MAN-Betriebsrat
Können Sie diesen Kampf gewinnen, Herr Schwarz?
2456 Arbeiter setzen alle Hoffnung in ihn: Mit Conny Bischofberger spricht Erich Schwarz, Betriebsrat im MAN-Werk in Steyr, über die drohende Schließung, gebrochene Versprechen und eine brutale Auseinandersetzung - Streik inklusive.
Mit seinen 500.000 Quadratmetern Produktionsfläche wirkt das MAN-Werk in Steyr wie ein eigener Stadtteil. Lkws wohin das Auge reicht. Vom 1. Stock, wo Betriebsratsobmann Erich Schwarz sein Büro hat, sieht man auf eine der 30 Meter hohen Lagerhallen. Stolz stellt uns der oberste Gewerkschafter auch seine Stellvertreter vor, er zieht keine „One-Man-Show“ ab. „Die Stimmung ist gedrückt“, sagt er, davon ist jedoch bei seiner Führung durch die Werkshallen nichts zu spüren. Alle Arbeiter an den Fließbändern schenken „dem Erich“ ein Lächeln. Seit der deutsche Mutterkonzern angekündigt hat, die Produktion von Österreich nach Polen zu verlagern, trägt der fast 65-Jährige Verantwortung für 2456 Arbeitsplätze. Nächsten Donnerstag geht Schwarz mit seinen Arbeitern und Arbeiterinnen (15 Prozent der Belegschaft sind Frauen) auf die Straße.
Sie sind seit 30 Jahren Betriebsrat, so lange gibt es das MAN-Werk in Steyr. Hätten Sie sich gedacht, dass es einmal zu einer so katastrophalen Situation kommen könnte?
Nein, weil wir ja alle drei Monate Aufsichtsratssitzung hatten und dort unsere Ergebnisse präsentiert haben. Wie sieht der Umsatz aus, wie hoch ist der Gewinn? Wir haben jedes Jahr Gewinn geschrieben. Sogar im abgelaufenen Jahr, vor dem Lockdown, betrug er noch 20 Millionen, da sind die Gewinnsteuern schon abgezogen. Und darum bin ich nicht davon ausgegangen, dass es einmal so weit kommen könnte.
War Corona Schuld?
Nein, das hat die Situation höchstens verschärft. Schuld war, dass die Restrukturierung, die 2015 beschlossen wurde, nicht aufgegangen ist. Auch die Entwicklungskosten, die das Management bündeln hätte müssen, bleiben jetzt bei MAN hängen. Da hat sich das Unternehmen einfach verkalkuliert. An Missständen sind aber bestimmt nicht unsere Arbeiter Schuld. Außerdem haben wir eine Standortgarantie.
Wie lautet die?
Zunächst gab es einen Standort- und Beschäftigungssicherungs-Vertrag, der 2015 für drei Jahre abgeschlossen wurde. Bis dahin hätte die Umstrukturierung abgeschlossen sein sollen. Dann kam der Dieselgate-Skandal. Wir haben dann einen Vertrag bis Ende 2030 abgeschlossen. Standortgarantie gegen Mehrproduktion, das war der Deal. Wir haben uns daran gehalten und seit 2007 täglich einen Lkw mehr produziert.
Standortgarantie gegen Mehrproduktion, das war der Deal. Wir haben uns daran gehalten und seit 2007 täglich einen Lkw mehr produziert.
MAN-Betriebsrat Erich Schwarz
Wieviel hat das dem Konzern gebracht?
Ein Lkw kostet zwischen 47.000 und 58.000 Euro. Das kann man sich ausrechnen. Wir haben mit der gleichen Mannschaft jeden Tag so einen Lkw zusätzlich produziert, dafür hat jeder Arbeitszeit bzw. Pausen geopfert.
Was ist dann passiert?
Der Vorstand in Deutschland hat uns am 10. Jänner mitgeteilt, dass insgesamt 6000 Mitarbeiter im administrativen Bereich abgebaut werden. Auf unsere Frage, was das für Steyr mit der Standortgarantie bedeutet, haben uns die damaligen Vorstände gesagt: „Wir ehren unsere Unterschrift.“ Aber das war gelogen.
Wann und wie haben Sie von der geplanten Schließung erfahren?
Am 11. März aus dem Handelsblatt. Ende Mai hatten wir dann eine Aufsichtsratssitzung per Skype, damals sagten uns die Vorstände, wir sollten nicht alles glauben, was in den Medien steht.
Sind Sie nicht sehr wütend?
Auf diese Vorstände schon, sie mussten ja mittlerweile auch gehen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie keine Ehrenmänner sind. Ich könnte das nicht: Wenn ich in der Früh in den Spiegel schauen müsste und alle angelogen hätte, dann würde ich mich anspeiben. Sie sagen, sie ehren ihre Unterschrift und drei Monate später ist alles nichts mehr wert.
Die alten Vorstände haben uns eiskalt angelogen. Ihre Unterschrift war nichts Wert. Und dafür haben sie fünf Millionen Euro pro Jahr kassiert.
Schwarz über gebrochene Versprechen bei MAN
Was werden Sie jetzt machen?
Wir prüfen eine Klage. Aus unserer Sicht müsste unser Vertrag halten. Es steht natürlich eine Wirtschaftsklausel drin, aber für Fehler im Management dürfte die eigentlich aus unserer Sicht nicht gemacht sein. Und wir gehen am kommenden Donnerstag auf die Straße. Warnstreik!
Was wollen Sie damit bewirken?
Wir werden vom Tor 1 hinunter auf den Stadtplatz marschieren, dort steht einer unserer Lkws, wir werden unsere Versammlung abhalten und unseren Protest äußern. Die Öffentlichkeit soll erfahren, mit welchen Methoden das Management agiert, Verträge einfach aufkündigt. Die hätten auch einmal verhandeln können! Aber nein, das Motto war: Zack, zack! Friss oder stirb!
Können Sie diesen Kampf gewinnen?
Ja, davon bin ich überzeugt. Das Konzept, das uns die neuen Vorstände vorgelegt haben, ist für uns überhaupt nicht schlüssig. Wenn das so umgesetzt wird, brüllt der Löwe (Anm.: Das Logo von MAN) in fünf Jahren nicht mehr. Schauen Sie runter in die Hallen, wo die Lkws gefertigt werden. Niemand kann das besser als wir, letztlich auch nicht billiger. Denn wenn das alles nach Krakau wandert, dann sind die Löhne vielleicht ein bisschen geringer, aber das frisst dafür der logistische Mehraufwand wieder auf. Und dafür sollen 2456 Menschen ihren Job verlieren? Für viele würde eine Welt zusammenbrechen.
Glauben Sie wirklich, dass Sie die neuen Vorstände umstimmen können?
Das wird schwierig sein. Aber mit der IG Metall, mit unserer Gewerkschaft und auch mit den Betriebsräten bis hinauf in den VW-Konzern besitzen wir die Kraft, gemeinsam ein neues Konzept auszuarbeiten. Dass gespart werden muss, ist keine Frage. Aber bitte beim aufgeblähten Apparat im Konzern, nicht bei den kleinen Arbeitern.
Wie muss man sich den Job eines MAN-Arbeiters eigentlich vorstellen?
Das ist Schwerarbeit. Fließband, Akkord, Schichtbetrieb. Sogar fürs Klo brauchst du einen Springer. Unsere Leute arbeiten 8,67 Stunden am Tag, die Mittagspause beträgt 25 Minuten, die kleine Pause 15. Der Verdienst ist gut: 3800 brutto. Aber wir leisten auch sehr viel.
Und wie viel verdienen die Vorstände?
Fünf Millionen Euro pro Jahr. Dagegen habe ich nichts, wenn sie ihren Job gut machen.
Wer ist der Gegner bei diesem Kampf? Corona, Globalisierung, Digitalisierung?
Ich würde gar nicht von einem Gegner sprechen. Corona geht vorbei. Die Digitalisierung und damit eine neue Antriebstechnologie ist natürlich eine große Herausforderung. Unsere Gesellschaft verändert sich und damit auch die Arbeitswelt. Es wird in Zukunft darum gehen, Arbeit gerecht zu verteilen. Es können nicht die einen 40, 50 Stunden arbeiten und die anderen stehen auf der Straße.
Sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Ja. Weil es sonst immer mehr Menschen geben wird, die unter der Brücke schlafen und denen, die ein Einkommen haben, eins über die Rübe hauen. Soziale Unruhen, das ist eine große Gefahr.
Sie werden im Dezember 65. Da könnten Sie in Pension gehen.
Ja, das könnte ich. Aber ich bleibe natürlich da.
Am 31. Dezember könnte ich in Pension gehen. Aber ich bleibe natürlich da. Nicht bis zum bitteren Ende, sondern bis wir eine anständige Lösung haben.
MAN-Betriebsrat Schwarz über sein Engagement
Bis zum bitteren Ende?
Nein, sondern bis wir eine anständige Lösung haben.Ich gehe einmal davon aus, dass dieses Gelände kein Industriefriedhof werden wird.
Und wenn doch?
Dann würde ich mich fragen, ob die Entscheidungen, die ich in der Vergangenheit getroffen habe, die Richtigen waren … Ich müsste meine Arbeit radikal hinterfragen. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt.
Was würde eine Schließung für die Region bedeuten?
Das Werk hat eine 100-jährige Tradition. Es hängen nicht nur unsere Arbeitsplätze dran, sondern auch die der Zulieferer, da wären dann insgesamt sicher 5000 Menschen betroffen -vom Bäcker über den Elektriker bis zum Reinigungspersonal.
Was bedeutet Ihnen persönlich das Werk?
Es ist meine zweite Heimat. Nein, meine dritte. - Lacht. - Die erste Heimat ist meine Familie, die zweite mein Fußballverein, die dritte MAN. Ich habe hier fast 50 Jahre meines Lebens verbracht. Das kann jetzt nicht das Ende sein.
DREI JAHRZEHNTE AN DER SPITZE
Geboren am 10. 12. 1955 in Steyr, erlernter Beruf Spengler. Im Unternehmen seit 1971 (damals hieß es noch Steyr-Daimler-Puch), seit 1990 Betriebsrat für 2300 MAN-Arbeitnehmer. SPÖ-Mitglied seit 1978, in vielen Gewerkschaftsfunktionen tätig, u. a. ist der AK-Vizepräsident in Oberösterreich. In seiner Freizeit ist Schwarz auch Obmann eines Fußballvereins. Verheiratet seit 1995 mit der Gewerkschafterin Andrea, zwei erwachsene Kinder. Filip ist 27 und arbeitet ebenfalls bei MAN, Katja (25) studiert in Wien.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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