Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei.
Amaranthe - Manifest
Wenn man sich den 2020er-Katalog von Napalm Records so durch den Kopf gehen lässt denkt man kurz daran, dass man das Schlimmste sicher schon überstanden hat und tauchen im letzten Quartal des Jahres doch tatsächlich noch einmal Amaranthe auf. Das sind die Schweden, die sich seit knapp zehn Jahren nicht zu schade dafür sind, handelsüblichen Power Metal mit Eunuchengesang zu verwechseln und ihre Songs mit derart viel Pop-Kitsch zukleistern, dass einem schon beim Abziehen des Plastiks auf der CD die Finger klebrig werden. „Manifest“ wird in den Hauptmärkten Schweden, Deutschland und der Schweiz unter Garantie wieder durch die Decke gehen, wer Songs wie „Make It Better“, „Strong“ oder das unfassbar glitschige „Crystalline“ ohne bleibende Kariesschäden überlebt, der kann sich zur Belohnung dreimal bekreuzigen. Absoluter Schwachsinn. 1/10 Kronen
Amilli - Pulling Punches EP
Wie schwierig es sein kann, wenn man über Nacht zu einer Art Popstar wird, davon kann Amilli ein Lied singen. Kaum hat sie sich in ein freiwilliges soziales Jahr im Kindergarten begeben, folgte der Gewinn des größten deutschen Radiopreises, ein Auftritt beim Berliner „Lollapalloza“ und eine erste eigene Tour mit der EP „Wings“ im Gepäck vor Annenmaykantereit und den Giant Rooks. Die Bochumerin begeisterte mit ihrer Mischung aus gedämpftem Pop, wohligem Soul und zugänglichem Jazz nicht nur die Kritiker, sondern auch sehr viele Menschen. Für die zweite EP „Pulling Punches“ hatte Amilli wenigstens einmal Zeit, sich über sich selbst und ihre Musik im Klaren zu werden. Die Songs sind durchdachter, noch reifer und behandeln auch persönlichere Themen wie Feminismus oder die Tücken einer zerbrochenen Beziehung. Hier geht es weiter steil aufwärts. Ohne Bewertung
Anaal Nathrakh - Endarkenment
Unglaublich, welches Tempo die englischen Death-Metal-Bands in diesen Wochen vorlegen. Venomous Concept und Napalm Death haben ihre Alben schon rausgefeuert, Benediction folgt in absehbarer Kürze und dazwischen fügen sich auch noch die Krachextremisten von Anaal Nathrakh in die Klammer des Todes. Wer sich vom Cover-Motiv (zwei Penisse ragen aus einem Schweinsschädel) nicht abschrecken lässt, der bekommt Dave Hunt und Mick Kenney zudem so melodisch und zugänglich wie noch nie ins Haus geliefert. Nicht falsch verstehen - was hier alles zunichte geholzt wird, ist für 90 Prozent der Musikhörer noch immer nicht greifbar, aber die Melodieseligkeit im Titeltrack oder auf „Beyond Words“ ist von einer überraschenden Emotionalität. Während die Herren im Alter denn gar noch gediegen? Irgendwie leider weder Fisch noch Fleisch. 6,5/10 Kronen
Aloe Blacc - All Love Everything
Als Aloe Blacc mit seiner Single „I Need A Dollar“ aus dem Nichts heraus die Charts eroberte, schrieben wir das Jahr 2010. Ja tatsächlich, eine ganze Dekade ist seither ins Land gezogen. Fast gleich lang, nämlich sieben Jahre, sind es seit seinem letzten Studioalbum. Seit 2013 war Blacc zwar immer mal wieder in TV-Shows, auf Filmsoundtracks oder in einer Football-Halftime-Show vertreten, die ersten Lebensjahre seiner Tochter Mandela aktiv mitzukriegen war ihm aber wichtiger. Mit „My Way“ hat er sich auch in der Gegenwart genug Radio-Airplay gesichert, ansonsten ist „All Love Everything“ aber zu bemüht nach Herzschmerz, Inklusion und Gemeinschaft geraten. Gute Botschaften, schwache Umsetzung, denn die Songs plätschern zumeist ereignislos dahin und lassen jeglichen Spannungsbogen vermissen. Im R&B/Soul-Fernduell gegen John Legend zieht Blacc klar den Kürzeren. Solide Radiokost ohne Ecken und Kanten. 6,5/10 Kronen
Blackpink - The Album
Wer sich die internationale Szene etwas genauer ansieht weiß längst, koreanischer Pop ist eigentlich der wahre globale Schlager. Neben BTS gibt es mit Blackpink noch ein Phänomen, das 2019 beim Coachella auftrat, eine ganze Generation junger Mädels zum Japsen bringt und die mit dem Video zur Single „How You Like That“ mit 80 Millionen Klicks in 24 Stunden einen bis heute gültigen Rekord aufstellten. Dann gab es ja auch noch die Kooperation mit Lady Gaga auf „Sour Candy“ - so einen Markt darf heute niemand übersehen. Das schlicht „The Album“ betitelte Full-Length-Debüt nach drei EPs ist eigentlich ein Witz. Gerade mal acht Songs in gut 24 Minuten befinden sich darauf mit den Highlights „Ice Cream“ mit Selena Gomez und „Bet You Wanna“ feat. Skandalrapperin Cardi B. Der Pop ist glattgebügelt und geht total auf Nummer sicher, klingt in Nummern wie „Pretty Savage“ oder „Love To Hate Me“ arg abgenudelt. Netter Einstand, aber wer braucht das wirklich? 6,5/10 Kronen
Born Ruffians - Squeeze
Der Spotify-CEO verärgerte erst unlängst die gesamte Künstlerlandschaft mit seiner lapidaren Aussage, um heutzutage via Streaming ordentlich Geld zu verdienen, müsse man halt auch öfter als alle paar Jahre Songs veröffentlichen. Nun, die kanadischen Indie-Rocker Born Ruffians nahmen ihm beim Wort, denn „Squeeze“ ist nach „Juice“ (was für Titel…) gar schon das zweite Studioalbum im Jahr 2020. Das Material datiert aber schon auf das Jahr 2018 zurück und wurde bei den Sessions zum Album „Uncle, Duke And The Chief“ verfasst. Im direkten Vergleich zu „Juice“ gehen die Born Ruffians hier etwas psychedelischer und 60s-lastiger ans Werk. Vor allem aber das untrügliche Gespür für schöne Melodien und (Indie)Hit-verdächtiges Songwriting ist klar zu hören. Die Single „30th Century War“ und „Death Bed“ stechen heraus, auf „Waylaid“ hat man Gastvocals von Hannah Georgas in petto. Eine kleine Perle. 7,5/10 Kronen
Brave The Cold - Scarcity
Bei Mitch Harris muss man sich erst einmal auskennen. Für seine Stammband Napalm Death schreibt er mittlerweile nur mehr sehr ungern Songs, während ebenjene aber erst unlängst eines der besten Metalalben des Jahres veröffentlichten, konzentriert sich der Wahl-Amerikaner lieber auf sein Nebenprojekt Brave The Cold. Vielleicht liegt ihm der Sound dort mehr, denn gemeinsam mit dem holländischen Schlagzeug-Tausendsassa Dirk Verbeuren entzieht sich Harris jeglicher Kategorisierung und füttert sein dystopisch-weltenendendes Grundkonzept mit allerlei unterschiedlicher Zutaten. Die hymnischen Vocals in „Hallmark Of Tyranny“ erinnern an Fear Factory, die Stimme bei „Monotheist“ an Ministry, „Apparatus“ könnte eine moderne Pungent Stench-Single sein und wenn es vertrackter wird, dann mäandert man zwischen Death-Thrash, Grindcore und Meshuggah. Ein bisschen viel von allem. Gut gemeint, aber nicht unbedingt grandios umgesetzt. 6,5/10 Kronen
Brent Cobb - Keep ‘Em On They Toes
Für „Shine On Rainy Day“ wurde Brent Cobb vor vier Jahren für einen Grammy nominiert, doch der breitflächige Durchbruch im Country-Mainstream blieb dem in Kalifornien geborenen und heute in Georgia ansässigen Musiker bislang verwehrt. Das wird sich im Grunde auch mit „Keep ‘Em On They Toes“ nicht ändern, denn für die breite Masse klingt der 34-Jährige einfach viel zu ursprünglich. Anstatt seinen Sound mit Pop-Zitaten zu verwässern setzt Cobb auf die ursprüngliche Lehre, die sich sehr stark an Townes Van Zandt, ein bisschen an Bob Dylan und noch ein Aizerl an Nick Drake orientiert. Der zelebrierte Minimalismus ist absolut Lagerfeuer-tauglich, zudem lässt Cobb in seinen Texten auch tief in sein Dasein und all die Hürden seines Lebens blicken. Ein Singer/Songwriter-Album, wie es sein soll eben. Das tut immer gut. 7/10 Kronen
Dawes - Good Luck With Whatever
Sechs selbstveröffentlichte Alben, alle sehr adäquat in den US-Charts platziert. Insofern ist es etwas verwundernd, dass die Dawes plötzlich auf die Kraft einer Plattenfirma setzen. Aber gut, in prekären Zeiten wie diesen muss man etwaige Risiken natürlich so gut es geht minimieren und eine bessere Werbefläche bietet ein etabliertes Label mit Sicherheit. „Good Luck With Whatever“ widmet sich thematisch dem Erwachsenwerden und all den Vorteilen und Tücken, die damit einhergehen. Musikalisch ist die Umsetzung gewohnt großspurig und schwer fassbar irgendwo zwischen Frank Turner, Elton John und The Gaslight Anthem angesiedelt. Für Frontmann Taylor Goldsmith ging es laut Eigenbekunden mehr um den Spaß als um kompositorische Bestleistungen, was dem Ergebnis aber nicht zu Schaden kommt. Wirklich hängen bleibt vom Album aber nichts. 6,5/10 Kronen
Death Valley Girls - Under The Spell Of Joy
Bei manchen Bands tut es besonders weh, dass man sie derzeit nicht live sehen kann. Etwa bei den für 2. Dezember in der Wiener Arena avisierten Death Valley Girls, die auf ihrem vierten Album „Under The Spell Of Joy“ derart viel Spielfreude versammeln, dass man sich das dritte Bier gar nicht schnell genug von der Bar ums Eck holen könnte. Was in einem Moment nach staubtrockener kalifornischer Wüste klingt, verwandelt sich genauso schnell gen Slacker-Attitüde, gemahnt an die Rrriot-Girl-Bewegung oder will sich einfach nur monoton in die Hirnwindungen drehen. Da wird weder vor Gesangseffekten mit Hall zurückgeschreckt, noch vor kruden Saxofon-Soli, die sich mit dem rockigen Grundrhythmus konterkarieren. Von den Bangles über Heart bis hin zu Bikini Kill ist alles erlaubt und erwünscht. So klingt die amerikanische Westküste abseits des Glamours. 8/10 Kronen
DevilDriver - Dealing With Demons I
Mit dem Album „Outlaws ‘Til The End - Vol. 1“ waren nicht alle langjährigen DevilDriver-Fans glücklich, schließlich gab es mehr als nur eindeutige Schlenker in Richtung Country und Groove. Coal Chamber-Kultsänger Dez Fafara hat aber schon immer gemacht was er wollte und lässt Teil zwei zugunsten eines neuen Doppelkalibers auf Halde. „Dealing With Demons“ befasst sich mit all den vielen Dämonen, die Fafara im Laufe der Jahre heimsuchten und soll schon im nächsten Jahr mit dem zweiten Teil vervollständigt werden. Na waren wir einmal ab. Auch wenn das Artwork schwer nach Power Metal á la Grave Digger gemahnt, sind die DevilDriver-Ingredienzien hier wieder zurückgekehrt: bissige Vocals, Thrash-Riffs und die Extraportion Groove, welche die Amerikaner schon immer aus dem Gros des Mitbewerbs herausstechen ließen. Kalifornische Waldbrände, der überstandene Krebs seiner Frau und die Pandemie - für Fafara ist „Dealing With Demons“ eine Reinigung, um wieder neu starten zu können. Mission gelungen, weitermachen! 7/10 Kronen
Eighteen Visions - Inferno EP
Wir gehen mehr als 20 Jahre zurück - in der aufstrebenden Metalcore-Phase rund ums Millennium, als die Metalszene von diesem neuen Wind völlig durchgefegt wurde, sorgten auch die Kalifornier von Eighteen Visions mit den Alben „Yesterday Is Time Killed“ (1999) und „Until The Ink Runs Out“ (2000) für Aufsehen. In die erste Genreliga ging es zwar nie, aber ein paar Jahre spielte man gut vorne mit, bis das unvermeidliche Aus kam und man sich vor drei Jahren wieder zusammenfand. Einem eher lauen Comebackalbum folgt nun eine 6-Track-EP, die sich konzeptionell mit Alighieris „Göttlicher Komödie“ befasst und in Songs wie „Sink“, „The Wicked“ und „Thirty One“ vor allem auf Drop-D-Gitarren und James Harts programmatisches Geschrei setzt. Von den Post-Einflüssen der alten Tage ist nicht allzu viel geblieben, so klingen Eighteen Visions in ihrem zweiten Karriereteil viel zu sehr nach Standardware. Schade eigentlich, denn der Ansatz wäre gut. Ohne Bewertung
Enslaved - Utgard
Die Entwicklung norwegischer Black-Metal-Bands bzw. -Künstler hat sich über die letzten 30 Jahre so entwickelt, dass ihr unlängst sogar der renommierte „Guardian“ einen Artikel gewidmet hat. Nach neuen, progressiven Alben von Emperor-Mastermind Ihsahn und Ulver kommen mit einem halben Jahr Corona-Verspätung auch Enslaved um die Ecke. Ivar Björnson, Grutle Kjellson und Co. haben schon immer gemacht, was sie für richtig hielten und vermischen ihr beständiges Bathory-Feeling mittlerweile nicht mehr nur noch mit Prog-Rock und Viking Metal, sondern auch mit lupenreinem Krautrock á la Tangerine Dream („Urjotun“). Im Closer „Distant Seasons“ gibt es sogar einen mutigen Ausflug in Post-Punk-Gefilde. Wer Innovation sucht, war hier schon immer richtig - und vor allem langjährige Enslaved-Fans werden das neue Werk lieben. 7,5/10 Kronen
Gabriel Garzón-Montana - Aguita
Mit seinem aus dem Nichts gekommenen Debütalbum „Jardín“ bewies Gabriel Garzón-Montana eindrucksvoll, dass in der modernen Popmusik eben noch nicht alles auserzählt ist. Nicht nur Look und Inszenierung (die ein bisschen an Ninja von Die Antwoord) erinnern hebt den kolumbianisch-französischen Querdenker aus Brooklyn, New York vom Gros des Mitbewerbs hervor, es gelingt ihm auch auf dem zweiten Album „Aguita“ einen Sound zu kreieren, den man noch nicht einmal im Ansatz mit etwas anderem in Vergleich setzen kann. Etwa wenn in der etwas längere geratenen Songs „Tombs“ und „Fields“ eine derart gespenstische Stimmleistung aufbietet, dass man sich fast in einer Argento-Szene fühlt oder wenn er sich dystopisch durch Klangkaskaden in „Moonless“ und „Bloom“ lenkt. Das ist alles andere als easy listening, aber wenn man sich Hip-Hop, R&B, Pop und Soul mit einem futuristischem Mantel vorstellen kann, dann geht man hier auf. 7,5/10 Kronen
Laura Jane Grace - Stay Alive
Als Tom Gabel, Frontmann der bekannten US-Punkband Against Me!, sich 2012 outete und das Leben fortan als Laura Jane Grace führte, war die Aufregung selbst in liberalen Genrekreisen hoch. Weder der Band, noch der Künstlerin hat die öffentliche Ehrlichkeit geschadet und nach fast einer Dekade können sich nur mehr eingefleischte Fans an die Zeiten von früher erinnern. Nun erscheint, ohne Vorankündigung und völlig überraschend, das Soloalbum „Stay Alive“, auf dem Grace nicht nur ihre Geschichte abhandelt, sondern in sehr kurzen Songkapiteln und meist nur mit reduzierter Akustikgitarre einzelne Kapitel all der Hochs und Tiefs feilbietet. Egal ob „Shelter In Place“, „Please Leave“ oder „The Magic Point“ - man hat bei den sehr persönlichen Songs stets das Gefühl ein aktiver Teil ihres Lebens zu sein. Das zweite Album ist zudem ein schönes Selbstgeschenk zum nahenden 40er. 7/10 Kronen
Groove Armada - Edge Of The Horizon
Rund ums Millennium waren Andy Cato und Tim Findlay nicht von den Tanzflächen wegzudenken. Die beiden Briten haben als Groove Armada und Singles wie „I See You Baby“, „Get Down“ oder „Superstylin‘“ für Aufregung, hervorragende Chart-Platzierungen und schlussendlich drei Grammy-Nominierungen gesorgt. Zehn ganze Jahre war es nun still um das Erfolgsduo, mit „Edge Of The Horizon“ gelingt ihnen aber ein schön aus der Zeit gefallenes Comeback, mit dem sie sich erhobenen Hauptes in der Szene bewegen können. Neben Róisín Murphy sorgen die beiden damit schon für die zweite lupenreine Nostalgie-Danceplatte in dieser Woche. Irgendwo zwischen der Chicago- und Berlin-Szene, mit einem Hauch Daft Punk und fein gewählten Gastauftritten fräsen sich vor allem die Songs „Holding Strong“, der Titeltrack und „We’re Free“ nachhaltig in die Hirnrinden. Funk, House, Dancefloor - Disco never dies! 7,5/10 Kronen
Hello Forever - Whatever It Is
Ein ordentliches Hippie-Kollektiv haben wir eh schon lange nicht mehr gehabt, da kommen Hello Forever gerade rechtzeitig. Sänger, Frontmann und Songwriter Samuel Joseph sieht seine Band als grenzenloses Pop-Kollektiv und ist in Instrumentierung und Stimmfärbung ganz klar von den 60er-Jahren beeinflusst. „Whatever It Is“ ist eine Tour durch die sonnigen Zeiten der Beatles, die Leichtfüßigkeit der Beach Boys und ein bisschen auch durch die drogenumnebelten Genialitätsblitze von Captain Beefheart. Aufgenommen haben Hello Forever ihr Debüt im Kreativpool Topanga, wo Neil Young einst sein Meisterstück „After The Gold Rush“ einspielte. Die Mischung aus mehrstimmigem Gesang, sommerlichen Rhythmen und psychedelischen Referenzen ist wie ein Fiebertraum einer längst vergessenen Zeit. Nur die Hits, die auch wirklich hängenbleiben, die fehlen. 7/10 Kronen
The Hunna - I’d Rather Die Than Let You In
Bands, die allumfassend den Pop- oder Rock-Geschmack der Moderne verstehen sind so populär wie nie zuvor. Auch klar, denn die Hörgewohnheiten der jungen Generation haben sich stark erweitert, weshalb eine Band wie The 1975 mit gefühlt 282 Stilen auf einem Album zu kommerziellen Überschwingern wurden. Ähnlich gehen die Briten von The Hunna vor, deren Drittwerk „I’d Rather Die Than Let You In“ nicht davor zurückschreckt, ausufernden Alternative Rock mit melancholischem Pop und zeitgemäßer Elektronik zu verbinden. Das wird vor allem Klangpuristen sauer aufstoßen, doch die nicht gänzlich vom Rap infizierten Teenies werden Songs wie „Anything Is Better Than Nothing“ oder „Young & Faded“ mit freudigen Luftsprüngen abfeiern. Da auch der Sexappeal passt, sich die Kids mit den Inhalten identifizieren können und der omnipräsente Blink-182-Drummer Travis Barker Gasttrommler ist, sollte der Erfolg vorprogrammiert sein. Am 1. Mai live im Wiener Flex geplant. 7/10 Kronen
The Jaded Hearts Club - You’ve Always Been Here
Die schönsten Geschichten schreibt immer das Leben. Gitarrist Jamie Davis hätte sich vor drei Jahren gerne den Gefallen einer Beatles-Coverband für seine Geburtstagsfeier getan, aber die wirklich guten waren ihm allesamt zu teuer. Warum also nicht eine eigene gründen? Gesagt, getan - mit einer Besetzung, die jeden Musikliebhaber mit der Zunge schnalzen lässt. Miles Kane (The Last Shadow Puppets) und Nic Chester (Jet) abwechselnd am Gesang, Blurs Graham Coxon an der Leadgitarre, Drummer Sean Payne von den Zutons und - Trommelwirbel - Muse-Frontmann Matt Bellamy am Bass. Mit „You’ve Always Been Here“ veröffentlicht das All-Star-Kollektiv nun drei Jahre später ein astreines Coveralbum im Rotzrock-Gewand, das den Bogen von Elvis Presley über Screamin‘ Jay Hawkins bis hin zu Chris Clark spannt. Eine halbe Stunde Spaß und Jam-Session - braucht man in prekären Zeiten wie diesen ohnehin. Gerne mehr davon. Ohne Bewertung
Jónsi - Shiver
Mit seiner Hauptband Sigur Rós hat sich Jón Birgisson aka Jónsi über die Jahre hinweg zurecht den Ruf als artifizieller Klangästhet erarbeitet. Doch auch solo hat er mit seinem Debütalbum „Go“ vor exakt zehn Jahren für Aufsehen gesorgt. Dass es bis zum Nachfolger so lange dauern würde, war nicht absehbar, doch untätig war der Isländer in der Zwischenzeit nicht. Dazwischen lagen eine Kunstinstallation, Auftragsarbeiten für Dream Works, private Probleme und ein maritimes Ozeanwerk mit Carl-Michael von Hausswolff. Für „Shiver“ hat sich Jónsi mit Liz Frazier von den Cocteau Twins und Robyn zwei wundervolle Gaststimmen gesichert, die den träumerischen Tracks „Cannibal“ und „Salt Licorice“ eine besonders schöne Farbe geben. „Shiver“ ist mit seinen elektronischen Klangexperimenten und feinen Piano-Linien oft sehr gespenstisch und mysteriös. Ein echter Jónsi eben - man muss in sich erarbeiten. 7,5/10 Kronen
King Mothership - The Ritual
Einer durchwegs gediegenen Szene noch etwas wirklich Neues rauszukitzeln ist immer schwierig und gehört - bei Gelingen - auf jeden Fall respektiert. Sänger/Gitarrist Spencer Sotelo, Drummer Matt Halpern (beide bei Periphery tätig) und der einstige Slaves-Bassist Tai Wright haben mit King Mothership aber eine großspurig klingende Band gegründet, die Prog-Metal neu definieren möchte. Und fürwahr: die vollmundigen Aussagen im Vorfeld können auch bestätigt werden. Oder hat man schon mal Prog gehört, der wie auf „Cosmic Meltdown“ mit Pop-Punk-Stimme und viehischem Drumming nach Billy Talent klingt? Für Szene-Puristen ist das Album freilich eine Herausforderung und Gratwanderung, aber allein schon die Verspieltheit und der schnörkellose Zugang zu Pop verdient höchsten Respekt. Prog-Rock einmal nicht als Mathematik-Stunde, sondern als Musik, die auch komplex einfach Spaß macht. Chapeau! 7,5/10 Kronen
Lany - Mama’s Boy
Innerhalb von nur wenigen Jahren haben sich Lany von Los Angeles aus den amerikanischen Rock-Himmel erobert. Das lag einerseits an den beiden Alben „Lany“ (2018) und „Malibu Nights“ (2018), andererseits aber auch an einer Erfolgskooperation mit dem Pop-Tausendsassa Lauv („Mean It“) und einem mehr als adäquaten Cover von Harry Styles‘ Top-Hit „Sign Of The Times“. Was die vor einigen Monaten veröffentliche Single „Good Guys“ dann vorausgeschickt hat, wird nun im großen Stil auf dem dritten Album „Mama’s Boy“ weitergeführt - konsenstaugliche, schwer emotionale Mainstream Pop/Rock-Songs, die zwischen großspuriger Melancholie („If This Is The Last Time“), beat-ausstaffierter Schwiegermama-Tauglichkeit („I Still Talk To Jesus“) und sehr viel moralgeschwängertem Pathos, wie es die angepasste Gesellschaft liebt und schätzt. Natürlich fehlt es völlig an Ecken und Kanten, dem Erfolg wird das aber nicht abträglich sein. 7/10 Kronen
Melanie C - Melanie C
Die wichtigste Nachricht zuerst - auch „Sporty Spice“ Mel C hat unlängst angekündigt, sie könne sich eine weitere Reunion der kultigsten Girlband aller Zeiten vorstellen. Doch bis es soweit ist, geht die musikalisch schon immer spannendste Londonerin wieder auf Solopfaden. Ihr achtes Werk hat sie nach sich selbst benannt, ist aber direkt von den großen Liveshows der Spice Girls 2019 inspiriert worden. Eine Mischung aus durchscheinender Autobiografie und offener Zugeständnisse zu ihren Fans ist das Ergebnis, das - wie sollte es im Pop-Business anno 2020 auch anders sein - sehr stark an die 80er-Jahre angelehnt ist. Die Bass- und Synthie-Flächen evozieren unweigerlich Nostalgie, die großen Spannungsbögen fehlen dadurch aber unweigerlich. Für das Selbst-Empowerment und das Hochhalten des Selbstvertrauens ist Sporty Spice aber noch immer die beste. 6,5/10 Kronen
The Nude Party - Midnight Manor
Wenn man von Jack White geadelt wird, dann kann man sich durchaus etwas auf sich einbilden. So geht es der Studententruppe The Nude Party schon seit dem Debütalbum aus dem Vorjahr, dem man nun - wohl Corona-bedingt - extrem schnell einen Nachfolger zur Seite stellt. Beeindruckend ist schon das Aufnahmesetting. „Midnight Manor“ wurde nämlich live eingespielt, klingt aber von Piano über Gitarre bis hin zur Stimme so wunderbar zusammengestückelt, dass man dahinter hohe Professionalität vermuten würde. Das frühe Sextett macht gar keinen Hehl daraus, dass die frühen Rolling Stones ein großer Einfluss auf sie waren, vor allem die Stimme von Hauptsänger Patton Magee ähnelt Mick Jagger in Songs wie „Pardon Me Satan“ oder „Easier Said Than Done“ (wo sogar die Worte „Rolling Stone“ vorkommen) unheimlich. Das aus der Zeit fallen passiert hier natürlich in voller Absicht - und geht durchaus auf. Welcome back to the early 70s. 7/10 Kronen
Dolly Parton - A Holly Dolly Christmas
Es ist längst Gewissheit, Weihnachten hat uns fest im Griff. Den internen Kampf des frühestens Weihnachtsalbums des Jahres hat im Pop-Business Carrie Underwood letzte Woche gewonnen, die US-Country-Queen Dolly Parton legt aber instant nach und hat zudem auch gleich eine Netflix-Weihnachtsfilmproduktion angekündigt. Wenn schon, denn schon! Die zwölf Interpretationen großer Klassiker sind aber immerhin ihr erstes Weihnachtswerk seit 30 Jahren („Home For Christmas“, 1990) und natürlich hat die große Parton Superstars wie Miley Cyrus, Michael Bublé oder Willie Nelson als Gäste verpflichten können. Viel mehr braucht man dazu auch gar nicht mehr sagen. Rauschebart aufstecken und losfeiern. Ohne Bewertung
Pendl - Vuan dabei
Mit seiner Hauptband Boon hat es Wolfgang „Zwölf“ Pendl als Karrierehighlight 2010 bis zur Vorband von AC/DC am Fluggelände in Wels gebracht, doch auch abseits davon hat die Band die heimische Rockszene mehrmals durchgerüttelt. In den letzten Jahren reifte im Wiener aber offenbar den Wunsch, sich in eine andere Richtung zu betätigen. Statt der dicken Stromgitarre wird nun auf Austropop gesetzt, aber Songs wie „Erinnerung“ oder „Wia vua an Joahr“ zeigen, dass sich der Frontmann nicht ganz von seinen Wurzeln trennen will und damit auch härter ans Werk geht als die Stadionfüller Seiler und Speer oder Edmund. Die teils biografischen, teils aus Beobachtungen gezogenen Songs sind kurzweilig, aber wenig innovativ und haben den leichten Beigeschmack, dass man sich hier an einen gut durch die Gegend rauschenden Genre-Zug anhängen will. 6,5/10 Kronen
Queen & Adam Lambert - Live Around The World
Zuerst das Wichtigste - die vollmundigen Versprechungen von Brian May und Roger Taylor, kein Studioalbum unter dem Banner Queen ohne Freddie Mercury zu veröffentlichen bleiben aufrecht. Schnappatmung ist also nicht nötig, außerdem firmiert das hier präsentierte Live-Dokument bewusst unter dem Banner Queen & Adam Lambert. Der sympathische „American Idol“-Sänger mit der famosen Musicalstimme ist nach den vielen Touren in den letzten Jahren längst akzeptiert und von den Hardcore-Fans zumindest toleriert. Im Fahrwasser des Welterfolgs des Biopics „Bohemian Rhapsody“ kommt auch dieses Werk durchaus zum richtigen Zeitpunkt zum Vorschein. Eine Hit-Stafette ohne Furcht und Tadel. All hail the Queen! Ohne Bewertung
Graham Reynolds - The Lodger
Cineasten wissen Bescheid - „The Lodger“ ist ein Stummfilm von Alfred Hitchcock, der bereits 1927 abgedreht wurde. Award-Sammler und Instrumentalist und Komponist Graham Reynolds hat sich überlegt, wie man dieses Juwel der alten Hollywood-Ära wohl musikalisch unterlegen könnte und sich in akribischer Kleinarbeit spannende Töne zusammengezimmert, der in einzelne Kapitel unterteilte. In erster Linie ging es natürlich darum, Suspense und Spannung aufrecht zu erhalten, was vor allem im leiernden und ungemein intensiven „Police Station“ außerordentlich gut gelingt. Für Reynolds ist die Arbeit an „The Lodger“ freilich nicht der erste Ausflug in dieses Metier, zweifellos aber wieder ein famos gelungener. Am besten im Finsteren mit hochgezogener Decke hören. Ohne Bewertung
Rote Augen - Augenlieder
Kenner der heimischen Musikszene wissen - in der Steiermark allgemein und im Graz speziell herrscht sehr viel famoser Mitbewerb, was aufgrund der vielen Erfolge von Künstlern und Bands aus Wien und vor allem Oberösterreich immer etwas untergeht. Hinter dem vielsagenden Namen Rote Augen befinden sich keine Newcomer, sondern Mitglieder unterschiedlicher Bands wie den Staggers, Sado Maso Guitar Club oder The Jigsaw Beggars, also durchaus altgediente Hasen aus den unterschiedlichsten Ecken. „Augenlieder“ soll offenbar eine Art Konzeptalbum über die Erfahrungen und Erlebnisse des Frontmannes Matthias Krejan sein, kann sich musikalisch aber nicht wirklich entscheiden, ob man jetzt FM4-tauglichen Rock, punkrockige Kinderliedatmosphäre („Ich hör nie wieder von der Liebe“) oder doch alternativen Pop mit Austro-Anstrich spielen will. Die Experimentierfreude sei ihnen unbenommen, das Ergebnis ist aber weder Fisch noch Fleisch und plätschert allzu sehr langweilig dahin. Da ist sicher mehr drin. 5,5/10 Kronen
Marco Schmedtje - 18
Hamburger Schauspielhaus, Wiener Burgtheater, die Band Zinoba mit Jan Plewka von Selig, vielgebuchter Studiomusiker - Marco Schmedtje ist so etwas wie verstecktes Gold in der deutschen Musiklandschaft. Sieben Jahre nach seinem Debütwerk erfreut er seine Fans nun mit dem Zweitwerk „18“ und zeigt sich darauf von seiner besten Seite, die in bester Folk- und Singer/Songwriter-Manier sänftelt und nur durch die deutschen Lyrics anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Interessant ist dabei das Konzept - die erste Albumhälfte besteht aus Songs der letzten beiden Jahre, die zweite Hälfte sind intime Sessions, die der Hamburger vor 18 (!) Jahren aus Liebeskummer in Berlin auf einem Vier-Spur-Rekorder aufnahm und jetzt quasi aus der Gruft buddelte. Manchmal geht das Material zwar arg gen Kitsch, aber als Seelenreinigung kann man das schon mal veröffentlichen. 6,5/10 Kronen
Till Seifert - Der beste Ort sind wir
Geschichten über das Leben, die eigene Vergangenheit und wie man erwachsen wird gibt es schon zuhauf. Dennoch gibt es immer noch Möglichkeiten, sich Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. Till Seifert hat für sein Debütalbum „Der beste Ort sind wir“ einen wahren Promomarathon zurückgelegt und muss nun trotzdem einsehen, dass Corona einen längeren Atem hat als das perfekte Veröffentlichungstiming. Fernab von neumodernen Instagram-Klischees oder trendigen Rap-Autotune-Versatzstücken bietet der junge Künstler handgemachte Popsongs an, die nicht ganz so kitschig klingen wie Adel Tawil und Andreas Bourani, sich aber trotzdem nicht ausreichend vom Klischeepop unseres Nachbarlandes emanzipieren können. Die Hoffnung stirbt zuletzt, das wird hier Mainstream-tauglich einmal mehr klargemacht. Ein Album für all jene, denen Joris‘ Outputs noch zu wenig sind. 6/10 Kronen
Shamir - Shamir
Die Single „On The Regular“ hat es vor sechs Jahren schon angekündigt - mit dem nichtbinären Vollblutmusiker Shamir erobert gerade ein ganz großes und innovatives Talent die internationale Rockszene. Das Feinschmecker-Label XL Recordings hat die Fühler schnell ausgestreckt und das 2015er Debütwerk „Ratchet“ erfüllte die hohen Erwartungen bravourös. Nach dem Label-Split folgten zahlreiche experimentelle Alben, aber mit dem selbstbetitelten „Shamir“ scheint sich nun tatsächlich so etwas wie eine bleibende Richtung zu entwickeln. Die biografischen Songs wie „Diet“, „Running“ oder „Paranoia“ sprechen auf ernste Themen an, werden aber meist in sehr leichtfüßige Pop-Melodien verpackt, die mal barock klingen, mal auch an den leichten Rock der 90er-Jahre gemahnen. „Shamir“ ist ein Werk der Zeitlosigkeit und Lebensfreude, das Empowerment nicht nur schreibt, sondern lebt. 7,5/10 Kronen
William Shatner - The Blues
Man mag es eigentlich nicht wahrhaben, aber „Captain Kirk“ William Shatner feiert in einem halben Jahr seinen 90. Geburtstag. Dass das nicht unbedingt mit der Pension gleichzusetzen ist, beweist er eindrucksvoll auf seinem achten Musikalbum „The Blues“. In jedem seiner Alben tauchte Shatner bislang in ein anderes Genre ein, hier scheint aber mehr Spaß zu haben als je zuvor, was sicher auch an einer illustren Liste großer Künstler liegt, die ihm unterstützend unter die Arme greift. Etwas Deep Purple-Legende Ritchie Blackmore bei „The Thrill Is Gone“, Brad Paisley bei „Sweet Home Chicago“, Ronnie Earl bei „Mannish Boy“ oder James Burton in „Crossroads“. Mit der dunklen Altherren-Stimme ergibt sich auch eine besondere Atmosphäre, die den Songs sehr gut steht. Bleibt nur zu hoffen, dass wir den Kultstar noch lange unter uns haben. Ohne Bewertung
Six Feet Under - Nightmares Of The Decomposed
Wenn der Niedergang im Death Metal einen Namen hat, dann trägt er den von Chris Barnes. Bei Cannibal Corpse Anfang der 90er-Jahre gefeiert, dann aber recht schnell durch ungebührliches Verhalten, krude Verschwörungstheorien und vor allem grottenschlechte Musik am Boden der Tatsachen gelandet. „Nightmares Of The Decomposed“, wenn man die unwürdigen Cover-Alben dazurechnet, ist das 17. Album der Band und so lang langweilig und austauschbar wie die letzten 13. Dass Gitarrist Jack Owen in Interviews zudem sagt, er habe die Genre-Konkurrenz Deicide auch mitunter deshalb verlassen, weil hier alles einfacher ist, spricht Bände. Barnes‘ Stimme spottet jeder Beschreibung und das Songwriting beleidigt sogar Amateure. Wirklich nur was für treue Langzeitfans und Allessammler, ansonsten kann man SFU längst in die Tonne kippen. 2/10 Kronen
Sufjan Stevens - The Ascension
Man braucht sich nicht nur das erste TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden verinnerlichen um zu wissen, dass die einstige Weltmacht momentan am Stock kriecht. Wie schlimm es um die USA steht haben von Bob Dylan über Bon Jovi bis hin zu Run The Jewels alle möglichen Künstler festgestellt, selbst Sufjan Stevens hat vor einigen Monaten mit seinem zwölfminütigen Klagelied „America“ den Niedergang seiner stolzen Heimat beklagt. Fünf Jahre nach dem intimen „Carrie & Lowell“ wählt Stevens auf „The Ascension“ einen anderen Weg. Sein Verhältnis zu Gott, die Liebe zur Welt und die Angst vor dem Tod handelt er nun mit viel Elektronik ab, lässt die persönlichen Geschichten als von deutlich mehr Kälte umrahmen. An den 80er-Synthies kommt auch ein Quertreiber wie Stevens nicht vorbei, aber er wäre nicht ein derartiges Genie, würde ihm nicht auch dieser Sound sensationell gut zu Gesicht stehen. Das Animal Collective steht hier durchaus Pate, und das ist freilich als Kompliment zu betrachten. 8/10 Kronen
Sumac - May You Be Held
„A Prayer For Your Path“ - ein fast sechs Minuten langes Intro mit Feedback-Schleifen, Klangderivaten und kaskadenhaften Soundspuren. Easy listening ist anders. Dann folgt die Single-Auskoppelung und der Titeltrack „May You Be Held“. Fast 20 Minuten lang reiht sich Riff an Riff, werden dissonante Ecken ausgelotet und findet man sich im steten Wechselspiel zwischen geisterhafter Stille und harschen Ausbrüchen wieder. Sumac sind Schwergewichte, das weiß man seit ihrer Gründung vor gut sechs Jahren. Die überlangen Songs auf ihrem Viertwerk evozieren eine brutale Katharsis und wenn Frontmann Aaron Turner - selten aber doch - mit dem brachialen Gesang einsetzt, dann würde man am liebsten reißausnehmen. Bei „Laughter And Silence“ wird man am Ende endgültig in den Sog des Abgrunds gezogen. Was für eine irre Abfahrt. 7,5/10 Kronen
Teenanger - Good Time
Kurz und bündig, so lässt sich „Good Time“ von Teenanger am besten umschreiben. Die Post-Punker aus Toronto sind keine Frischlinge mehr und verrichten ihr durchaus spannendes Werk schon seit 2007, auf dem aktuellen Output ist man nach acht relativ kurzen Songs aber auch schon wieder durch. Man muss ihnen aber zugutehalten, dass sie sich nicht zu sehr auf den Underground-Lorbeeren ausruhen, sondern durchaus in neue Gefilde vordringen. Natürlich sind die Joy Division-Einflüsse in Songs wie „Beige“ oder „Pleasure“ nicht wegzuleugnen, doch die wettergegerbten Kultkompositionen aus Manchester als reine Vorlage heranzuziehen, würde den Kanadiern nicht gerecht werden. Die Songs versprühen prinzipiell gute Laune und animieren zum vorsichtigen Tanz. Mehr sollt zu Corona-Zeiten auch nicht passieren. Schönes, entschlacktes Werk. 7/10 Kronen
Tingvall Trio - Dance
Der schwedische Starpianist Martin Tingvall, der kubanische Kontrabassist Omar Rodriguez Calvo und der deutsche Schlagzeuger Jürgen Spiegel ergeben das Tingvall Trio, das seit geraumer Zeit von Hamburg aus operiert, um gediegene Jazz-Rhythmen in einer möglichst breiten Gesellschaftsschicht vordringen zu lassen. „Dance“ soll als Reise quer über den Globus verstanden werden, was gerade in Zeiten des Grenzenhochziehens und erzwungenen Daheimbleibens zu wohligen Gedankenspielen lädt. Corona führte aber dazu, dass die Musiker dieses Mal für sich an den Songs arbeiten mussten, was man den sanften Arrangements in Songs wie „Arabic Slow Dance“, dem elegischen „Cuban SMS“ oder „Bolero“ zu keiner Zeit anhört. Es ist nicht zuletzt dem Können der Ausnahmeinstrumentalisten zu verdanken, dass man sich als Hörer in eine derart lebendige Soundwelt imaginieren kann. Ein Album für den herbstlichen Teegenuss. 7/10 Kronen
Trident - North
Totgesagte leben länger, das ist nicht nur im Sport, sondern auch in der Kultur gemeinhin bekannt. Die Schweden von Trident veröffentlichten vor exakt zehn Jahren mit „World Destruction“ ein durchaus adäquates Black/Death-Album, scheiterten dann aber wohl auch an ihrem Sänger Tobias Sidegård, der sich gewalttätig an Frau und Kind verging und vor sieben Jahren nicht nur mehrere Jobs in der Szene verlor, sondern auch diesem Projekt den Wind aus den Segeln nahm. Mit dem Feuer und der Kompositionskunst der oft als „Schwesternband“ bezeichneten Necrophobic haben Trident schon gar nichts zu tun. „North“ ist ein bemühter Versuch, die Nostalgie der eigenen Band und eines ganzen Genres in klirrender Kälte heraufzubeschwören, gerät mit einer Stunde Spielzeit und vielen langweiligen Songs leider viel zu belanglos. Solide, aber Naglfar, Lord Belial, Diabolical und Co. können das schon etwas besser. 6/10 Kronen
Kurt Vile - Speed, Sound, Lonely KV
Wie klingt das eigentlich, wenn zwei absolute Götter des handgefertigten „American-Sounds“ zusammenarbeiten? Nun, das weiß man spätestens seit wenigen Tagen, als Slacker-König Kurt Vile sein Duett „How Lucky“ mit dem tragisch an Corona verstorbenen John Prine online stellte und damit die ganze Genre-Welt in Schnappatmung versetzte. Über vier Jahre hinweg nahm Vile in Prines Studio in Nashville immer wieder Songs mit Schwergewichten wie Dan Auerbach (Black Keys), Bobby Wood, Kenny Malone oder Matt Sweeney auf. Man muss nicht extra erwähnen, dass vor allem die Cover-Versionen der Prine-Klassiker „Speed Of The Lound Of Loneliness“ und das Duett eine besondere Wirkung entfachen, Vile sich aber auch mit zwei frischen Eigenkompositionen zu inszenieren weiß. Was der Mann berührt, wird beständig zu Gold. Ohne Bewertung
Andreas Vollenweider - Quiet Places
Als der Schweizer Andreas Vollenweider 1981 auf dem renommierten Montreaux Jazz Festival reüssierte, konnte noch kaum jemand ahnen, dass er die Harfe „cool“ machen sollte. Nach Auftritten in allen großen Locations der Welt, unzähligen Awards und Weltruhm in seinem Gebiet, hat er sich nun mit einem 450-seitigen Roman einen weiteren Lebenstraum erfüllt. Diesem Band stellt er mit „Quiet Places“ nun ein besonders filigranes Kammermusikstück zur Seite, das sich wohlig zwischen Piano, Harfe, Percussion und Schlagzeug bewegt und zwischendurch auch mit der Schwere eines Cellos zu überzeugen weiß. Die Leichtigkeit von Songs wie „Sculpture“ oder „The Pyramidians“ ist beeindruckend und seine rein instrumentale Klangästhetik nicht weit von der Atmosphäre eines Mike Oldfield entfernt. Ein Album zum Schwelgen und Genießen. 7,5/10 Kronen
Wandl - Womb
Als der Wiener Produzent und Musiker Wandl vor drei Jahren mit seinem Debütalbum „It’s All Good Tho“ auftauchte, traute man seinen Ohren nicht. Gerade aus Österreich kommend hielt man eine derart progressive Zugangsweise zum verträumt-elektronischen R&B wohl eher für unmöglich. Danach lernte er u.a. den Berliner Produzenten Torky Tork kennen, mit dem sich eine durchaus fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte. Die erste Single „Altbautraum“ etwa, die mit ihrer fast schon luziden Art, Klänge zu einem großen Ganzen zusammenzufassen, sinnbildlich für das melancholische Zweitwerk „Womb“ steht. Dank Corona hat Wandl Musik auch nicht ausschließlich um des Herzeigenswillen, sondern aus völlig freien Stücken gemacht, was man den Kompositionen auch anhört. Hochs und Tiefs halten sich die Waage, als roter Faden bleibt aber eine Atmosphäre, die man mit nichts vergleichen kann. Spannendes Teil! 7/10 Kronen
Working Men’s Club - Working Men’s Club
Man kennt das - anfangs ist man von einer neu aufkommenden Welle begeistert, freut sich über die frische Brise, die durch eine Szene weht, aber dann häufen sich die Epigonen und plötzlich ist man überflutet mit den immer gleich klingenden Sounds. Das droht langsam aber sicher dem britischen Post-Punk-Revival, das sich zwischen den Idles und Shame längst in die Köpfe der popkulturellen Liebhaber gesetzt hat. Aber keine Sorge, es gibt auch noch die guten, frischen Bands. Etwa Working Men’s Club, benannt nach den Arbeitervereinigungen in Großbritannien, welche die Bandmitglieder als Anlaufstelle dienten, um der tristen Provinz zu entkommen. Das tun sie nun auch musikalisch und legen ein mehr als famoses Debütwerk vor. Mit einem Drumcomputer, wabernden Synthis und einer hallenden Stimme ordnet man sich irgendwo zwischen dem Nihilismus der Fat White Family und der Grandezza von The Human League ein. Ein Volltreffer, der Lust auf mehr macht. 7,5/10 Kronen
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