Pop-Punk-Album

Machine Gun Kelly: Juveniler Retter der Rockmusik

Musik
23.09.2020 06:00

Anstatt sich auf seine bekannten Stärken zu besinnen und weiter beharrlich am Rap-Thron zu kratzen hat sich Machine Gun Kelly lieber seiner Jugendliebe Pop-Punk zugewandt und veröffentlicht mit „Tickets To My Downfall“ ein Album, das ihn völlig offen, mutig und unverbraucht zeigt.

(Bild: kmm)

Es gehört schon eine kräftige Portion Mut und Selbstsicherheit dazu, um von sicheren Erfolgspfaden abzukehren, um in eine relativ neue, gar nicht mal so trendige Welt einzutauchen, deren einzige Perspektive jene der Unsicherheit ist. Colson Baker, besser bekannt als Machine Gun Kelly (MGK), hat sich in den letzten zehn Jahren seiner florierenden Musikkariere hauptsächlich darauf konzentriert, eine Art zweiter Eminem zu werden. Der welterfolgreichste Rapper aller Zeiten diente MGK auch als Idol, bis sich 2018 plötzlich ein medienwirksamer Beef mit beiderseits adäquaten Disstracks entwickelte, der schlussendlich irgendwann im Sand verlief. Wie so oft weiß man nicht so genau, ob es zwischen den beiden provozierenden Figuren tatsächlich gewaltig rappelte, oder ob es schlussendlich nur geschicktes Marketing war. Die Aktien des heute 30-Jährigen MGK stiegen damit natürlich enorm.

Lunte gerochen
Baker hat sich zu der Zeit aber ohnehin schon von seinen bisherigen Pfaden entfernt - musikalisch war ihm die Rap-Masche zu eng gestrickt. Rock-Elemente waren spätestens auf seinem zweiten Album „General Admission“ 2015 zu vernehmen, richtig reingerutscht ist er aber dann vor gut einem Jahr. Mit Yungblud und Blink-182-Drummer Travis Barker nahm Baker den Track „I Think I’m Okay“ auf und stellte ihn auf sein im Juli 2019 erschienenes Werk „Hotel Diablo“ - dann war der Blondschopf endgültig angefixt. Die Single kam bis auf Platz acht der US-Charts und räumte Platin ab. Relativ gleichzeitig personifizierte der Gelegenheitsschauspieler Mötley Crües Drummer-Legende Tommy Lee im viel zerrissenen Biopic „The Dirt“, was seiner Lust auf harte Gitarrenmusik noch zusätzlich verstärkte. Baker hat dann spontan einen zusätzlichen Tag im Studio gebucht, noch einmal Travis Barker eingeladen und mit ihm „Bloody Valentine“ eingeholzt.

Diesen Song schickte MGK Anfang Mai nicht nur als erste Single zu seinem neuen Album voraus, er ist in seiner juvenilen Ausrichtung auch der klare Signature-Track auf dem sinnig betitelten „Tickets To My Downfall“. Die Kraft des Songs haben die zwei Vollblutmusiker schnell erkannt, weswegen sie sich darauf einigten, jeweils zwei volle Monate zu opfern, um aus diesen ersten Konstrukten ein richtiges Album zu kreieren. Das unbetitelte „Pop Punk Projekt“ wurde von einer losen Spaßidee zu einem ernsthaften Projekt, bei dem sich für MGK Konzept, Inhalt, Soundführung und generelle Ausrichtung wie durch Magie zusammenfügten. Gerade Barkers Blink-182 waren für den jungen Colson Baker einst eine prägende Band, die gesamte Pop-Punk-Welle des Millenniums rund um Top-Combos wie Sum 41, Good Charlotte, Simple Plan oder New Found Glory hat er wie einen Schwamm aufgesogen. Zur endgültigen Vollführung der Idee kam ihm eine entscheidende, generationsprägende Idee.

Papa-Approved
„Ich will damit der jüngeren Generation das Gitarrespielen wieder näherbringen“, sollte MGK später in einem Interview sagen. Die Statistiken lügen nicht, denn der Hip-Hop- und Latino-Sound-Boom hat vor allem die USA in den letzten Jahren nachhaltig verändert, E-Gitarren sind mittlerweile sowohl im Rock-, als auch im Pop- oder Punk-Bereich fast schon zu einem Sparteninstrument degradiert. Nachdem die ersten Songs standen, gab es für Baker die erste Adelung - sein bislang so kritischer Vater zeigte sich erstmals in seinem Leben mit dem Sound seines Sohnes zufrieden, auch die Gästeliste für das Album wurde immer breiter. Auf „Forget Me Too“ hört man die zauberhafte Pop-Stimme von Halsey, Blackbear sorgt auf „My Ex’s Best Friend“ für den eindringlichsten Rap-Moment und die Klammer zu MGKs Vergangenheit, Trippie Redd verfeinert „All I Know“ und wer sich die Bonus-Disc leistet, der kann sich Cover-Songs von Paramore („Misery Business“) und Rihanna („Love On The Brain“) laben.

Die Songauswahl war schnell so üppig, dass sich MGK dazu entschied die Kooperationen mit Yungblud und dem The Used-Sänger Bert McCracken auf unbestimmt zu verschieben. Dass das eigentlich schon länger eingetütete Album genau jetzt erscheint, hat einen guten Grund. Für Baker ging es darum, den Corona-geplagten Menschen zum Herbsteintritt ein Album voll sommerlicher Vibes und adoleszenter Ungezwungenheit zu überlassen. Tatsächlich ist „Tickets To My Downfall“ ein riesiger Schritt in die Vergangenheit, als weltverschlechternde Ereignisse wie ein todbringendes Virus, der naturkatastrophenverursachende Klimawandel oder die wirtschaftsumwerfende Finanzkrise noch nicht einmal grobe Kopfgeburten waren. Insofern tut MGK gut daran, die Texte mit jugendlicher Leichtigkeit den simplen, aber fröhlichen Melodien stringent beizustellen. Dass Songs wie „Bloody Valentine“, „Concert For Aliens“ oder auch „Kiss Kiss“ besser klingen als alles, was Blink-182 selbst in den letzten zehn-zwölf Jahren verbrochen haben, zeichnet das Vorhaben des Texaners zusätzlich aus.

Szenewegbereiter
Eine musikalische Neuerfindung birgt gewiss große Risiken. Dadurch, dass Colson Baker aber ein echter und authentischer Fan und Liebhaber des Pop-Punk-Genres ist und sich mit dem Album einen großen Jugendtraum erfüllt hat, erklingt das Endergebnis nie erzwungen oder unnötig aufgeblasen. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die mehr oder weniger namhaften Features unbedingt hätten sein müssen, doch durch die glatt-klare Produktion von Travis Barker und dem großteils über alle Zweifel erhabenen Songwriting fühlt man sich nicht nur als Fan des Genres, sondern auch als Liebhaber des Künstlers in fremden Gefilden stets wohl. „Tickets To My Downfall“ erfindet das Rad nicht neu, doch sollte es dem gerade bei den ganz Jungen beliebten Machine Gun Kelly mit diesem Album tatsächlich gelingen, die E-Gitarre wieder als cooles Instrument zu präsentieren, dann kann ihm eine ganze Szene die Füße küssen.

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