Schaffen wir es, den Klimawandel aufzuhalten? Von dieser Frage hängt laut Martin Stuchtey in Zukunft alles ab. In Tirol sieht der Experte noch ungenutztes Potenzial, sich als Leitmarke für Nachhaltigkeit zu etablieren. Der Wirtschaftswissenschaftler unterrichtet an der Uni Innsbruck „Nachhaltiges Ressourcenmanagement“ und ist Mitgründer der Firma „SYSTEMIQ“.
„Krone“: Welches Ziel verfolgt das Unternehmen SYSTEMIQ?
Martin Stuchtey: SYSTEMIQ ist eine Firma, deren Zweck die Erreichung der Pariser Klimaziele und der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen ist. Dazu müssen wir nicht nur ein bisschen umweltfreundlicher werden, sondern die großen ökonomischen Systeme, die derzeit unseren Wohlstand begründen, umdenken. Das ist ein schmerzhafter und schwieriger Strukturbruch.
Können Sie anhand eines Beispiels erklären, wie das Unternehmen arbeitet?
Zum Beispiel unser Energiesystem: Es muss nicht Schritt für Schritt etwas effizienter und sauberer werden, das zukünftige System muss systemisch anders sein. Andere Energieträger, andere Kapitalquellen, andere Akteure und andere Geschäftsmodelle. Kapitalmärkte, Politik, Unternehmen und Konsumenten sind sehr scheu, sich auf solche Strukturbrüche einzulassen und unsere Gesellschaft hat wenig Erfahrung darin, wie man Strukturbrüche beschleunigt und investierbar macht.
SYSTEMIQ entwickelt Übergangsszenarien von der alten zur neuen Ökonomie, unterstützt Innovationsführer und finanziert selbst Unternehmen – also eine Mischung aus „Think-“ und „Do-Thank“.
Sollte sich jeder mehr Gedanken um Ressourcen und die Umwelt machen?
Es geht hier um wichtige Fragen. Wie können wir unseren Wirtschaftsstandort sichern, Exporteur bleiben, unser Mobilitätssystem verbessern, mehr für unser Gesundheitssystem tun oder unsere Städte modernisieren? Meines Erachtens werden alle diese Politikfelder im 21. Jahrhundert von einer unausweichlichen Frage dominiert: Schaffen wir es, den Klimawandel aufzuhalten? Wir sind die letzte Generation, die den Ausgang dieser Fragestellung noch verändern kann.
Wie schlägt sich Tirol in Sachen Systemwandel?
Tirol ist meine Liebe, als Alpinist und Biobauer verbringe ich dort jede freie Minute. Aus wirtschaftlicher Sicht ist Tirol aber ein nicht eingehaltenes Verkaufsversprechen. Auf der einen Seite lebt es stark von seinem Naturraum, der alpine Charakter sowie die Ursprünglichkeit sind der stolz präsentierte Markenkern. Wenn man dann aber sieht, wie die Mobilität, Kreislaufführung, Flächenplanung oder Landwirtschaft betrieben werden, fühlt sich das nicht markenkonform an.
Die Schweiz oder skandinavische Länder machen etwa ein hochqualitatives und ökologisches Mobilitätssystem zu ihrer Marke. Ähnliche Möglichkeiten hat man in Tirol nicht, die Fahrt von Wörgl nach Lienz ist ein kleines Abenteuer. Dasselbe trifft auf die Landwirtschaft zu. Die Nachfrage nach lokalen Lebensmitteln wächst erheblich stärker als der Markt, darauf muss die Tiroler Landwirtschaft noch ausgerichtet werden – etwa durch mehr kleinbäuerliche Strukturen oder Vielfalt bei den Nutztierarten. Wenn es aber um den Übergang zu erneuerbaren Energien geht, ist Tirol mit der Wasserkraft, soweit schonend betrieben, gut im Rennen.
Als Einzelperson fühlt man sich in Umweltfragen oft machtlos - wie sehen Sie das?
Es ist natürlich nicht leicht, immer verantwortungsbewusste Konsumentscheidungen zu treffen. Nur Produkte zu kaufen, die man braucht und die gesund sind, ist ein guter Start. Wir brauchen eine neue Ästhetik und müssen anderen den „Coolness-Faktor“ eines verantwortlichen Nutzens vorleben, uns mehr als „Trendsetter“ statt als Verweigerer sehen.
Das ist auch das Interessante am Tesla: Den zu fahren ist weniger ein ökologisches als ein ästhetisches Statement. Um die Konsumgesellschaft zu überzeugen, müssen wir uns nicht nur um die Umwelt, sondern auch um Qualität und Schönheit bemühen. Uns hängen noch 30 Jahre Birkenstock-Sandalen an und da müssen wir raus.
Oft hört man in Zusammenhang mit dem Klima nur schlechte Nachrichten – haben Sie vielleicht auch ein paar Aufmunterungen?
„Es ist zu spät, um Pessimist zu sein“, heißt es ja so schön. Ich bin optimistisch und überzeugt, dass Wohlstand im Rahmen eines 1,5-Grad-Ziels machbar ist. Das erfordert jedoch einen Umbau, bei dem jeder mitmachen sollte. Egal, welchen Beruf wir haben, wir müssen uns in den Dienst einer klimaneutralen Gesellschaft stellen.
Und wir haben einen großen Freund - unser Planet verfügt über gewaltige Resilienzreserven. Wenn wir beginnen, Ökosysteme, Böden und Ozeane in großem Umfang zu regenerieren, dann ließe sich das Klima wieder stabilisieren. Dazu müssen wir nicht von der Vision eines guten Lebens Abschied nehmen - Wohlstand unter den Bedingungen des Klimawandels bricht aber mit allem, was wir kennen.
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