Beton ist ein gefräßiges Monster, jeden Tag ernährt es sich von 13 Hektar Grünraum. Ausgeschieden wird ein toter Baustoff, der die Sommer unerträglich macht und uns Luft zum Atmen nimmt. Start der neuen „Krone“-Serie.
Die Natur hat sich beim Erfinden der Bäume schon etwas gedacht. Bereits eine kleinere Version mit einer Höhe von 20 Metern produziert 10.000 Liter Sauerstoff am Tag. Bäume binden Kohlenstoffe und bremsen den Klimawandel, sie filtern Partikel aus der Luft, spenden Schatten - und Nahrung für Wildtiere, die sich an Blättern, Nadeln und Knospen laben. Bis der Mensch kommt und sie köpft, zerhäckselt, entwurzelt und auf die kahlen Stellen ein Einkaufszentrum hinbaut, Industriehallen oder lieblose Betonburgen, von deren Dachterrassen man immer das Gleiche sieht: andere Betonburgen. Im Sommer werden diese Grätzeln dann zur Hitzehölle.
13 Hektar Grünraum werden pro Tag verbaut
Die Bevölkerung wächst, die Landesgrenzen nicht. Um Platz für Gebäude zu schaffen, muss der Grünraum weichen. 13 Hektar werden verbaut. Tag für Tag. Zur besseren Einordnung: das sind 20 Fußballfelder Wiesen und Äcker, auf denen Straßen, Siedlungen und Hallen entstehen. Österreich ist groß, 83.900 Quadratkilometer, um genau zu sein, aber nicht endlos. Wenn wir so weitermachen, erleidet die grüne Lunge unseres Landes einen Infarkt. Beton als der Krebs unserer Natur - mit Metastasen in allen Bundesländern: Bevor wir uns in der neuen „Krone“-Serie mit den Folgen, Problemen und Lösungen zum Thema Bodenversiegelung beschäftigen, widmen wir uns der Bestandsaufnahme und einem Blick durch das ganze Land.
Die Bundeshauptstadt Wien rühmt sich mit ihrem Grünflächenanteil. Mehr als die Hälfte der Stadt ist unverbaut - fair verteilt sind Bäume, Parks und Wiesen aber nicht. Gerade in den innerstädtischen Regionen beträgt ihr Anteil lächerliche zwei bis 15 Prozent. Und es wird weitergebaut: Die Seestadt Aspern wächst, der Bereich rund um die Berresgasse, das Nordbahnviertel, das Sonnwendviertel. Kastenförmige Architektur ersetzt Erholungsgebiete.
Spitzenreiter Steiermark
Und weiter geht die Reise des Grauens - im wahrsten Wortsinne: Die Steiermark gehört bei der Bodenversiegelung zum Spitzenfeld. Der Drei-Jahres-Schnitt beträgt laut österreichischer Hagelversicherung 3,2 Hektar pro Tag. Alleine für die (nicht unumstrittene) S7 werden 29 Kilometer Straße gebaut. Ein großer Teil davon entfällt auf Acker- und Natur-/Waldflächen.
Betroffen von der S7 ist auch das Burgenland, da die Straße bis zur ungarischen Grenze führt. Zugleich gibt es immer mehr Asphalt und weniger Feldwege, die das Regenwasser versickern lassen und in den Boden leiten. Der Schutz vor Hochwasser ist damit beeinträchtigt.
380-kV-Freileitung als Salzburgs Umweltbombe
Auch Salzburg hat seine Umweltbomben. Das größte Thema: die sich bereits im Bau befindende 380-kV-Freileitung. Zum einen geht es um die tatsächliche gerodete Waldfläche - Fällungen unter der Leitung wurden bei der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht als Rodung erachtet. Daher ist die Abholzung von 200 Hektar genehmigt; tatsächlich sind es 800 Hektar. Zum anderen wurde keine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchgeführt. Der Schaden an der Natur ist längst angerichtet.
„Bodenaustausch“ - zynisches Wort für Mord an der Natur
Und so hat jedes Bundesland mit seinem Betonkrebs zu kämpfen. Im Ennstal in Oberösterreich befinden sich entlang der Eisenstraße zwischen Steyr und Kleinreifling drei Schotterwerke. Ein viertes kam vor Kurzem in der Dipoldsau bei Weyer hinzu. Steyr-Land genehmigte den „Bodenaustausch“ durch einen Bauunternehmer. Bodenaustausch - was für ein zynisches Wort; das kann nur zukunftsvergessenen Bürokraten einfallen. Und geht es nach Tourismus- und Bergbahnbetrieben, soll das Skigebiet im Stodertal mit einer neuen Skischaukel erweitert werden. Sie soll die Höss und Vorderstoder verbinden. Dafür wird viel Wald gerodet. Auch das Einkaufszentrum Frunpark ist ein Beispiel für Bodenversiegelung am Stadtrand von Linz.
In Tirol gibt es pro Einwohner 186 Quadratmeter Straßenverkehrsflächen. Der Flächenverbrauch des Verkehrs im Transitland Tirol ist bereits rund 20-mal so groß wie jener des Bahnverkehrs, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten des Umweltbundesamts zeigt. Skigebietszusammenschlüsse, bodenfressende Chaletdörfer in Tourismusgebieten, Bodenaushubdeponien, ein seit 18 Jahren ausgewiesenes EU-Luftsanierungsgebiet, Lärmbelastung und immer noch mehr Verkehr auf den Transitstrecken sowie in den Tälern und Regionen sind die brennenden Probleme in Tirol. Der Jahresbericht des Landesumweltanwalts zeigt auf, dass wertvoller Naturraum in der Größe von mehr als 650 Fußballfeldern jährlich verbaut wird.
Einfamilienhaus-Wahn in Vorarlberg
In Vorarlberg herrscht der Einfamilienhaus-Wahn - es heißt nicht umsonst: „Schaffa, schaffa, Hüsle baua.“ Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde hier deutlich mehr Fläche verbaut als in der gesamten Besiedlungsgeschichte davor. Am eklatantesten zeigt sich die Problematik im Rheintal: Nach Wien und Graz ist es der am dichtesten besiedelte Raum Österreichs.
In Kärnten werden die Seeufer verbaut. Im Sommer wurde ein entsprechendes Volksbegehren im Landtag eingebracht, das jetzt von den Politikern behandelt werden muss. Das Problem betrifft nicht nur den Wörthersee. Hier ist allerdings die intensivste Bautätigkeit festzustellen. Bodenversiegelung, Bodenaustausch, Verbauung - viele Worte für ein Unterfangen: den Mord an Österreichs Natur.
Lesen Sie demnächst: Wie unsere Landwirtschaft unter dem Betonwahn leidet.
Kronen Zeitung
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