Straßenschlachten

F: Gewaltsame Proteste arten zu “Guerilla-Krieg” aus

Ausland
21.10.2010 14:42
Die Proteste in Frankreich gegen die Pensionsreform sind in Lyon in Gewalt umgeschlagen. Jugendliche plünderten am Donnerstag wie bereits am Vortag Geschäfte, setzten Autos in Flammen und lieferten sich heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Diese ging mit Tränengas gegen rund 300 Demonstranten vor. Ein Behördenvertreter sprach von einem "Guerilla-Krieg". 800 Polizisten wurden extra wegen der Ausschreitungen in die südöstliche Stadt beordert. Auch im Großraum Paris kam es wieder zu gewaltsamen Protesten.

Im Pariser Vorort Nanterre warfen vermummte Jugendliche am Mittwoch Fensterscheiben ein und schleuderten Steine auf Polizisten. Innenminister Brice Hortefeux drohte mit einem harten Vorgehen gegen die Randalierer: "Wir werden die Ganoven nicht ungestraft davonkommen lassen", sagte er. Die Gewalt sei "inakzeptabel", in den letzten zehn Tagen seien bereits mehr als 1.900 Personen vorübergehend festgenommen worden. "Frankreich gehört nicht den Randalierern. Einige nutzen Teile unseres Landes als Schlachtfeld, das ist nicht hinnehmbar." In französischen Vorstädten haben viele Jugendliche keine Arbeit und nutzen politische Demonstrationen als Vorwand, um Gewalt auszuüben.

"Die Randalierer werden nicht das letzte Wort haben"
"Die Randalierer werden nicht das letzte Wort in einer Demokratie haben", sagte Präsident Nicolas Sarkozy am Donnerstag. "Ich habe gestern die Bilder aus Lyon gesehen. Das ist skandalös", fügte er hinzu. In den Protest mischt sich auch zunehmend eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung. Unter der Schlagzeile "Verhandeln Sie, Herr Präsident!" veröffentlichte die Zeitung "Liberation" am Mittwoch eine Umfrage, wonach sich 79 Prozent der Befragten einen Dialog der Regierung mit den Gewerkschaften wünschen.

Flughäfen blockiert, Tausende Tankstellen ohne Sprit
Am Donnerstagmorgen blockierten Demonstranten den Zugang zum Flughafen von Marseille und besetzten unter anderem einen Kreisverkehr. Zahlreiche Reisende ließen ihre Autos einfach am Straßenrand stehen, um zu Fuß zum Airport zu gelangen. Zunächst wurden keine Flüge gestrichen. Am Mittwoch fiel auf dem zweitgrößten Pariser Flughafen Orly ein Viertel aller Flüge aus, die Airports von Nantes und Clermont-Ferrand waren vorübergehend blockiert.

Nach Angaben des Umweltministeriums waren am Donnerstag mindestens 14 Benzindepots weiterhin blockiert. Sarkozy hatte am Vortag angekündigt, sie alle räumen zu lassen. Bereits am Mittwoch löste die Polizei mehrere Blockaden von Reformgegnern vor Treibstoff-Lagern in La Rochelle, Mans und Donges in Westfrankreich auf.

Demonstranten liefern sich Katz- und Mausspiele mit der Polizei und besetzen die Depots immer so lange, bis die Sicherheitskräfte auftauchen. Aber auch wenn alle Depots wieder zugänglich sein sollten, ist das Versorgungsproblem nicht gelöst. Mittlerweile sind alle zwölf Raffinerien des Landes komplett heruntergefahren. Sie wieder in Betrieb zu setzen, braucht schon aus technischen Gründen mehrere Tage.

Derzeit ist etwa ein Drittel der 12.500 französischen Tankstellen komplett oder teilweise ohne Treibstoff. Bei der Benzinversorgung müssen sich die Autolenker somit noch mehrere Tage auf Probleme einstellen. Franzosen in grenznahen Gebieten weichen zum Volltanken nach Deutschland oder in andere Nachbarländer aus.

Ministerin sieht "moralischen Schaden" für Frankreich
Wirtschaftsministerin Christine Lagarde sorgt sich angesichts der teils gewaltsamen Proteste um den Ruf Frankreichs. Zusammenstöße am Rande von Demonstrationen seien "schlimm" für das Bild Frankreichs im Ausland, sagte Lagarde am Mittwoch, die von einem "moralischen Schaden" für das Land sprach. "Ich appelliere vor allem an die Vernunft derjenigen, denen es Spaß macht, Blockaden zu errichten oder etwas zu zerstören", so die Ministerin. Das Demonstrationsrecht sei "kein Recht auf Zerstörung".

Frankreich habe die Wirtschafts- und Finanzkrise besser überstanden als andere Länder. "Wir verlieren hier gerade eine Chance für Frankreich", meinte Lagarde. Die geplante Pensionsreform bezeichnete die Politikerin als "legitim". Die Reform sei nötig, um das System "wieder ins Gleichgewicht zu bringen".

Senat stimmt über die umstrittene Pensionsreform ab
Die Regierung hofft darauf, die Reform noch während der am Wochenende beginnenden Herbstferien zu verabschieden und damit der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Derzeit wird der Text im Senat diskutiert. Die Regierungsmehrheit verzichtet weitgehend auf Kommentare, um die Diskussionen nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Sie wirft der Opposition Verzögerungstaktik vor. Die Abstimmung im Senat war ursprünglich für diesen Donnerstag geplant, verzögert sich aber voraussichtlich bis zum Wochenende. Mit der endgültigen Verabschiedung nach der Tagung des Vermittlungsausschusses wird Mitte der nächsten Woche gerechnet.

Kern der Reform ist die geplante Anhebung des Mindestalters für die volle Pension von 60 auf 62 Jahre. Wer nicht lang genug in die Pensionskasse einzahlen kann, soll erst mit 67 statt wie bisher mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen können. Sarkozy verteidigte die Reform und erklärte sie zu einer "Angelegenheit von nationalem Interesse". "Ich tue das nicht aus ideologischen Gründen. Ich tue das, weil es meine Pflicht ist."

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