Die Generalprokuratur - eine dem OGH als "Rechtswahrerin" beigeordnete Behörde, deren Meinung das BAWAG-Berufungsgericht aber nicht zwingend folgen muss - hat bei einer Nichtigkeitsbeschwerde eine Stellungnahme vorzulegen, bevor das Rechtsmittelverfahren beginnen kann. Die Behörde "zerpflückt" nun auf 328 Seiten das erstinstanzliche Urteil im BAWAG-Prozess fast komplett. Vor allem werden sogenannte Feststellungsmängel im schriftlichen Urteil von BAWAG-Richterin Bandion-Ortner gerügt.
Elsner-Urteil großteils "wasserdicht", trotzdem neue Strafe
Den Nichtigkeitsbeschwerden von Elsner, Zwettler und Nakowitz kommt nach Rechtsansicht der Prokuratur "teilweise Berechtigung" zu. Bei Elsner heißt es, er wäre von mehreren Vorwürfen freizusprechen. Die Urteilsfeststellungen zum (entscheidenden) Untreue-Komplex im Falle Elsners erachtet die Generalprokuratur aber als großteils nachvollziehbar. Nur beim Betrugsfaktum - Elsner soll sich bei der BAWAG eine Pensionsabfindung von 6,8 Millionen Euro erschlichen haben - und der diesem ebenfalls angelasteten Bilanzfälschung sieht es anders aus. "Wir sind der Meinung, dass bei Elsner das Urteil jedenfalls in diesen beiden Punkten aufzuheben wäre", erklärte Behördensprecher Wilfried Seidl am Dienstagnachmittag.
Auf die Strafhöhe hätte das allerdings vermutlich keine großen Auswirkungen: Für die Generalprokuratur steht außer Frage, dass Elsner bei einem vom Erstgericht angenommenen Schaden von 1,72 Milliarden Euro jedenfalls für den Verlust von 1,4 Milliarden Euro verantwortlich ist. Von insgesamt 18 Untreue-Fakten sind laut Prokuratur 14 "wasserdicht". Nur vier wären aufzuheben. Nach Ansicht der Prokuratur sollte die Neuverhandlung aber nicht in einem "normalen" Gericht erfolgen, sondern vor dem OGH.
Sollte der Oberste Gerichtshof der Generalprokuratur folgen, würde somit bei Elsner die Untreue weitgehend bestätigt werden. Die Staatsanwaltschaft müsste dann entscheiden, ob es angesichts der vergleichsweise geringen Schadenssumme noch notwendig ist, die in Zweifel stehenden Randbereiche separat neu zu verhandeln. Theoretisch könnte darauf aus verfahrensökonomischen Gründen auch verzichtet werden. Ähnliches gilt für Zwettler - bei einem ihm vom Erstgericht zugeschriebenen Schaden von 967 Millionen Euro sind laut Generalprokuratur 635 Mio. "wasserdicht" - und Nakowitz. In jedem Fall wären für alle drei die Strafen neu festzusetzen.
Komplette Aufhebung bei Flöttl und Co. empfohlen
Besonders mangelhaft sind nach Ansicht der Generalprokuratur aber ohnehin die von der ersten Instanz getroffenen Feststellungen in Bezug auf den Investmentbanker Wolfgang Flöttl, die Ex-BAWAG Vorstände Hubert Kreuch, Josef Schwarzecker, Christian Büttner, den Ex-BAWAG-Aufsichtsratspräsidenten Günter Weninger und den Wirtschaftsprüfer Robert Reiter. Deren Urteile wären nach Ansicht der Generalprokuratur aufzuheben, gegen die Betroffenen müsste zur Gänze neu verhandelt werden. Der OGH ist an die Rechtsansicht der Prokuratur nicht gebunden, laut Justizexperten ist aber schwer vorstellbar, dass er die Empfehlungen ignoriert.
Flöttl, wurde zu zweieinhalb Jahren Haft, davon zehn Monate unbedingt, verurteilt. Büttner war zu eineinhalb Jahren bedingt verurteilt worden, Schwarzecker und Kreuch zu je dreieinhalb Jahren unbedingt. Weninger bekam zweieinhalb Jahre, davon sechs Monate unbedingt, Reiter drei Jahre, davon ein Jahr unbedingt. Ein neuerliches "Mammutverfahren" wäre bei diesen Personen aber nicht zwangsläufig zu erwarten - die Ex-Vorstände Büttner, Schwarzecker und Kreuch waren nur in eine kurze Phase eingebunden.
Erster Berufungsreigen am 22. und 23. Dezember
Ob der Oberste Gerichtshof seiner "Rechtswahrerin" folgt, wird man am 22. und 23. Dezember sehen können. Für diese Termine hat der OGH nämlich am Dienstag die ersten Rechtsmittelverfahren zum BAWAG-Prozess anberaumt. Neben Elsner, der seit mehr als dreieinhalb Jahren auf diesen Termin in U-Haft wartet, wird in dem öffentlichen Gerichtstag auch über die Rechtsmittel von Elsners unmittelbarem Nachfolger an der BAWAG-Spitze, dem in erster Instanz wegen Untreue zu fünf Jahre Haft verurteilten Zwettler, sowie Ex-BAWAG-Generalsekretär Nakowitz verhandelt. Elsners ehemalige "rechte Hand" hatte vom Erstgericht vier Jahre ausgefasst. Elsner selbst war am 4. Juli 2008 in sämtlichen Anklagepunkten für schuldig befunden worden, wobei ihm das Gericht eine Schadenssumme von 1,72 Milliarden Euro zulasten der BAWAG ankreidete. Dafür wurden neuneinhalb Jahre Haft verhängt.
Die Rechtsmittel der übrigen im BAWAG-Prozess Abgeurteilten - darunter auch eine Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung der Staatsanwaltschaft gegen den Investmentbanker Flöttl, der das ihm anvertraute BAWAG-Vermögen zur Gänze verspekuliert haben soll und dafür zweieinhalb Jahre teilbedingt erhalten hatte - wird der OGH in nichtöffentlicher Sitzung behandeln. Einen Termin dafür gab es am Dienstag aber noch nicht.
Bandion-Ortner gelassen: "Kein Justizskandal"
Justizministerin Bandion-Ortner hat sich in einer ersten Stellungnahme ungerührt gezeigt. "Ich sehe dem gelassen entgegen, der OGH muss das entscheiden", sagte die Ex-Richterin am Rande des Ministerrats in Wien. Bei einem derart großen Verfahren könne man nicht erwarten, dass alle Teile des Urteils halten, meinte die Ministerin. "Wenn Teile aufgehoben werden, dann ist es eben so. […] Man kann nicht erwarten, dass in so einem riesigen Verfahren keine Fehler passieren", so die Ministerin.
Die Generalprokuratur habe jedenfalls "wesentliche Teile des Urteils bestätigt, vor allem was die Hauptangeklagten Elsner, Zwettler und Nakowitz betrifft". Selbst wenn der OGH der Generalprokuratur komplett folgen sollte, wäre das für sie "kein Justizskandal".
Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll haben nach dem Ministerrat erklärt, dass die neue Entwicklung im BAWAG-Prozess kein Thema in der Regierungssitzung gewesen sei. Angesprochen darauf, dass "seine" Justizministerin Richterin des nun zu platzen drohenden Prozesses gewesen war, sagte Pröll, er sehe keinen Grund, die Ressortchefin in Frage zu stellen.
Größter Wirtschaftsprozess der zweiten Republik
Das BAWAG-Urteil im bisher größten Wirtschaftsprozess der Nachkriegsgeschichte war am 117. Verhandlungstag von einem vierköpfigen Schöffensenat unter Vorsitz von Richterin Bandion-Ortner gefällt worden. Das Urteil war am 4. Juli 2008 ausgesprochen und am 31. Dezember 2008 von Bandion-Ortner ausgefertigt und unterzeichnet worden. Am 15. Jänner 2009 wurde Bandion-Ortner als Justizministerin der Bundesregierung angelobt. Der damalige BAWAG-Staatsanwalt Georg Krakow wurde zu ihrem Kabinettschef. Elsner sitzt seit seiner Überstellung von Frankreich nach Österreich am 13. Februar 2007 in U-Haft. Seine Mitangeklagten befinden sich alle auf freiem Fuß. Alle Urteile sind nicht rechtskräftig, es gilt daher die Unschuldsvermutung.
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