Ein Freitagabend in Corona-Zeiten, es ist 17 Uhr. Die neunjährige Olga nimmt vor dem Mac ihrer Eltern Platz und wählt sich in ihr Zoom-Meeting ein. Sie hat einiges vor: eine Website über ihre Katze Lucy, programmiert mit HTML und CSS, soll es werden. Ihre neunjährige Kollegin Aurelia macht ihre Meerschweinchen zum Star der Website, die sie am elterlichen PC baut. Betreut werden die Mädchen von Mentorin Karin vom CoderDojo Linz, die ihnen beim Programmieren mit Rat und Tat zur Seite steht.
Sie ist Teil eines Vereins namens Coding Club Linz, der es sich seit rund fünf Jahren zur Aufgabe macht, Kindern und Jugendlichen die Lust am Erschaffen von Websites, Computerprogrammen und Elektronik-Basteleien zu vermitteln. Das vom Klub organisierte CoderDojo richtet sich an Kinder vom Volksschul- bis ins Oberstufenalter, kostet nichts und ist für jedes interessierte Kind frei zugänglich. „Alles, was man braucht, ist ein Laptop oder Tablet. Sonst Null!“, erzählt uns Rainer Stropek.
Der Software-Entwickler und Mitgründer der Linzer IT-Firma Software-Architects hat die Idee mit Gattin Karin vor einigen Jahren bei einem Konferenzbesuch in Belgien gehabt. Dort hatte die vor rund zehn Jahren in Irland ins Leben gerufene CoderDojo-Initiative schon einige Filialen. „Die haben dort hinter jedem Misthaufen einen Programmierklub“, schmunzelt Stropek im Microsoft-Teams-Gespräch mit krone.at. „Das hat uns gefallen und wir wollten das nach Österreich bringen.“
Uns ist wichtig, dass wir jedem Kind die Möglichkeit geben, Programmieren zu lernen. Wir sind keine Hochbegabtenförderung, sondern wollen in die Breite.
Rainer Stropek, Coding Club Linz
Regelmäßige CoderDojos, wie sie heute - corona-bedingt bis auf Weiteres virtuell - in Linz stattfinden, gab es damals in Österreich noch nicht. Über befreundete IT-Fachleute verbreitete sich die Kunde aber rasch und weitere CoderDojo-Vereine wurden geboren. Heute gibt es sie neben Linz auch in Neusiedl, Horn, Graz, Steyr, Leonding und Wien. Ihr Ziel ist stets dasselbe: „Uns ist wichtig, dass wir jedem Kind die Möglichkeit geben, Programmieren zu lernen. Wir sind keine Hochbegabtenförderung, sondern wollen in die Breite“, erzählt Stropek.
Mentoren sind Firmenchefs, Angestellte, Studenten, Lehrer
In Linz gehören zum harten Kern der CoderDojo-Organisatoren zehn bis 15 Personen um Gründer Stropek. Zehn Weitere stehen bereit, „wenn wir sie kurzfristig brauchen“. Alle kommen aus der Software-Entwicklung, der sonstige Background ist ganz unterschiedlich - vom Firmenchef über den Angestellten oder Studenten bis zum HTL-Lehrer, alle geeint von der Freude am Programmieren. „Wir sind passionierte Coder, Karin und ich“, erzählt auch Stropek. „Zwei Stunden Code zu schreiben ist für mich kein Stress, sondern gemütlich. So wie andere Puzzles bauen oder im Keller Werkstücke aus Holz produzieren, so schreibe ich gern Code.“
Normalerweise braucht man nicht einmal einen Laptop
Unter normalen Umständen fänden die CoderDojos im Zweiwochentakt als Vor-Ort-Veranstaltung im Wissensturm im Linzer Bahnhofsviertel statt. „Da haben wir einen Raum für bis zu 250 Kids“, sagt Stropek. Dort brauchen die Teilnehmer im Zweifel nicht einmal einen Computer. Der Verein hat 50 jederzeit einsatzbereite Leih-Laptops von Spendern aus der Wirtschaft parat. Den eigenen PC kann natürlich auch jeder mitbringen.
Aber im Moment läuft eben alles nur virtuell - und das, wenn sich die Corona-Lage nicht beruhigt, wohl noch viele Wochen. Das Kursangebot bleibt trotzdem vielfältig: Bei unserem virtuellen Besuch im CoderDojo gab es etwa neben einem C#-Workshop ab 12 und den Homepage-Projekten der jüngeren Teilnehmer noch einen Elektronik-Bastelkurs mit einfachen Entwicklerboards für Zehnjährige, bei dem am Schluss eine selbst gebaute Wetterstation am Tisch stehen soll.
Von der betreuten Gruppenarbeit zum Online-Kurs
Die Streaming-Kurse laufen im kleinen Rahmen ab, im Wissensturm wäre mehr los. Überhaupt hat die Pandemie viel verändert: Normalerweise, so Stropek, läuft ein CoderDojo als betreute Gruppenarbeit ab. Die Kinder kommen, setzen sich ein Ziel - zum Beispiel ein eigenes Computerspiel - und arbeiten auf das Ziel hin. Die Burschen und Mädchen helfen sich gegenseitig und auch die Mentoren stehen mit Rat und Tat zur Seite.
„Die Online-Veranstaltungen sind zwangsläufig viel kursartiger“, sagt Stropek. Aber auch dieses Konzept komme gut an, weshalb man überlege, nach der Rückkehr zur Normalität einen Mix beider Varianten anzubieten.
Künstliche Intelligenz lernt Schiffe versenken
Schauplatzwechsel: Wir sehen uns das virtuelle CoderDojo an, in dem an diesem Abend Burschen ab 12 Programmieren üben. Heute baut Stropek mit seinen Schülern in der Programmiersprache C# eine einfache künstliche Intelligenz, die das Spiel „Schiffe versenken“ beherrscht. Zu Gast in der Zoom-Konferenz sind Jakob, André, Jonas, Alvin, Arsemi und David - alle mit guten Ideen, wie der Schiffe versenkende Bot am Spielfeld möglichst effektiv die richtigen Felder bombardiert und wie man die dafür nötigen Regeln am besten programmieren könnte.
Ich weiß ganz genau, die werden in ein bis zwei Jahren nicht mehr zu uns kommen, weil die in der HTL so gut betreut werden, die brauchen das dann nicht mehr.
Rainer Stropek, Coding Club Linz
Später erzählt der Meister über seine Schüler: „Das sind Kids, die seit Jahren dabei sind und die jetzt in der HTL angefangen haben. Und ich weiß ganz genau, die werden in ein bis zwei Jahren nicht mehr zu uns kommen, weil die in der HTL so gut betreut werden, die brauchen das dann nicht mehr.“
CoderDojo wirbt für IT-Bildung schon in jungen Jahren
Aber in manch anderem Schultyp ortet er Nachholbedarf. „Es gibt absolut keinen Grund, warum man nicht einen Teil der pädagogischen Betreuung schon ab dem Kindergarten mit Technologie verbinden sollte. Wir sind der Meinung, dass der Informatikunterricht - vielleicht heißt er dann gar nicht so - zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Schulen reingehört.“ Eine Überzeugung, für die man beim CoderDojo mit Gastveranstaltungen direkt an den Schulen wirbt. Als Ersatz für den Informatikunterricht sei das aber nicht gedacht.
„Ich vergleiche das gerne mit dem Sport. In einer idealen Welt möchten wir ein Angebot für Kinder sein, die mehr wollen als das, was sie in der Schule haben. So wie jemand, der in der Schule ein bisschen Turnunterricht hat, aber mehr in Sachen Leichtathletik machen möchte. Der geht in einen Sportverein. Das wäre unsere Idealvorstellung.“
In der Praxis sieht die Sache freilich anders aus. „Fakt ist in Österreich aber, dass in den Schulen aufgrund der Limitierungen in Sachen Ausstattung, Zeit, Ausbildung der Lehrkräfte und Ähnliches, Informatik leider sehr häufig auf Word und Excel reduziert wird, also beim Programmieren einfach gar nichts gemacht wird. Und daher haben Programmierklubs wie das CoderDojo - es gibt ja viele auf der Welt - im Moment eigentlich mehr Aufgaben, als sie aus meiner Sicht haben sollten.“
Olga hat Probleme: „Vielleicht ist es der Safari?“
Währenddessen im anderen Stream: Die kleine Olga hat Probleme mit ihrer Website. Der Versuch, den Titel ihrer Homepage über Katze Lucy in Regenbogenfarben schimmern zu lassen, will nicht zum Erfolg führen. Die Neunjährige teilt ihren Bildschirm mit Mentorin Karin, präsentiert dieser ihren Code - und die Expertin hat einen Verdacht, woran es liegen könnte. „Vielleicht ist es der Safari?“, sagt sie mit Blick auf den Browser, der bei Olga im Einsatz ist. „Probieren wir es mal mit Google Chrome“, rät die Expertin. Olgas Mauszeiger bewegt sich auf das bunte Chrome-Symbol, ein Klick dringt aus dem Headset, sie startet den anderen Browser - und tatsächlich, der gewünschte Regenbogentitel funktioniert jetzt. Großartig!
Ein Kind, das schon in diesem Alter versteht, warum das in dem einen Browser geht und in dem anderen nicht, hat später einen ganz anderen Zugang.
Rainer Stropek, Coding Club Linz
„Das ist ein Super Beispiel für die Nebeneffekte, die wir haben“, sagt Stropek. „Ein Kind, das schon in diesem Alter versteht, warum das in dem einen Browser geht und in dem anderen nicht, wenn das in ein paar Jahren in ein jugendliches Alter kommt und beispielsweise über Sachen wie Open-Source nachdenkt, über ein offenes Internet, über Kompatibilitäten, über ‚Browser Wars‘, dann hat es später einen ganz anderen Zugang dazu.“
Anwenderkenntnisse in all jenen Tools, die zuletzt so viele Schulklassen beim Umstieg in den Fernunterricht gebraucht haben, nehmen CoderDojo-Absolventinnen wie Olga und Aurelia nebenbei sowieso mit. „Wenn die in eine Schule kommen, dann haben sie einen riesengroßen Wissensvorsprung.“
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