Ab sofort gelten wieder neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wir alle diskutieren deren Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit. Wie groß ist die Bereitschaft, sich an Vorschriften und Empfehlungen zu halten? Haben die Österreicher genug Vertrauen in Politik und Regierung?
1. Vor zwei Wochen war eine Mehrheit von 55 bis 60 Prozent mit der Corona-Politik von Bundes- oder Landesregierung zufrieden. Das sagen Wahlforschungsdaten des ORF zur Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl. Auch laut Langzeitstudie „Austrian Corona Panel Project“ der Universität Wien - da werden regelmäßig 1500 Personen als repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung befragt - gab es im Oktober rund 41 Prozent Zufriedene.
2. Bis Mitte Mai wurden die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sogar von einer großen Mehrheit - über 70 Prozent - als angemessen gesehen. Das ist Vergangenheit, die Zahl der Unzufriedenen steigt. Zum Glück für Bundeskanzler Sebastian Kurz & Co. ist es so, dass radikale Meinungen zur Regierungspolitik in der Bevölkerung selten vertreten sind. So waren Mitte Oktober nur fünf Prozent der Meinung, dass die Corona-Maßnahmen in Österreich überhaupt nicht ausreichend sind. Knapp 15 Prozent empfanden sie als zu extrem.
3. Auch gilt für die jeweiligen Amtsinhaber - also Kanzler und Minister sowie Landeshauptleute - weiterhin, dass ihnen gemäß APA/OGM-Vertrauensindex mehr Menschen vertrauen als misstrauen. Der Haken daran: Es ist eine klare Vermehrung der Skeptiker feststellbar. Die Gefahr ist eine schleichende Polarisierung: Nur solange viele die Maßnahmen der Bundesregierung „eher“ oder „eher nicht“ sinnvoll finden, wird sachlich debattiert.
4. Eine Fortsetzung der Negativentwicklung in den Vertrauensdaten wäre fatal. Unbestritten ist ja, dass nur eine gemeinsame und von fast allen Österreichern halbwegs mitgetragene Strategie im Umgang mit dem Coronavirus Sinn macht. Wenn die Politik als untauglicher Orientierungspunkt erscheint und jeder sowieso macht, was immer er will, geht die Sache bestimmt schief.
5. Wenn zudem fanatische Fans und Gegner aufeinanderprallen, die entweder Sebastian Kurz für ihren fehlerfreien Oberguru halten oder alle Regierungsmitglieder als korrupte Möchtegerndiktatoren sehen, wird es heikel. Auf der Basis, jemand wäre der allheilbringende Messias oder das Land würde als Riesenverschwörung mit Absicht an die Wand gefahren, da leidet zwangsläufig der demokratische Diskurs.
6. Ist die Regierung an den zunehmenden Zweifeln bei ihren Vorschriften und Empfehlungen selber schuld? Ja. Auch wenn man in einer Pandemiezeit allen Politikern das beste Bemühen unterstellen soll. Wer in so einer Situation nie Fehler gemacht hätte, der werfe den ersten Stein. Je nach Parteivorliebe alles gut oder schlecht finden, das bringt gleichfalls wenig. Nur gibt es zwei Grundregeln der Krisenkommunikation, die seitens der Regierenden verletzt wurden: Einerseits soll möglichst mit einer Stimme gesprochen werden. Andererseits müssen Politiker die Wahrheit sagen.
7. Doch ausgerechnet da wurden grundlegende Fehler begangen. Die ÖVP auf Bundesebene und die Stadt Wien mit Mehrheit der SPÖ stehen sich bei der Virusbekämpfung in sprachlicher Feldschlacht gegenüber. Es darf über Maßnahmen gestritten werden, doch warum auf offener Medienbühne? Mit wechselseitigen Unterstellungen führt das zur totalen Verunsicherung. Als Höhepunkte attackiert der Innenminister regelmäßig Wien, wo am Vorwochenende umgekehrt der Pressesprecher des Gesundheitsstadtrates bei den Infiziertenzahlen dessen Ministerium glatte Lügen vorwarf.
8. Wer immer recht hat: Der gesundheitspolitische Flurschaden ist angerichtet. Wieso sollten wir in der Pandemie-Bekämpfung den Anordnungen von Politikern folgen, die sich gegenseitig als Lügner bezeichnen? Denn die Schlüsselfrage ist weniger, ob man jede Maßnahme versteht - das ist kaum der Fall -, sondern dass die meisten Maßnahmen unabhängig von der persönlichen Meinung befolgt werden.
9. Der gesellschaftliche Zusammenhalt fällt unter Eigenverantwortung. Das basiert auf dem liberalen Ideal eines mündigen Menschen, der zugleich aus Solidarität Verantwortung für andere übernimmt. Zum Beispiel durch das Tragen einer Maske, um Mitmenschen zu schützen.
10. Eigenverantwortung - die ist wichtig, weil politische Systeme nur dann funktionieren, wenn wirklich alle Bürger einen Grundkonsens haben, Regeln einzuhalten. Wie würde man sich denn Corona-Regeln mit maximaler Kontrolle vorstellen? Niemand will hoffentlich Wohnungen durchsuchen lassen, wie viele Personen sich darin aufhalten. Sollen wir Nachbarn bei der Polizei anzeigen, ob sie einen Gast zu viel haben? Bitte nicht.
Nicht einmal in Diktaturen kann man für jede Anordnung hinter jeden Bürger einen Typ mit Maschinenpistole stellen, der ihn ständig überwacht. In Demokratien ist selbst zu erkennen, dass Massentreffen in der Pandemie dumm sind.
Peter Filzmaier, Kronen Zeitung
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