Finale Trump vs. Biden
US-Wahl: Langweiler statt Krawallmacher?
„Er ist entsetzlich langweilig, aber Gott sei Dank, er ist genau das, was wir zur Zeit brauchen“, kommentiert eine Zeitung die Prozentpunkte, die Joe Biden in seinem wirklich langweiligen Wahlkampf sammelt. Es ist die Sehnsucht der Amerikaner nach der Rückkehr zur Normalität. Welch ein Gegensatz: der biedere Maskenmann, der unauffällig durch die Lande tingelt und mit den Menschen echte Sachdiskussionen führt, allerdings in der Corona-Distanz - und der Marktschreier, der sich in tobenden Arenen (meist Flugplatzhangars) huldigen lässt und der damit Bürgerkontakte nur vorgaukelt.
Vier Jahre Krawallpolitik mögen vielleicht nach dem Geschmack von New Yorkern wie Donald Trump sein, aber nicht der ganzen Nation. Denn irgendwann halten die Nerven die alltägliche Beleidigung des gesunden Menschenverstandes doch nicht mehr aus.
Verteidigungsring um Trump bröckelt
Indessen bröckelt es in Trumps eigenem Lager. In den vergangenen Jahren standen ranghohe Republikaner zwar öffentlich meist hinter dem US-Präsidenten. Doch während dieser kurz vor der Wahl im Umfragetief steckt, mehren sich nun kritische Stimmen aus den Reihen der Republikaner. Weniger als zwei Wochen vor der Wahl gehen mehrere prominente Republikaner auf Distanz zu Trump. Im Mittelpunkt steht der Umgang mit der Corona-Krise.
Kritik an Schutzvorkehrungen im Weißen Haus
So kritisierte der Trump-Vertraute und republikanische Ex-Gouverneur Chris Christie unter anderem die Schutzvorkehrungen im Weißen Haus. Er habe angenommen, sich dort in einer „sicheren Zone“ zu befinden. „Ich lag falsch.“ Christie, vormals als ein Corona-Skeptiker bekannt, hatte Trump unter anderem geholfen, sich auf die TV-Debatte mit seinem Herausforderer Biden vorzubereiten. Er musste danach eine Woche im Krankenhaus wegen einer Covid-19-Erkrankung behandelt werden.
Eine Wandlung von Saulus zu Paulus
Der Ton, den Christie in einer Stellungnahme anschlug, stand in scharfem Kontrast zu Äußerungen Trumps. „Es ist etwas, das man sehr ernst nehmen muss“, erklärte er und rief dazu auf, Masken zu tragen und Abstand zu halten. „Niemand sollte glücklich sein, das Virus zu bekommen, und niemand sollte hochmütig darüber sein, sich angesteckt zu haben oder andere anzustecken.“ Unterdessen nährt der Präsident bei seinen Auftritten erneut Zweifel am Nutzen von Masken.
Bereits vorher hatte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, gesagt, dass er schon seit Anfang August nicht mehr im Weißen Haus gewesen sei - aus Sorge über den dortigen Umgang mit Coronavirus-Risiken. Seine Äußerungen wurden daraufhin von politischen Beobachtern in Washington als ein Freibrief für Republikaner gewertet, sich nicht mehr mit der Kritik an Trump zurückzuhalten.
„Sklavenaufstand“ bei den Republikanern
Der republikanische US-Senator Ben Sasse attackierte unterdessen in einer Telefonkonferenz mit Wählern den Amtsinhaber auf breiter Front. Trump gebe Geld „wie ein betrunkener Matrose“ aus und „küsst Diktatoren den Hintern“, schimpfte Sasse in einem Mitschnitt, den die konservative Website „Washington Examiner“ veröffentlichte. Trumps Führungsstil in der Corona-Krise sei zudem weder vernünftig noch verantwortungsvoll gewesen. Ben Sasse warnte auch, dass die Republikaner wegen Trump dauerhaft an Einfluss bei den Wählern verlieren könnten.
Auch der einflussreiche republikanische US-Senator Lindsey Graham, der dem Justizausschuss vorsitzt, hat seinen Kollegen aus der demokratischen Partei sogar starke Erfolgsaussichten bei der Präsidentenwahl am 3. November bescheinigt. „Ihr habt gute Chancen, das Weiße Haus zu gewinnen“, sagte Graham in einer Ausschusssitzung. Er selbst muss um seine Wiederwahl im Bundesstaat South Carolina im November bangen.
Donald Trump wird zur Karikatur seiner selbst
Je deutlicher Trump seine Felle davonschwimmen sieht, desto schriller werden seine Ausfälle. Dieses Ausmaß an ehrabschneidenden Beschimpfungen eines politischen Gegners - und dessen Familie - würde jeden Politiker in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat in Europa zum Dauergast in Gerichtssälen degradieren.
Die Hetztiraden gipfelten zuletzt in: „Joe Biden ist ein korrupter Politiker. Er ist ein Krimineller. Er hat Verbrechen begangen. Und die Biden-Familie ist ein kriminelles Unternehmen. Die Bidens wurden reich, während Amerika ausgeraubt wurde - ja, sperrt sie ein!“
Der US-Präsident gibt sich nun besonders untergriffig, und immer mehr Amerikaner können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Trump nach den vier Albtraumjahren durch die Anzeichen einer Torschlusspanik einer schlimmen Karikatur seiner selbst immer ähnlicher wird.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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