Lesen, Schreiben, Rechnen - und Informatik: Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, einen Computer bedienen zu können. Sie hat aber auch gezeigt, dass der schnelle Wechsel in Videokonferenzen und Fernunterricht nicht überall problemlos funktioniert hat. Das wirft die Fragen auf, wie gut die Schule uns aufs digitale Leben vorbereitet, was man am Ende der Schulzeit am Computer können muss und wo man noch nachbessern sollte. Wir haben bei Wilfried Seyruck, dem Präsidenten der österreichischen Computer Gesellschaft OCG, nachgefragt.
Die OCG bietet in Österreich den Europäischen Computer Führerschein ECDL an - ein anerkanntes Zertifikat für IT-Kompetenzen, das in Schulen und Testzentren abgeprüft wird und IT-Basisfertigkeiten, aber auch spezielleres Know-how zu Bildbearbeitung, Website-Gestaltung oder computergestützten Designanwendungen verbrieft.
Auch Wettbewerbe für Schüler und Studenten richtet die OCG aus, weiß also um den IT-Wissensstand der heimischen Jugend. Wir haben mit OCG-Präsident Seyruck, der als Chef der Linzer Software-Firma Programmierfabrik die Fertigkeiten junger Österreicher auch gut aus der Praxis kennt, über den Stand der Dinge bei der IT-Ausbildung gesprochen. Zeitgemäß via Microsoft Teams, versteht sich.
„Krone“: Wie beurteilen Sie die Informatikausbildung an Österreichs Schulen?
Wilfried Seyruck: Ich glaube, der wichtigste Punkt wäre, dass wir früh mit etwas beginnen, das es in aller Welt schon gibt: „Computational Thinking“. Das ist eine Denkschule für Problemlösungen - eine, die für das ganze Leben wichtig ist. Dabei soll geschult werden, zu analysieren, zu abstrahieren und zu verallgemeinern. Man lernt das, indem man Problemstellungen löst und kann damit schon früh anfangen - am besten schon in der Volksschule, weil man dafür quasi nichts braucht beziehungsweise mit einfachsten Hilfsmitteln arbeiten kann.
Wir beobachten, dass es unter den 13- bis 14-Jährigen viele Mädchen gibt, die gut in Informatik sind, wegen alter Rollenbilder dann aber leider in andere Berufe gehen.
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Es gibt dazu auch außerschulische Initiativen, zum Beispiel „Computerscience Unplugged“ oder den „Biber der Informatik“ - ein Wettbewerb für Kinder ab acht für alle Schulstufen, an dem jedes Jahr 2,6 Millionen Schüler aus aller Welt teilnehmen. In Österreich sind es 33.000, unter denen die Mädchen übrigens genauso gut abschneiden wie die Burschen. Überhaupt beobachten wir, dass es unter den 13- bis 14-Jährigen viele Mädchen gibt, die gut in Informatik sind, wegen alter Rollenbilder dann aber leider in andere Berufe gehen. Was wir immer noch sehen ist auch, dass die Anwenderkenntnisse nach der Schule oft nicht gut genug sind - gerade für ein Industrieland wie Österreich. Schulen, die den ECDL pushen, tun sich hier leichter, das ist ein super Nachweis dafür, dass man etwas kann. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Schultypen, aber das „Computational Thinking“ betrachten wir als Kulturtechnik, die man am Ende der Ausbildung können soll, damit keine digitale Zweiklassengesellschaft entsteht. Es geht hier letztlich um Hilfe zur Selbsthilfe.
„Computational Thinking“ ist Teil der „digitalen Grundbildung“, die seit dem Schuljahr 2018/2019 in den Lehrplänen für 10- bis 14-Jährige vorgesehen ist. Ein eigenes Fach hat man dafür aber nicht eingeführt - wäre das sinnvoll?
Ich glaube schon, dass ein eigenes Schulfach gut wäre, um diese Kenntnisse zu entwickeln. Entscheidender Punkt sind hier aber die Problemlösungen: Man kann mit Tools wie Scratch mit einfachsten Mitteln programmieren lernen und das auch gut in anderen Fächern verwenden und zum Beispiel einen Bericht damit schreiben.
Welche Rolle spielen außerschulische Angebote bei der Wissensvermittlung?
Angebote wie das CoderDojo (kostenlose, regelmäßig von ehrenamtlichen Mentoren organisierte Programmier-Kurse, Anm.) sind etwas, wo man die Freude junger Leute beim Programmieren sieht. Das ist ein tolles Angebot für alle Altersklassen. Wenn sie bei so etwas dabei sind, sehen sie nach anderthalb Stunden konzentrierter Arbeit ihre Erfolge und Ergebnisse, die Kinder haben daran viel Freude. Sie sind aber kein Ersatz.
Wenn wir aus Corona etwas gelernt haben, dann, dass Schulen, die schon bisher viel mit digitalen Medien gearbeitet haben, sich deutlich leichter getan haben. Die haben einfach weitergemacht.
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Wenn wir aus Corona etwas gelernt haben, dann, dass Schulen, die schon bisher viel mit digitalen Medien gearbeitet haben, sich deutlich leichter getan haben. Die haben einfach weitergemacht. Eine Eins-zu-Eins-Umsetzung des normalen Unterrichts ins E-Learning ist aber ohnehin keine Lösung, da muss man Mischformen finden, ein „Blended Learning“, besonders in sehr heterogenen Klassen. Hier sollte man evaluieren, was die Schüler können und bei Bedarf noch einmal gezielt fördern, so dass am Ende alle eine Basisausbildung haben. Es soll keine Verlierer geben - auch nicht bei den Lernmaterialien. Wir hatten eine ECDL-Schule in der Steiermark, in der eine Schülerin keinen Laptop hatte. Da ist die Lehrerin eingesprungen und hat der Schülerin ihr privates Notebook geborgt, das war rührend. Sonst sind solche Schüler verloren, die versumpfen und haben keine Chancengleichheit.
Apropos Notebook: Wie steht es denn um die IT-Ausstattung bei den Schülern? Was braucht es denn, um IT-Kompetenz zu erwerben?
Für „Computational Thinking“ braucht man im Prinzip gar nichts und für sehr viel reicht heute ein Browser. Weil alles in der Cloud ist, kommt man auch mit einfacheren Rechnern zurecht. In den USA ist da Google sehr verbreitet, aber Microsoft zieht gut nach. Microsoft hat auch eine Berechtigung, weil man können soll, was man später im Berufsalltag braucht, da gibt es ja gewisse digitale Anwenderkenntnisse.
Man sollte Unterschiede zwischen Schultypen beachten: HTL-Schüler brauchen zum Beispiel eher einen High-End-Rechner. Die wollen das auch: Wenn ich mir da eine Klasse anschaue, haben die alle gute Geräte.
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Man braucht also kein High-End-Gerät, keinen Gaming-PC. Man sollte Basisanforderungen definieren und laufend überarbeiten. In der Informatik ändert sich das ja schnell: Die Technik schreitet voran und soll nicht einschränkend werden. Die Welt soll bunt bleiben, man sollte auch keine Hersteller ausgrenzen. Man sollte außerdem Unterschiede zwischen Schultypen beachten: HTL-Schüler brauchen zum Beispiel eher einen High-End-Rechner. Die wollen das auch: Wenn ich mir da eine Klasse anschaue, dann haben die alle gute Geräte. Wichtig sind auch gemeinsame Plattformen, aber heute ist eh alles in der Cloud. Klar ist aber auch: Wenn ich Textverarbeitung betreibe, brauche ich eine Tastatur. Und wer viel vor dem Gerät sitzt, sollte kein 7-Zoll-Tablet nutzen.
Und wie sollte die Beschaffung und Finanzierung umgesetzt werden?
Ich glaube, hier ist es sinnvoll, Investitionen zu nützen, die die Eltern vielleicht schon getätigt haben. Wenn ein Schüler einen Laptop hat, warum sollte er den wegwerfen und ein von der Schule bestimmtes Modell nutzen? Vor diesem Hintergrund finde ich die Initiative der Bundesregierung gut, ein vernünftiges Fördermodell einzuführen, damit es möglich ist, die Ausstattung zu kaufen, die man braucht.
Wer nicht in einem Ballungsraum wohnt, soll nicht im Nachteil sein. Natürlich wird ein gutes Netz nicht nur für Schulinhalte genutzt, trotzdem gilt: Je schneller die Internetversorgung in Österreich insgesamt wird, umso besser!
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Genauso wichtig wie der Computer ist heute übrigens eine vernünftige Internetanbindung: Wer nicht in einem Ballungsraum wohnt, soll nicht im Nachteil sein. Natürlich wird ein gutes Netz nicht nur für Schulinhalte genutzt, trotzdem gilt: Je schneller die Internetversorgung in Österreich insgesamt wird, umso besser!
Wie steht es um die Ausstattung an den Schulen selbst?
Da ist man immer ein Stück weit hinten, einfach, weil alles so schnelllebig ist. Ein Computer ist nach drei Jahren veraltet, das muss man berücksichtigen. Es wird aber leichter, je mehr sich alles in die Cloud verlagert. Je mehr Rechenleistung in der Cloud zugänglich ist, umso weniger oft hat man Aufrüst-Bedarf. Wirklich wichtig ist aber die Netzwerkverbindung, hier muss die Ausstattung stimmen!
Wie wichtig eine vernünftige Internetleitung ist, hat der Lockdown gezeigt. Wie haben sich Österreichs Schulen denn beim E-Learning geschlagen?
Manche mussten sich die Verwendung dieser Tools wie Microsoft Teams sehr schnell aneignen. Manche Lehrer nutzten vorher keine digitalen Methoden, die mussten erst die „Basics“ lernen. Das hat teils absurde Situationen erzeugt - etwa Lehrer, die gedruckte Arbeitsblätter scannen, den Schülern zum Ausdrucken schicken und dann einen Scan des ausgefüllten Formulars zurückgeschickt haben wollten. Wichtig wäre also, dass sich die Lehrer auf so etwas vorbereiten und sich fragen: Wie kann ich Computer sinnvoll in den Unterricht einbauen?
Wie schätzen Sie denn die IT-Kenntnisse der heimischen Lehrkräfte generell ein? Gibt es da Unterschiede je nach Altersgruppe?
Nein, das hat gar nichts mit dem Alter zu tun, ich weiß von einer Bekannten an der Pädagogischen Hochschule (PH), dass gerade Ältere sich sehr für das Thema interessieren. Sie verlieren auch schnell die Scheu und wollen neue Dinge ausprobieren. An den PHs geht man stark darauf ein. Manche haben es aber auch nie gelernt, vielleicht, weil es doch ein Aufwand ist. Diese Personen sollte man nötigenfalls mit einem maßgeschneiderten Angebot zusätzlich motivieren. Da wären eigene Angebote für Ältere nötig, am besten dort, wo man die Möglichkeiten dafür hat - etwa an den PHs. Man sollte gezielt Lehrer mit ähnlichem Wissensstand fortbilden.
Die Lehrkräfte haben eine extrem wichtige Funktion, sie müssen immerhin die künftige Generation ausbilden, die uns ernährt.
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Generell haben die Lehrkräfte eine extrem wichtige Funktion, sie müssen immerhin die künftige Generation ausbilden, die uns ernährt. Sie stehen allein in der Klasse und müssen dort das Wissen nützen, das sie haben. Das muss man sich trauen. Dafür muss es passende Angebote geben und man muss die Bedürfnisse erkennen - etwa, indem man Direktoren einbezieht oder die Bildungsdirektionen. Es geht darum, dass die Lehrer die Vorteile der Technik sehen, wie sie damit ihren Unterricht spannend gestalten können.
Scheitert es auch an der Ausstattung? Dienst-Laptops für Lehrer gibt es nicht und das Lehrerzimmer glänzt meist auch nicht mit Hightech.
Sicher brauchen auch die Lehrer eine gute Ausstattung. Hier hat sich aber schon viel getan, PCs und Whiteboards gibt es heute schon in vielen Klassen und auch mit Beamern und Touchscreen-Geräten kann man im Unterricht viel machen.
Ganz allgemein: Was muss ein Schüler am Ende der Schulpflicht heute an IT-Kenntnissen haben, damit er gut ins Berufsleben starten kann?
Da gibt es den DigiCheck 8, der sich stark mit dem ECDL deckt und laut dem man gewisse Anwenderkenntnisse haben und auch die Gefahren der IT kennen sollte. Wenn möglich, sollte man auch den Europäischen Computer Führerschein ECDL gemacht haben. So wie früher ein Auto-Führerschein in den Lebenslauf gehört hat, gehört heute der ECDL hinein. Das ist eine Kulturtechnik, die man können muss. Medienkompetenz sollte man auch mitbringen und wissen, wie man an seriöse relevante Informationen kommt und welchen Quellen man vertrauen kann. So verliert man die Furcht vor Fehlern und traut sich auch eher, etwas auszuprobieren.
Als Hightech-Land müssen wir uns bewusst sein: Wer hohe Gehälter zahlt, muss auch gute Leute haben.
OCG-Präsident Wilfried Seyruck
Heutige Lehrlinge bringen einen guten Grundstock an Anwenderkenntnissen mit, können Textverarbeitung, Powerpoint und dergleichen. Es geht aber auch darum, schnell zu sein und zum Beispiel das 10-Finger-System gut zu beherrschen. Es müssen aus unseren Schulen Leute kommen, die sehr gut sind. Als Hightech-Land müssen wir uns bewusst sein: Wer hohe Gehälter zahlt, muss auch gute Leute haben.
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