„Lasst Kinder in Ruhe“

Märchenbuch überschreitet bei Orban „rote Linie“

Ausland
04.10.2020 12:33

Ein Märchenbuch erhitzt derzeit Ungarns Gemüter - allen voran jenes von Ministerpräsident Viktor Orban. Der Grund: Das Buch „Märchenland für alle“ erzählt bekannte Geschichten mit Helden, die laut Verlag „in Hinblick auf die heutigen ungarischen sozialen Normen an den Rand gedrängt“ wurden. Dass darin noch dazu die „Vielfalt der Welt“ gefeiert wird, etwa mit einem lesbischen Aschenputtel, ist für den rechtsnationalen Politiker offenbar zu viel. Er sieht eine „rote Linie“ überschritten.

Ausgelöst hatte die Debatte um das Buch die Abgeordnete Dora Duro, zugleich Vize-Präsidentin der rechtsextremen Partei Mi Hazank (Unsere Heimat), als sie am letzten Freitag auf einer Pressekonferenz in Budapest ein Exemplar des Kinderbuches mit einem Aktenvernichter zerschredderte. Das Buch, dessen Herausgeber die Lesben-Vereinigung Labrisz ist, erzählt bekannte Märchen neu, indem es etwa in Armut lebende Kinder, Kinder mit Behinderung, Opfer von häuslicher Gewalt, Homo- und Transexuelle zu den Helden und Heldinnen der Geschichten macht. Die Autoren wollen damit laut eigenen Angaben „unter Vermeidung von Stereotypen zeigen, wie das Leben von Angehörigen von Minderheiten aussieht“ und somit für diese eine Akzeptanz schaffen.

(Bild: labrisz.hu)

„Lasst unsere Kinder in Ruhe!“
Zumindest bei Duro (Bild unten) dürfte dies nicht gelungen sein. Geschichten, in denen sich zwei Könige ineinander verliebten oder eine Person ihr Geschlecht umwandle, seien nicht Teil der ungarischen Kultur, erklärte sie - und erntete dafür nun Verständnis von Ministerpräsident Orban. Nach seiner Meinung zu dem Kinderbuch befragt, antwortete der rechtsnationale Politiker am Sonntag im staatlichen Rundfunk: „Die Ungarn sind gegenüber diesem Phänomen (der Homosexualität) geduldig.“ Doch dabei gebe es eine „rote Linie“, fügte er hinzu: „Lasst unsere Kinder in Ruhe!“

Buch auf Platz eins
Völlig überraschend kommt Orbans Aussage nicht. Erst im Mai ließ er vom Parlament ein Gesetz beschließen, das die Rechte von Trans-Personen und intersexuellen Menschen einschränkt. So können sie nach einer Geschlechtsumwandlung ihr bei der Geburt eingetragenes biologisches Geschlecht in ihren Dokumenten nicht mehr ändern. Den Verkäufen des Buches dürften die Debatten um dieses indes eher nutzen als schaden. In den Verkaufs-Charts des ungarischen Buchhändlers Book24.hu rangierte das Kinderbuch am Sonntagmittag auf Platz eins.

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