Spaltpilz Migration
Moria und der Streit um Europas Flüchtlingspolitik
„Migration, daran ändert auch die Katastrophe von Moria nichts, bleibt Europas Spaltpilz“, so der Befund der renommierten „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ). Ganz Europa blickt nach den Großbränden im umstrittenen Flüchtlingslager Moria nach Lesbos. Während die griechische Regierung mit einer weiteren Eskalation der Lage rechnet und die Polizeikräfte vor Ort verstärkt, hat Italien am Freitag Unterstützung für die deutsch-französische Initiative zur Aufnahme minderjähriger Geflüchteter zugesagt. Ein neuer EU-Vorschlag zur Migrationspolitik wurde indessen für Ende September angekündigt.
„Wir haben den griechischen Freunden unsere Solidarität angesichts der Tragödie übermittelt, wir sind bereit, Unterstützung zu geben“, schloss sich der italienische Regierungschef Giuseppe Conte der Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel an. „Wir unterstützen die Initiative für die unbegleiteten Minderjährigen“, so Conte. Ob Italien konkret mit der Aufnahme von Migranten helfen wolle, ließ der Regierungschef allerdings offen. „Perspektivisch müssen wir allerdings verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Auch wir leiden, unsere Aufnahmezentren sind überfüllt“, mahnte er.
Deutschland und Frankreich hatten nach dem Großbrand im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos angekündigt, minderjährige Migranten aufzunehmen - möglichst gemeinsam mit anderen EU-Ländern. In Österreich lehnt die ÖVP die Aufnahme Geflüchteter vehement ab.
NZZ: „EU der 27 Staaten eben doch keine Wertegemeinschaft“
Der Fall Moria rückt erneut die Problematik von Europas Migrationspolitik in den Mittelpunkt. Die NZZ über das Dilemma: „Vielleicht hilft es sich einzugestehen, dass die EU der 27 Staaten eben doch keine Wertegemeinschaft ist, sondern ein Zweckbündnis der vielen Werte und Sichtweisen. In Wertfragen wird man sich im Zweifel nie einigen können. Das bedeutet aber nicht, dass die Europäer in der Migrationspolitik zur Untätigkeit verdammt sind“.
Immer wieder habe sich demnach zuletzt gezeigt, dass einzelne Staaten mit gutem Beispiel vorangehen können, wenn es zum Beispiel darum geht, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, die Verteilung von Flüchtlingen auszuhandeln, Asylbeamte zu entsenden oder Abkommen mit Drittstaaten zu schließen. „Diese ,Koalitionen der Willigen‘ sind zurzeit vielleicht der vielversprechendste Ansatz in der ,europäischen Flüchtlingspolitik‘“, so das Schweizer Blatt.
Neuer EU-Vorschlag zur Migrationspolitik
Die EU-Kommission will am 30. September einen neuen Vorschlag zur EU-Migrations- und Asylpolitik vorlegen. Es soll demnach unter anderem ein System „dauerhafter und wirksamer Solidarität“ innerhalb der EU geben. Die Initiative habe drei Elemente. Einerseits wolle man mit größerer Hilfe für Entwicklungsländer dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst ihre Heimat verließen. Zum anderen wolle man die EU-Außengrenzen besser und „robust“ mit einer neuen Küstenwache und mehr Personal schützen.
In der wieder entflammten Debatte um Europas Migrationspolitik setzt der Schweizer Soziologe Jean Ziegler indessen auf die Zivilgesellschaft. Sie müsse nun Druck auf die Regierungen ausüben für eine „totale Evakuierung“ der 13.000 obdachlos gewordenen Menschen und um den Wiederaufbau des „Elendslagers“ zu verhindern, so Ziegler am Freitag.
Dass durch eine Grenzöffnung der berühmte Pull-Effekt, also eine Sogwirkung für weitere Migranten entstehen könnte, sieht Ziegler nicht. „Keiner, der seine Heimat verlässt, macht das gerne“, begründete er. Auch sei das Argument „Das Boot ist voll“ eine „reine Lüge“, Europa habe noch ausreichend Kapazitäten. Die derzeitige „Abschreckungsstrategie“ der EU zerstöre jedenfalls das „moralische Fundament der EU“ und sei zudem noch ineffizient.
Scharfe Kritik an ÖVP-Aussage: „Unmenschliche Verleumdung“
Und auch an der Aussage der ÖVP, die nach dem Brand in Moria von „gewaltbereiten Migranten“, denen kein Asyl gewährt werden dürfe, sprach, übte Ziegler scharfe Kritik. Das sei eine „unmenschliche Verleumdung der Flüchtlinge“, sagte er. „Das sind Menschen wie Sie und ich. Das Einzige, was uns trennt, ist der Zufall der Geburt.“
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