze ist, die dir das Ziel weist. Andererseits ist er ein sehr kraftvolles Element, dass dir den Weg zur Küste anzeigt. Metaphorisch hast du auch die Möglichkeit, den Leuchtturm auszuschalten und die Dinge, die du nicht haben willst, nicht in dein Leben zu lassen. Zur gleichen Zeit ist das Potenzial da, dass du selbst zu einem Leuchtturm für jemanden anderen wirst. Der Leuchtturm sagt so viel aus und das war mir extrem wichtig. Es gibt viele interessante Perspektiven, die weit über das hinausgehen, was die EP überhaupt anbieten kann. Das Spielen mit den Optionen hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Gilt diese Metapher auch für dich? In dem Sinne, dass du dich mit steigendem Alter auch in eine Art Leuchtturm sperrst und deine wenige Zeit möglichst sinnvoll verbringst und nicht mit Menschen oder Situationen, die dich ärgern und aufhalten?
Das ist auch ein Weg, wie man das Thema sehen kann. Ich bin mir klarer über die Prioritäten in meinem Leben. Die Freiheit der Wahlen ist etwas sehr Wichtiges, aber fast genauso wichtig ist es zu wissen, wofür man seine Zeit opfert und was man lieber nicht in seine Realität lässt. Wenn man etwas macht, dann opfert man auch immer gleichzeitig etwas anderes dafür und dieses Opfer ist zumindest gleich wichtig.

Du hast den veränderten Sound schon angesprochen. Es gibt nicht viele Musiker, die eine EP nach Black Metal und die andere nach elektronischem Prog klingen lassen. Sind das die zwei Herzen, die in deiner Brust leben? Das eine, das die Traditionen aufrechterhält und das andere, das Innovation sucht?
Diese beiden Elemente waren in meiner Arbeit immer vorhanden. Der experimentelle Teil war schon ganz früh in mir verankert, aber der Kern meiner Arbeit sind verstörende Gitarren und harsche Vocals. Ich habe dieses Mal beide Teile in zwei Extreme aufgeteilt und nicht vermischt. Das Experiment war sehr interessant und spannend. Ich erlege mir immer ein konzeptionelles Limit auf, damit ich mir selbst Grenzen setzen kann. In meinem Alter und mit dem Privileg, schon so lange Musik machen zu dürfen, ist es mir ein Anliegen, mich in Situationen zu bringen wo ich so aufgeregt und neugierig bin wie in den frühen Tagen als Musiker. Ich will Dinge entdecken, mich herausfordern und diese Herausforderungen schaffen. Mit dem Ziel wurde ich Musiker und das halte ich für mich am Leben. Wenn ich es schon nicht schaffen würde meine eigene Musik aufregend zu finden, dann könnte ich auch nie von jemand anderem erwarten, dass er das tut. (lacht) Viele Menschen glauben immer, ich experimentiere, um meine Fans zu schockieren oder zu überraschen, aber die gnadenlose Wahrheit ist, dass das nur meinem Egoismus geschuldet ist. Ich will selbst aufgeregt und motiviert bleiben und unter diesen Umständen mache ich meine beste Arbeit. Es darf niemals zu viel Komfort vorhanden sein.

Bist du jemand, der durch seinen musikalischen Zugang auch Toleranz in der Musik forciert? Der nicht nur für sich selbst, sondern allgemein Möglichkeiten anbietet?
Das ist wohl eine Konsequenz meiner Musik. Dass die Leute vielleicht mehr Arten von Musik genießen können als erwartet. Jedenfalls ist das kein Ziel, das ich bewusst verfolge. Diese Ansicht charmiert meine Motivation zum Musikmachen vielleicht, aber das würde viel zu weit gehen. Wenn du aufwächst und älter wirst, dann verändert sich deine Identität. Jeder Einfluss, der irgendwie in dein Leben kommt, verändert deine individuellen Sichtweisen. Jede Form der Kunst kann das für dich ausmachen. Als beinharter Fan kennst du jemandem sofort an, ob er Metal, Reggae oder Hip-Hop mag. Ich bin aber in einem Alter angekommen, in dem es mir einfach nur um extreme Musik geht, die mich anspricht. Ich liebe gute Musik und bin kein großer Fan schlechter Musik und das Gute daran ist, dass das alles verdammt subjektiv ist. Jeder kann auswählen, was er mag und was nicht und niemand hat recht oder unrecht. Die Emotionen sind bei jedem Menschen anders und das Schönste an Kunst ist, dass sie unmessbar ist. Es ist nicht wie Sport, wo es immer ein Resultat und ein besser oder schlechter gibt. Für die meisten Menschen auf der Welt ist meine Musik ohnehin nur purer Lärm. (lacht)

Die erste Songauskoppelung von „Pharos“ war der poppigste Song des Albums „Spectre At The Feast“, der sich grob um oberflächliche Menschen dreht, die dumme Dinge tun. Ist „Pharos“ auch ein sozialkritisches Werk?
Dieser Song im Speziellen ist sehr zugänglich - vor allem im Vergleich mit anderen Nummern, die ich so geschrieben habe. Die soziale Perspektive ist eine interessante, aber sie ist nicht aus vollem Bewusstsein dafür entstanden. Ich muss nicht noch einmal betonen, dass die EP schon vor Covid-19 fertiggestellt war und aus logischen Gründen gibt es trotzdem einen Konnex. Wie sehen unsere Werte in der Gegenwart aus? Wir haben die Verbindung zur Natur als Menschen im Allgemeinen schon so stark verloren und verlieren immer weiter an Boden. Ich war wirklich positiv überrascht, wie der Großteil der Menschen weltweit mit dieser Krise umgeht. Ich hatte viel mehr Aufstände und viel mehr Dummheit erwartet, aber die Leute haben sich der Herausforderung gestellt und mich damit überrascht. Indirekt kritisiere ich die Gesellschaft als Ganzes, weil das ein natürliches Element meiner Musik ist. Als ich mit Black Metal begann war ich 16 und in dem Alter willst du nicht gemocht werden oder in eine Schublade passen. (lacht)

Fühlst du dich in der Außenseiterposition wohl? Bist du gerne der Mensch, den man sich musikalisch erst erarbeiten muss?
Auch nicht absichtlich, aber das passiert meist von selbst. Ich bin keiner, der sich nach der großen Nähe sehnt, ich bin aber auch nicht asozial. Mit zunehmendem Alter werde ich mir immer bewusster, womit und mit wem ich mich umgebe und mit wem nicht. Ich komme mit einzelnen Menschen sehr gut zurecht, aber die Gesellschaft im Generellen ist nichts, wo ich ein wichtiger Teil sein möchte. Ich bin nicht gern Teil dieses Zirkus, das ist mir einfach zu viel. (lacht) Ich bin umgeben von Menschen, die ich liebe und habe mein schönes Haus draußen am Land. Ich bin kein Stadt-Typ und das wird bei mir auch nichts mehr.

Bei dir muss man immer das Unerwartete erwarten. Etwa das A-Ha-Cover zu „Manhattan Skyline“, die größten Popstars aller Zeiten deiner Heimat Norwegen. Warum dieses Cover und bist du selbst immer großer Fan gewesen?
Ich hatte ein A-Ha-Poster in meinem Zimmer als Acht- oder Neunjähriger. Jedenfalls in der Zeit, bevor der Metal in mein Leben trat. Ich habe die Band immer geliebt. Sie schrieben so gute Songs und so tolle Melodien, die mich immer beeindruckt haben. Diese epischen Refrains und der emotionale Eindruck, den die Songs vermittelten. Sie haben beim Songwriting ein unglaubliches Handwerk und eine ganz bestimmte Intelligenz. Natürlich hat auch die heutige Popmusik sehr viel Kreativität anzubieten, aber das meiste wiederholt sich oder beruft sich auf die ganz großen Meister wie eben A-Ha. Auch „Manhattan Skyline“ ist breitentaugliche, kommerzielle Popmusik, aber der Aufbau dieses Songs und die kontrastreichen Elemente darin machen ihn sehr komplex. Sie sind die Pioniere norwegischer Popmusik, die auf die ganze Welt hinaus Eindruck machten. Im Gegensatz zu Schweden gab es niemals eine Popmusikkultur in Norwegen, die über den Globus hinweg ausstrahlte. „Manhattan Skyline“ ist vielleicht nicht ihr größter Hit, aber der Song, zu dem ich mich als Komponist immer angezogen fühlte. Es gibt hier so viel zu entdecken und das wollte ich endlich tun.

Tori Amos‘ Version von „Raining Blood“ ist so anders als das Original von Slayer, sodass man den Song kaum mehr erkennt. Das ist eine Art, wie man covern kann. Meine Art ist es, die Einflüsse der Klanglandschaft des Originals immer in meine Vision einfließen zu lassen. Das Herz des Songs sollte bestehen bleiben, auch die vielen Kontraste, die ich so liebe. Das zweite Cover auf der EP ist „Roads“ von Portishead. Diese sanfte Beschaulichkeit, die kurz davor ist, völlig durchzubrechen, hat mich seit jeher fasziniert. Es gibt Verzerrungen, es gibt diese zerbrechliche Stimme und dieses ständige Gefühl, dass hier gleich alles zusammenbricht. Die Spannungen in dem Song sind herausragend. Der Song ist ganz anders als jener von A-Ha, aber die gefühlte Fragilität vereint beide so unterschiedlichen Nummern. Das wollte ich erforschen und deshalb sind meine Versionen auch sehr nahe am Original. Es war nie das Ziel, „meinen“ Song daraus zu machen.

Auch wenn man immer gerne über solche Kommerzsongs schimpft, jeder Musiker weiß, wie verdammt schwer es ist, einen guten Popsong zu schreiben. Das gelang A-Ha unzählige Male. Ist es langfristig auch ein Ziel von dir, einen solchen Song zu schreiben?
Nein, das muss nicht zwingend sein. Ich habe in letzter Zeit sehr oft in die Richtung musiziert, denn die meisten Songs von Iron Maiden oder Judas Priest, mit denen ich aufgewachsen bin, haben das kleine kompositorische Schema wie die großen Pop-Songs. Deshalb gibt es so viele Black-Metal-Songs, die klingen, als wären sie aus 17 Nummern zusammengebaut und vermischt - sie lassen an Struktur vermissen und das bewusst. Das ist natürlich okay, aber auf den letzten paar Alben habe ich verstärkt versucht, traditioneller zu komponieren. Mit den Grundelementen ist es nicht schwer, einen dreieinhalbminütigen Popsong zu schreiben. Aber einen richtigen Hit zu machen, die Elemente richtig zusammenzusetzen und eigenständig zu bleiben - das ist die große Kunst. Bei den guten Popsongs klingt keiner wie der andere. Das macht den Unterschied aus.

Wir haben schon vor zwei Jahren ein Interview geführt, wo wir kurz das Thema „All-Star-Projekt“ mit Judas-Priest-Sänger Rob Halford und Behemoth-Frontmann Nergal angeführt haben. Hat sich da eigentlich irgendwas getan?
(lacht) Die Frage kommt jetzt natürlich goldrichtig. Wir sind alle sehr beschäftigte Leute, aber das Zeitfenster wäre jetzt wahrscheinlich nicht das schlechteste. Ich hoffe wirklich, dass wir diese Idee sehr bald wieder aufnehmen können. Ich bin nicht der große Fan von solchen Kollaborationen, aber wenn ich daran interessiert bin, dann, weil ich es aufregend finde. Mit diesen zwei Jungs würde sich etwas ganz Besonderes entstehen und deshalb will ich den Gedanken auch nicht aufgeben. Ich habe in meinem Kopf so einen Klang, aber das heißt nicht, dass er den anderen gefallen wird. (lacht)

Als großer Musikkenner und -liebhaber: Gibt es eigentlich junge Black-Metal-Bands, die du gerne hörst und uneingeschränkt empfehlen würdest?
Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu arrogant, aber ich habe diese Musik so lange selbst gemacht, dass ich lieber alles andere als Metal höre. Ein Teil von mir ist bei der Musik immer im Arbeitsmodus und dann entdecke ich lieber neue Einflüsse oder Texturen, die von ganz woanders kommen. Ich habe so viel Zeit meines Hörvermögens in Metal gesteckt, dass es eine gewaltige Menge an Musik gibt, die ich bislang noch nicht entdeckt habe. Musik, auf die ich sehr gespannt bin. Meine Prioritäten liegen derzeit einfach außerhalb des Genres.

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