Während Deutschland, Frankreich, die Niederlande und sieben andere europäische Staaten, darunter einige, in denen Konservative an der Macht sind, 400 unbegleitete Minderjährige aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufnehmen wollen, bleibt die ÖVP bei ihrer harten Linie. Dies führt zum ersten ernsthaften Koalitionskrach und zu immer lauter werdenden Rufen, dass die Regierung mehr Gefühl zeigen müsse.
„Die Situation ist noch viel verheerender, als ich mir das gedacht hätte“, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedic, die nach Lesbos gereist ist, um sich selbst ein Bild von der Flüchtlingskatastrophe auf der griechischen Insel zu machen.
Es gebe derzeit keine offizielle Hilfe, überhaupt keine Versorgung für die knapp 13.000 obdachlos gewordenen Migranten, keine Nahrung, kein Wasser. „Die Menschen sind wirklich verzweifelt, es ist vollkommen aussichtslos“, schildert Ernst-Dziedic.
Erster ernsthafter Streit in der Koalition
In der türkis-grünen Koalition ist nun angesichts des Elends der Flüchtlingskinder der erste ernsthafte Streit ausgebrochen. Die Grünen wollen sich an der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen beteiligen, die ÖVP hingegen bleibt bei ihrem strikten Nein. Das Bundeskanzleramt verweist darauf, dass Österreich in den letzten fünf Jahren sehr viele Menschen aufgenommen habe, allein dieses Jahr bereits 3700 Kinder.
Die Zusammenarbeit in der Regierung funktioniert gut. Die humanitäre Hilfe vor Ort ist das, wo es gemeinsame Schnittmengen gibt.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein. Wenn wir das Lager auf Lesbos jetzt leeren, ist es gleich wieder gefüllt.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP)
Aber nicht alle in der sonst so diszipliniert geeinten Volkspartei vertreten diese harte Linie. Mehrere Bürgermeister bieten Plätze für Kinder an, und die Tiroler ÖVP-Landesrätin Beate Palfrader appelliert an die „christlich-soziale Verantwortung“.
Ich erwarte mir mehr europäischen Geist und mehr Menschlichkeit und weniger Zynismus. Schnelle Hilfe ist notwendig.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
Was viele stört, ist der Ton, der oft als zynisch und kaltherzig bezeichnet wird. Hilfsorganisationen appellieren ebenso wie die Kirche oder Teile der Opposition. Der Tenor dabei lautet: Die Regierung muss mehr Gefühl zeigen.
Es ist erschütternd. Europa und Österreich hat, da bin ich zuversichtlich, die Größe und die Menschlichkeit, jetzt das Richtige zu tun.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Wir beißen da leider auf Granit. Aber der Druck wird steigen. Wir werden weiterhin die Diskussion führen, wir sind durchaus kampfbereit.
Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer
Strategie allein ist nicht genug
Man müsse die Debatte deemotionalisieren, sagte Außenminister Alexander Schallenberg zum Drama um Kinder, die auf der Straße schlafen müssen. Es sollen also angesichts von Kindern, die hungern, weinen, Angst haben, jetzt sogar ihre spärlichen Behausungen verloren haben und unter unwürdigen Bedingungen dahinvegetieren, nur ja keine Gefühle aufkommen. Keine Empathie bitte, wenn traurige Kinderaugen ins Leere blicken, wenn sie sich kraftlos an ihr Stofftier kuscheln, während sie auf einer dünnen Decke auf dem Asphalt liegen, wenn sie keinerlei Hoffnung mehr verspüren.
Nein, das kann nicht der richtige Weg sein. Politik besteht nicht nur aus Strategie, sondern es darf, ja es muss auch Gefühl dabei sein. Die Strategie der ÖVP ist glasklar: Die Türkisen wollen bei der bevorstehenden Wien-Wahl so viele Stimmen wie nur möglich vom bröckelnden blauen Kuchen aufsammeln. Die FPÖ wird, so sagen es die Umfragen voraus, von knapp 31 Prozent auf möglicherweise unter zehn Prozent rasseln. Da ist also viel zu holen. Und das geht nur mit einer harten, gefühllosen Haltung in der Flüchtlingsfrage, das jedenfalls dürfte sich die ÖVP derzeit täglich selbst vorbeten.
Aber Österreich darf nicht wegschauen, darf die Tragödie, die sich auf Lesbos abspielt, nicht ignorieren. Eine Regierung, die kein Gefühl, keine Menschlichkeit und keine Wärme zeigen will, ist in vielen Belangen zu hinterfragen. Die Bilder aus Moria dürfen uns nicht kaltlassen.
Doris Vettermann, Kronen Zeitung
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